Energiekrise: Noch keine Entwarnung auf dem Gasmarkt

Die europäischen Energiepreise fallen und fallen. Der Strompreis liegt mit 74 Euro je Megawattstunde (Day ahead) fast wieder auf Vorkrisenniveau. Und auch der Gaspreis hat mit 25 Euro (TTF) den niedrigsten Stand seit September 2021 erreicht. Im vergangenen Jahr war er auf Rekordwerte geklettert und lag zeitweise bei mehr als 330 Euro, nachdem die Bundesregierung die Betreiber gezwungen hatte, Gas einzuspeichern. Außerdem gab es Infrastrukturengpässe in Nordwesteuropa, was dazu führte, dass unter anderem aus Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden nicht noch mehr Gas nach Deutschland transportiert werden konnte. Zwischenzeitlich schien die sonst so stabile Versorgung mit Blick auf den kommenden Winter plötzlich gefährdet.

Hanna Decker

Redakteurin in der Wirtschaft.

Inzwischen hat sich die Lage deutlich entspannt. Nicht nur die Preise sind gefallen, auch die Gasspeicher sind mit 73 Prozent gut gefüllt. Das hat verschiedene Gründe. Der vergangene Winter war einer der mildesten seit Beginn der Winteraufzeichnung, entsprechend wenig haben die Deutschen geheizt.

Aus Russland fließt weiterhin Gas nach Europa

Doch auch die Industrie hat weniger Gas nachgefragt: zum einen durch Effizienzmaßnahmen, zum anderen aber auch, weil etwa Chemiebetriebe ihre Produktion heruntergefahren haben. Im Stromsektor waren Kohlekraftwerke zwischenzeitlich anstelle der Gaskraftwerke eingesprungen. Eine Studie der Hertie School in Berlin hatte gezeigt, dass der Gasverbrauch in der zweiten Jahreshälfte um 23 Prozent gesunken war – deutlich mehr, als die meisten Fachleute zu Beginn der Energiekrise erwartet hätten.

Dass die Ausgangslage für den kommenden Winter gut ist, davon geht auch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) aus. Sie hat vom Beratungsunternehmen Prognos eine Monitoring-Studie zur deutschen Gasbilanz erstellen lassen, die der F.A.Z. exklusiv vorliegt. Aus der Studie wird deutlich, dass der Gasimport weiterhin auf stabilem Niveau ist – auch dank der zuletzt im Eiltempo geschaffenen LNG-Terminals an der deutschen Küste.

Das erste schwimmende LNG-Terminal war im November bei Wilhelmshaven in Betrieb genommen worden, es folgten die Terminals in Lubmin und Brunsbüttel. Weitere Terminals in Stade, Lubmin und Wilhelmshaven folgen voraussichtlich im Januar. LNG vom Weltmarkt kommt auch über Importhäfen in den Niederlanden, Belgien und Frankreich nach Deutschland. Außerdem ist der Import via Pipeline aus Norwegen im vergangenen Jahr gestiegen. Aus Russland fließt weiterhin Gas über die Ukraine sowie durch die Türkei nach Europa.

Aus Sicht der vbw bleiben trotz der aktuell hohen Füllstände Einsparbemühungen wichtig. „Die Gasbilanz zeigt, dass wir einen kalten Winter 23/24 ohne verhaltensbedingte Einsparungen zwar überstehen würden, dann aber die Zielwerte der Gasspeicher nicht zu halten wären“, sagt vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt.

Stärker vom globalen Gasmarkt abhängig

Eine Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität zu Köln zeigt, dass sich die europäischen Gaspreise mittelfristig wieder dem historischen Preisniveau annähern könnten, im Fall einer global stark sinkenden Nachfrage sogar schon bis 2026. Im Jahr 2030 erreichen die Preise in allen untersuchten Szenarien wieder das historische Niveau der 2010er-Jahre von weniger als 20 Euro. Anders als in der Vergangenheit könnten die Gaspreise in Europa und Asien in Zukunft auf vergleichbarem Niveau liegen. Im Gasexportland USA hingegen wird Gas laut Analyse dauerhaft günstiger sein. Für Europa werden Norwegen und die USA die wichtigsten Lieferländer.

Mit Blick auf den kommenden Winter kann EWI-Forscher David Schlund aber noch keine Entwarnung geben. Er weist darauf hin, dass Europa in Zukunft stärker am globalen Gasmarkt hänge als vor der Krise, etwa an der LNG-Nachfrage in China. Weitere wichtige Faktoren auf dem europäischen Gasmarkt seien, wie sich die Einspeisung der Erneuerbaren entwickele, in welchem Ausmaß französische Kernkraftwerke zur Verfügung ständen und wie sich die Nachfrage von Industrie und Haushalten entwickele. Auf der Angebotsseite sei es essenziell, dass die derzeit geplanten Regasifizierungskapazitäten in Europa sowie insbesondere die Verflüssigungskapazitäten in Exportländern wie den USA, Qatar, Australien und Kanada tatsächlich realisiert würden. „Aus dem Szenario einer Gasmangellage sind wir noch nicht ganz wieder raus“, sagt Schlund.

Source: faz.net