Energieforscher lehnen Grundlastkraftwerke ab

Grüner Wasserstoff soll nach dem Willen der Bundesregierung im kommenden Jahrzehnt Erdgas in der Stromerzeugung ablösen. Doch die Aussichten auf eine baldige Umsetzung schwinden, weil das grüne Gas und seine Derivate knapp und teuer sind und die geplanten Gaskraftwerke immer noch nicht zum Bau ausgeschrieben sind. Manchen, insbesondere in der Unionsfraktion, erscheint da die Idee verlockend, das bei der Verbrennung des Erdgases in den Kraftwerken entstehende klimaschädliche CO2 abzuscheiden und unterirdisch zu speichern (CCS). Auch in der vom Ampelkabinett beschlossenen Carbon-Management-Strategie ist diese Möglichkeit vorge­sehen. Obwohl es bislang noch keine Anlagen gibt, die über den Demonstrationsbetrieb hinaus sind, haben einige der renommiertesten deutschen Energieforscher ein solches Szenario nun einmal durchgespielt.

Und tatsächlich: Gaskraftwerke mit CCS könnten theoretisch, je nach Entwicklung der Baukosten, bis zum Jahr 2045 in großem Umfang realisiert werden und dann auch – insbesondere im Winter – zur Stromerzeugung beitragen, schreiben die Angehörigen von Leo­poldina, Acatech und Union der deutschen Akademien der Wissenschaften in einem am Dienstag veröffentlichten Impulspapier. „Die industrielle Expertise ist in Deutschland weitgehend vorhanden“, heißt es darin. Der Wasserstoffbedarf könnte um 22 Terawatt­stunden (40 Prozent) reduziert werden im Vergleich zu einem Referenzszenario, das vor allem auf den ambitionierten Ausbau von Photovoltaik, Windrädern, Batterie- und wasserstoffbasierten Langfristspeichern sowie flexible Verbraucher setzt. Auch müsste 20 Prozent weniger Strom importiert werden.

Stromnetz müsste trotzdem weiter ausgebaut werden

Doch das Szenario der Forscher ist mit vielen „Abers“ verbunden. Politisch erwünscht und in den gängigen Energiesystemszenarien vorgesehen sind eigentlich Gaskraftwerke, welche die Spitzenlast abdecken, also flexibel einspringen können, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Technisch handelt es sich um Gasturbinen, die wegen der hohen Gaspreise und des relativ geringen Wirkungsgrades zwar hohe Grenzkosten haben, aber vergleichsweise schnell und günstig zu errichten sind. Gerade Letzteres erscheint mit Blick auf den geplanten Kohle­ausstieg von Bedeutung. Außerdem können Gasturbinen schnell angefahren werden und sind sehr gut regelbar, was im Zusammenspiel mit Erneuer­baren besonders wichtig ist. Ob die von den Forschern untersuchten Gas- und Dampf-Kombikraftwerke (GuD) hinge­gen ebenso flexibel betrieben werden können, bleibt in der Studie offen. In der Regel ist ihr Bau deutlich aufwen­diger und teurer als der einfacher Gasturbinen.

Doch das ist nicht das einzige Pro­blem im Szenario mit Erdgas und CCS. Für den Transport kontinuierlich anfallender Mengen CO2 zu einer Lagerstätte müssten die Kraftwerke an eine Pipeline angeschlossen werden. Zwar hatte die Ampelkoalition beschlossen, ein rund 5000 Kilometer langes Transportnetz zu errichten. Doch dieses müsste „deutlich größer dimensioniert werden, wenn nen­nenswerte CO2-Mengen aus der Stromerzeugung hinzukämen“, heißt es im Papier. Dagegen dürften Umweltverbände Sturm laufen. Erst Mitte November hatten mehr als 70 Organisationen und Bürgerinitiativen einen Brandbrief an Bundestag und Bundesrat geschrieben und davor gewarnt, die Novelle des Kohlendioxid-Speichergesetzes zu beschließen. Mit Milliarden an Steuergeld für CCS würde der Ausstieg aus fossilen Energien verschleppt oder sogar verhindert. Hinzu kommt: Auch die Netze für Strom und Wasserstoff müssten in ei­nem Szenario mit Erdgas und CCS weiter für sehr viel Geld (aus-)gebaut werden, warnen die Forscher.

Risiken für Kostensteigerungen und Verzögerungen

Sehr kritisch sehen die Forscher der drei Akademien auch andere Grundlastkraftwerke, allen voran den Neubau von Kernkraftwerken in Deutschland. Zusammen mit Braunkohlekraftwerken hatten sie in Deutschland traditionell die Grundlast abgedeckt, also den Verbrauch, der durchgehend mindestens zu decken ist. Aktuelle Projekte in anderen Ländern lägen „meist wesentlich über dem Zeit- und Kostenplan“. Auch der Chef des Energieversorgers EnBW, Georg Stamatelopoulos, hatte in dieser Woche im Interview mit der F.A.Z. auf die teuren Neubauprojekte Hinkley Point (Großbritannien), Flamanville (Frankreich) und Olkiluoto (Finnland) verwiesen und Kernenergie als „keine wirtschaftliche Alternative“ bezeichnet.

„Insgesamt würden Grundlastkraftwerke die Systemkosten nicht sub­stanziell verändern“, sagte Karen Pittel vom Ifo-Institut abschließend bei der Vor­stellung des Papiers. „Tendenziell wären die Risiken für Kostensteigerungen und Verzögerungen aber höher als beim Erneuerbaren-Ausbau, weil sie sich schlechter skalieren lassen und Erfahrungen fehlen.“ Die Geothermie sei in Deutschland besser zur Bereitstellung von Wärme als zur Stromerzeugung geeignet. Und Kernfusion könne aller­frühestens nach 2045 nennenswert zur Stromversorgung beitragen; belastbare Aussagen zur Wirtschaftlichkeit ließen sich kaum treffen. Ihre Botschaft an die Politik: Der Zubau von Grundlastkraftwerken sei „mit einer rein marktwirtschaftlichen Finanzierung wenig realistisch“. Und: Aufgrund der nicht vorhandenen volkswirtschaftlichen Kosten­­­vor­teile „ergäbe sich die Frage, welcher Mehrwert durch eine solche staatliche Förderung erzeugt würde“. Eine sichere Energieversorgung sei auch ohne Grund­lastkraftwerke möglich.