Entscheidung des EU-Parlaments: Don’t call it Schnitzel

Es ist nur ein winziges Detail auf der Agenda des Europäischen Parlaments, welches sich am Mittwoch in Straßburg versammelt hat. Eigentlich sollen die Abgeordneten über einen Bericht abstimmen, in dem es um vereinfachte Vorschriften für Landwirte geht. Doch im Zentrum der Aufmerksamkeit steht ein Änderungsantrag, den die konservative EVP-Fraktion eingebracht hat – und der am Mittwoch tatsächlich eine Mehrheit findet. 355 Abgeordnete möchten Bezeichnungen wie „Veggie-Burger“ oder „Sojaschnitzel“ verbieten lassen, 247 Abgeordnete sind dagegen. Nach dem Willen der Parlamentsmehrheit sollen auch Begriffe wie „Steak“ oder „Wurst“ in Zukunft nur noch für tierische Lebensmittel verwendet werden dürfen.
In Deutschland hatte das Thema schon vor der Abstimmung hohe Wellen geschlagen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) solidarisierte sich mit den Konservativen im Europäischen Parlament. „Eine Wurst ist eine Wurst. Wurst ist nicht vegan“, hatte der Kanzler am Wochenende in einem Fernsehtalk der ARD bemerkt. Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU), ein gelernter Metzgermeister, sagte der „Bild“-Zeitung: „Für mich persönlich ist ein Schnitzel aus Pute, Kalb oder Schwein.“ Auch der Deutsche Bauernverband wünschte sich eine „eindeutige“ Kennzeichnung.
Der deutsche Markt für pflanzliche Alternativen gilt als der größte und ergiebigste in Europa. Im vergangenen Jahr wurden laut Statistischem Bundesamt 126.500 Tonnen Fleischersatzprodukte hergestellt. Das entspricht rund 1,5 Kilogramm pro Kopf und ist im Fünfjahresvergleich mehr als doppelt so viel wie zuvor.
Veggie-Alternativen noch immer ein Nischenthema
Trotz des großen Wachstums bleiben Veggie-Burger, Sojaschnitzel und Co. bislang ein Nischenthema. Wertmäßig ist die Produktion von Fleisch immer noch etwa 70-mal größer als die von Ersatzprodukten. Mit Fleisch wurden im vergangenen Jahr gut 44 Milliarden Euro Umsatz gemacht, mit Alternativen hingegen nur rund 0,75 Milliarden Euro. Laut aktuellen Berechnungen der Marktforscher von NIQ blieb der Umsatz mit Fleischersatzprodukten in den ersten neun Monaten dieses Jahres unverändert, während die Umsätze mit Wurstersatzprodukten um 0,3 Prozent zurückgingen. Betrachtet man den Absatz, ergibt sich ein Rückgang von 0,8 Prozent in beiden Kategorien. Etwas besser entwickelte sich die Veggie-Wurst, deren Absatz um 0,7 Prozent stieg – allerdings legte auch die klassische Bratwurst zu: um 1,2 Prozent.
Laut Yougov-Daten erreichten die Fleischersatzprodukte zuletzt weniger Käufer. Die Käuferreichweite sank im ersten Halbjahr um knapp sieben Prozent. Viele Konsumenten sind offenbar Probierkunden, von denen sich allerdings nur wenige zu Dauerkäufern entwickeln. Ein Grund hierfür dürfte auch der Preis sein. Im Durchschnitt ist der fleischlose Warenkorb immer noch teurer als der mit tierischen Produkten, wenngleich die Differenz schrumpft, nicht zuletzt durch Preisoffensiven der Discounter. Im Bereich der konventionellen Fleischalternativen dominieren Kurzbratartikel wie Würstchen, Chicken-Nuggets oder Schnitzel, die meist auf Basis von Soja, Weizen oder Erbsenprotein hergestellt werden.
Gleichzeitig wächst in der Branche die Sorge, dass die hohen Investitionen nicht ausreichend rentabel sind. Vor wenigen Jahren wurden einige Fleischersatz-Start-ups geradezu mit Kapital überschüttet; der Niedergang von Beyond Meat steht sinnbildlich für die nachlassende Marktdynamik. Zuletzt hatte die Nordzucker AG eine geplante Investition in den Bau einer Erbsenfabrik über 100 Millionen Euro vorerst auf Eis gelegt. Helfen dürften die Verbotspläne der EU-Parlamentarier da nicht – entsprechend groß ist der Widerstand.
Rat muss noch zustimmen
Discounter wie Lidl und Aldi Süd, der Fast-Food-Anbieter Burger King und der Marktführer für Fleischersatzprodukte, Rügenwalder Mühle, hatten sich noch vor der Abstimmung in einem gemeinsamen Schreiben an Europaabgeordnete gewandt. Wenn pflanzliche Burger, Steaks, Schnitzel und Würste umbenannt werden müssten, widerspreche das dem Ziel einer „resilienten und vielseitig aufgestellten Lebensmittelversorgung mit starken landwirtschaftlichen Betrieben“, heißt es in dem Brief, den knapp zwei Dutzend Unternehmen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen unterzeichnet haben.
Die Annahme, Verbraucher würden durch Bezeichnungen wie „Veggie-Burger“ verwirrt und seien dann nicht mehr imstande, zwischen pflanzlichen und tierischen Produkten zu unterscheiden, entbehre jeder empirischen Grundlage. Würden Unternehmen und Handel gezwungen, „alltagsferne Kunstbegriffe“ einzuführen, werde der Marktzugang für Fleischersatzprodukte erheblich erschwert und die Innovationsdynamik gebremst. In Deutschland gebe es bereits Regeln zur Produktkennzeichnung, die Verbraucherschutz und Rechtssicherheit gewährleisteten.
Unterstützung bekamen die Unternehmen von Umweltschützern: Anstatt Verbraucher auf dem Weg zu einer klima- und tierfreundlichen, gesünderen Ernährung zu unterstützen, werde „Politik für den industriellen Schweinestall gemacht“, sagte eine Sprecherin von Greenpeace. Auch Verbraucherschützer sagten mit Verweis auf eine Umfrage, die Kunden wünschten sich Bezeichnungen, die sich an Fleischprodukte anlehnten, sofern Geschmack und Konsistenz der pflanzlichen Alternative vergleichbar seien. Die Befragung des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) aus dem Jahr 2022 ergab indes auch, dass 47 Prozent der Käufer von Fleischersatzprodukten die verschiedenen Kennzeichnungen für vegetarische und vegane Produkte verwirrend finden. Ob es tatsächlich zu einem Verbot kommt – die EU-Staaten müssten dem zustimmen –, ist allerdings noch völlig offen.