England: 90 Prozent der Anzeigen von Frauen gegen Polizisten bleiben folgenlos

Polizist in England (Symbolbild)
Foto: Joe Giddens / dpa
Beschwerden von Frauen über das Verhalten von Polizisten in England und Wales haben wenig Aussicht auf Erfolg. Von mehr als tausend Strafanzeigen gegen Beamte und Beschäftigte in einem Zeitraum von sechs Monaten blieben rund 90 Prozent folgenlos, wie die nationale Koordinierungsstelle für die Strafverfolgung National Police Chiefs‘ Council (NPCC) am Dienstag mitteilte .
Nur ein Prozent der mehr als 1500 Beschuldigten wurde demnach entlassen. Die tatsächliche Zahl der Fälle liege vermutlich deutlich höher, betonte NPCC. Die Daten dürften nach Ansicht von Beobachtern dazu führen, dass das Vertrauen in die Polizei noch weiter sinkt.
»Es schockiert, von potenziellen Straftätern in der Polizei zu hören«
Zwischen Oktober 2021 und März 2022 wurde den Angaben zufolge 653 Fälle mit insgesamt 672 Personen wegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen untersucht. Zudem gab es 524 Beschwerden gegen 867 Beamte oder Beschäftigte, vor allem wegen übermäßiger Gewalt, aber auch wegen sexueller Belästigung oder sexueller Übergriffe. Die Vorwürfe richten sich laut NPCC gegen 0,7 Prozent der Polizeimitglieder.
Die Zahlen verdeutlichten die Dringlichkeit, Missbrauchstäter und korrupte Personen aus der Polizei zu entfernen und langfristige, nachhaltige Verbesserungen bei Standards zu erreichen, sagte die zuständige NPCC-Koordinatorin Maggie Blyth. »Die große Mehrheit der Beamten und Beschäftigten sind professionell und engagiert, aber es schockiert, von potenziellen Straftätern in der Polizei zu hören. Dies kann das brüchige Vertrauen weiter erschüttern«, sagte Blyth.
Die britische Polizei steht wegen mehrerer Skandale um Sexismus und Frauenfeindlichkeit in der Kritik. Im März 2021 erschütterte zudem ein Missbrauchsfall das Land: Ein Polizist hatte der Londonerin Sarah Everard seinen Dienstausweis gezeigt und sie dann entführt. Anschließend vergewaltigte und ermordete er sie. Vor gut einem Monat wurde ein anderer Polizist zu jahrzehntelanger Haft verurteilt, der in einem Zeitraum von knapp 20 Jahren ein Dutzend Frauen wiederholt vergewaltigt hatte.
Im November 2022 hatte ein offizieller Untersuchungsbericht ein vernichtendes Urteil über die Polizei gefällt. Bei Polizisten in England und Wales gebe es eine »tief verwurzelte sexistische Kultur«. Fehlerhafte Überprüfungen sowie Versäumnisse hätten dazu geführt, dass möglicherweise Tausende von Beamten im Dienst seien, die sich gegenüber Frauen wie Raubtiere verhielten, heißt es in der Studie der britischen Aufsichtsbehörde HMICFRS.
Das Innenministerium hat den Polizeien im Land aufgetragen, in den eigenen Reihen nach Problemfällen zu suchen. Der neue Chef der Metropolitan Police, Mark Rowley, versprach ein hartes Durchgreifen. Untersuchungen gegen Hunderte Mitarbeiter sollten erneut aufgerollt werden.