Energiepolitik: Finger weg von den Preisen

Felix
Ekardt forscht als Leiter der Leipziger
Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik und Professor an der Uni
Rostock nach Politikkonzepten für mehr Nachhaltigkeit. Er sucht anlässlich
seiner oft sehr kontroversen Artikel auf ZEIT ONLINE die Diskussion mit den
Leserinnen und Lesern. Auch diesmal antwortet er auf Leserkommentare.
Diskutieren Sie mit!

Seit 2022 ist allenthalben zu hören, man müsse in Deutschland und Europa die
Energiepreise senken oder wenigstens stabilisieren. Darüber herrscht praktisch
Konsens bis hin zu den Grünen. Selbst einige Umweltverbände äußern sich in
dieser Richtung. Praktisch umgesetzt wird dies in Form vielfältiger direkter
und indirekter Subventionen auch für fossile Brennstoffe. Die Strom- und Gaspreisbremse,
der Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket sind nur einige wenige Beispiele von vielen in
Deutschland und Europa. Ebenso werden langjährig bestehende Subventionen wie
die Entfernungspauschale oder Dienstwagen-Steuerbegünstigung weiter
aufrechterhalten und in Politik und Öffentlichkeit bestenfalls vereinzelt
kritisiert. All dies steht in einem merkwürdigen Kontrast zu einigen Dingen,
über die seit Jahren und Jahrzehnten diskutiert wird.

Seit dem
Bericht des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums 1972 ist ständig im Blick,
dass es bei den fossilen Brennstoffen irgendwann zu Preisspiralen kommen wird –
wegen deren Endlichkeit, wegen Nachfrageschwankungen, weil sie Kriege befeuern und wegen des steigenden
Wohlstands im Globalen Süden. Deshalb wird auch unabhängig von der Klima- und
Naturschädlichkeit jener Brennstoffe
seit Langem Postfossilität als langfristiges Ziel propagiert, die durch die so
steigenden Preise nach Meinung vieler sogar quasi von selbst eintreten wird.
Die Preisspirale seit 2022 liegt im Großen und Ganzen auf der Linie jener
Prognosen. Statt die Preise ihre natürliche Wirkung entfalten zu lassen, subventionieren EU und Deutschland die fossilen
Brennstoffe durch die genannten Maßnahmen herunter und halten sie damit
künstlich im Markt.

Es ist regierungsamtlich und wissenschaftlich diverse Male vorgerechnet
worden, dass die gesamtwirtschaftlichen Folgekosten der fossilen Brennstoffe
weit über den Kosten eines Ausstiegs aus diesen Brennstoffen liegen. Deshalb
wird seit 50 und mehr Jahren die „Internalisierung der externen Kosten“
gefordert – die Brennstoffpreise sollen die Wahrheit darüber sagen, dass die
Fossilen bei uns allen massive Schäden anrichten in Form von Klimawandel,
Naturzerstörung oder Atemwegserkrankungen. Die aktuellen Preisentwicklungen
drücken die Knappheit und Schädlichkeit der Fossilen immer noch nur in Ansätzen
aus, wenn man etwa an die drohenden umfassenden Folgeschäden des Klimawandels bis hin
zu möglichen Klimakriegen um schwindendes Trinkwasser und Nahrung denkt. Aber
zumindest tun sie es ein wenig besser als bislang. Kann es dann wirklich eine gute Idee
sein, die Preise mit Abermilliarden von Steuergeldern künstlich niedrig zu
halten?

Wer in einer bestimmten Weise lebt, muss für die Folgen geradestehen

Dies gilt umso mehr, als seit Jahrzehnten in Deutschland und Europa ein
Abbau umweltschädlicher Subventionen gefordert wird. Auch die Ampel hat sich
dies vorgenommen. Konträr dazu werden aktuell alte fossile Subventionen wie die
Entfernungspauschale oder die Steuerbefreiung für Flugbenzin nicht nur aufrechterhalten
– es kommen mit Strom- oder Gaspreisbremse sogar neue fossile Subventionen
hinzu. Kurioserweise fordern selbst die Klimaaktivisten der Letzten Generation mit einem 9-Euro-Ticket die dauerhafte Etablierung einer solchen neuen
Subvention, wenn man berücksichtigt, dass dieses Ticket wohl kaum SUV-Fahrer
in die Bahn bringt, dafür aber die Breitenmobilität von bisher weniger Mobilen
absehbar erhöht. Es wird also gesellschaftlich dafür bezahlt, dass wir alle durch den Konsum fossiler Brennstoffe weiter anderen Menschen schaden
dürfen.

Angemessene Brennstoffpreise und Subventionsabbau sind nicht nur ein
ökologisches, ökonomisches und in gewisser Weise friedenspolitisches
Anliegen
. Liberale Demokratien beruhen außerdem auch auf
einem Junktim von Freiheit und Folgenverantwortung: Wer in einer bestimmten
Weise lebt und wirtschaftet, muss auch für die Folgen und Schäden geradestehen,
die daraus für andere Menschen ausgelöst werden (Verursacherprinzip). Wann,
wenn nicht jetzt, wäre die Gelegenheit, damit endlich ernst zu machen? Die
jetzige Subventionspraxis suggeriert, wir wären alle hilflose Untertanen, die nicht
für ihre alltäglichen Entscheidungen einstehen könnten und quasi gar nicht
überblicken, dass sie andere Menschen durch ihr alltägliches Verhalten
schädigen. Das erscheint auch jenseits ökologischer und ökonomischer Aspekte
wenig überzeugend.

Auch aus Gründen sozialer Verteilungsgerechtigkeit muss die bisherige
Subventionspraxis nicht aufrechterhalten werden. Deutschland ist eines der
reichsten Länder der Welt, und auch die EU als Ganzes ist ökonomisch weit
überdurchschnittlich, global gesehen. Können wir uns nicht von den schädlichen
Subventionen verabschieden, kann es auch sonst niemand. Einen echten
Unterstützungsbedarf
haben bei uns nur wenige – und die oben genannten
Maßnahmen sind alle keine gezielten Hilfen für Ärmere, sondern begünstigen auch
die Mittelschicht und oft sogar Reiche. Wenn, dann muss man gezielt Bedürftigen
helfen und nicht mit der Gießkanne allen.

Deutschland oder die EU als Ganzes sollten auch nicht den Wettbewerb mit den USA oder China als Grund nehmen, die
Energiepreise weiter herunterzusubventionieren. Es gibt andere, bessere Wege, einen
solchen Schutz des Außenhandels zu erreichen. Subventionen können Umweltziele meist nur dann
wirksam und zugleich ökonomisch effizient erfüllen, wenn sie eine weitgehend
neue Technologie entwickeln helfen. Will man etwa den grünen Wasserstoff
schneller in den Markt bringen und die diesbezügliche Forschung und den Markthochlauf
fördern, ergeben Subventionen auf beiden Seiten des Atlantiks durchaus Sinn. Für
bereits verfügbare, wenn auch noch wenig verbreitete Technologien ist es dagegen
ökologisch wirksamer, für die öffentliche Hand kostengünstiger und erhält die
allseitigen Vorteile eines offenen Wettbewerbs besser aufrecht, wenn man statt
Subventionen auf die Kombination von Emissionshandelssystemen mit Ökozöllen an den EU-Außengrenzen setzt und dadurch
gleiche Wettbewerbsbedingungen etwa für US- und EU-basierte Unternehmen
sicherstellt. Stört man sich dagegen daran, dass die USA versuchen, bei
staatlichen Beschaffungsmaßnahmen US-Produkte zu bevorzugen, kann man hiergegen
gegebenenfalls vor den Gerichten der Welthandelsorganisation vorgehen.

Trotz alledem werden manche einwenden, das sei vielleicht alles richtig,
aber durch den Ukraine-Krieg gebe es nun mal eine besondere Situation. Doch
auch das stimmt gerade nicht – es passiert aktuell wie gesehen genau das, was
lange prognostiziert worden ist. Und auch mit den Kriegsfolgen und mit der
Eindämmung des (von fossilen Verkaufseinnahmen abhängigen) Aggressors kommt man
weit besser zurecht, wenn man die Fossilen nicht durch Subventionen künstlich
im Markt hält, sondern den Erneuerbare-Energien-Ausbau noch stärker
beschleunigt als gerade geplant. Und vor allem, indem man radikal Energie einspart
und begreift, dass Freiheit, Klima und Weltfrieden so am besten gedient ist –
und der Versorgungssicherheit auch. Denn die sicherste Energieversorgung ist
die, die mit Energie möglichst intelligent und nicht verschwenderisch umgeht.
Ein dauerhafter Weg zur Versorgungssicherheit können fossile Energien, die es
in Deutschland nur in geringen Mengen gibt, ohnehin nicht sein. Niemandem etwas
zumuten zu wollen
, löst demgegenüber keines der beschriebenen
Probleme.