Energiewirtschaft skeptisch gegenüber Industriestrompreis
Die Energiewirtschaft steht der von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und den Gewerkschaften vorgeschlagenen Subventionierung von Strompreisen für das verarbeitende Gewerbe kritisch gegenüber. „Ein Industriestrompreis setzt an der falschen Stelle an, jedenfalls dann, wenn er Preissignale beeinträchtigt“, sagte die Vorsitzende des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae, der F.A.Z. „Wir brauchen Preissignale aus dem Markt heraus für Investitionen in Energieeffizienz, in die Erneuerbaren, aber auch für die Transformationsprozesse in der Industrie“, forderte sie mit Verweis auf eine noch unveröffentlichte BDEW-Kurzanalyse zu Habecks Ideen.
Die Vorschläge des Wirtschaftsministeriums sehen bis 2030 einen „Brückenstrompreis“ von 6 Cent je Kilowattstunde vor. Die Differenz zum durchschnittlichen Börsenpreis soll für 80 Prozent des jährlichen Verbrauchs vom Staat erstattet werden. Dazu könnten 25 bis 30 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds entnommen werden. Später, von 2030 an, soll sich ein Preis nahe den Gestehungskosten ergeben, erleichtert durch – zum Teil verpflichtende – Differenzverträge für Wind- und Solarparks sowie durch staatliche Bürgschaften für Risikoprämien bei industriellen Direktverträgen zwischen Erzeugern erneuerbarer Energien und Unternehmen (Power Purchase Agreements, PPA). Die Gewerkschaften IGBCE und DGB hatten sich ebenfalls für einen Industriestrompreis ausgesprochen. Zuletzt war von 4 Cent je Kilowattstunde die Rede.
Andreae und der BDEW-Studie zufolge könnten die angedachten Markteingriffe jedoch negative Auswirkungen auf innovative Instrumente wie die PPA abgekürzten Stromlieferverträge haben. Um die Energiekosten zu senken, bevorzugt Andreae „nachmarktliche“ Schritte, darunter die Investitionsförderung und die Entlastung bei Steuern und Abgaben. Langfristig ließen sich die Tarife nur senken, wenn die erneuerbaren Energien und die Netze ausgebaut würden und es Anreize für Investitionen auch in die steuerbare Erzeugung gebe, etwa in wasserstofffähige Gaskraftwerke. „Die privatwirtschaftliche Investitionsbereitschaft in den Ausbau der Erneuerbaren, in Flexibilitäten sowie in die klimaneutrale Transformation und Entwicklung neuer Geschäftsmodelle sollte stärker gefördert und nicht durch einen staatlich garantierten Preis gedämpft werden“, verlangte Andreae.
Produktionsrückgang um 25 Prozent
Die BDEW-Analyse leugnet nicht, dass die Tarife nach dem russischen Ukraine-Überfall außer Rand und Band geraten sind und die Wirtschaft schwer getroffen haben. Am 26. August 2022 sei am Terminmarkt für die Jahresgrundlast ein Rekordpreis von 985 Euro je Megawattstunde aufgerufen worden. Im Jahresdurchschnitt habe ein Großabnehmer mit einem Jahresverbrauch von 70.000 bis 150.000 Megawattstunden 184,40 Euro je Megawattstunde ohne rückerstattungsfähige Steuern zahlen müssen.
Das waren 18,44 Cent je Kilowattstunde, also mehr als das Dreifache des beabsichtigten Industriestrompreises. Die hohen Niveaus hätten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit geschadet, so der BDEW. Nicht zuletzt deshalb habe die energieintensive Industrie in Deutschland im Januar dieses Jahres einen Produktionsrückgang um 25 Prozent erlitten. Daher erscheine ein vergünstigter Industriestrompreis wie „eine naheliegende und plausible Antwort auf die hohen Energiekosten“ und könnte die Konkurrenzfähigkeit deutscher Anbieter wieder erhöhen. Wenn dieses Mittel aber schon gewählt werde, sollten die negativen Effekte „eingehegt“ werden, monierte Andreae. So müsse sich die Subventionierung auf einen festen Prozentsatz und nicht auf eine pauschale Summe beziehen, und die Staatshilfe müsse stetig sinken.
Insgesamt aber gelte: „Ein regulierter Industriestrompreis wird die freie Preisbildung auf dem Markt beeinträchtigen und negative Auswirkungen am Stromgroßhandelsmarkt haben.“ Andreae begründet ihre Zweifel damit, dass die staatlich garantierten Preise den Anreiz für Unternehmen schmälerten, die ersten 80 Prozent ihres Verbrauches langfristig abzusichern oder PPA abzuschließen. Vom Terminmarkt würden Volumen zum kurzfristigen Spotmarkt verlagert. Das konterkariere zum einen das Bemühen der EU-Kommission, die Liquidität an den Terminmärkten zu erhöhen. Zum anderen erhöhe es dort die Beschaffungskosten für all jene Käufer, die vom Brückenstrompreis nicht profitierten.