„Empire of AI“ von Karen Hao: Das Imperium schlägt zurück
Alle im Silicon Valley reden über KI, doch niemand kennt eine Antwort auf die scheinbar simpelste Frage: Was ist KI überhaupt? Womöglich, lautet ein Vorschlag, ist sie ein technisches System, das einigermaßen menschlich klingt. Womöglich ist KI aber auch eine Maschine mit Bewusstsein, gar mit Seele und/oder übermenschlichen kognitiven Fähigkeiten. Womöglich auch nicht. Fest steht aber für die meisten Beobachter, dass KI die Zukunft ist, in die wir auf eisernen Schienen fahren, völlig unvermeidbar, höchstens ein wenig gestaltbar.
Die US-amerikanische Journalistin Karen Hao macht in ihrem neuen Buch einen anderen Vorschlag. Womöglich, schreibt sie, ist KI weder künstlich noch intelligent. Womöglich ist sie ein Produkt menschlicher Arbeit und natürlicher Ressourcen, die sich einige der entwickelnden Konzerne in unterschiedlichen Abstufungen von Gesetzlosigkeit und Gewalt angeeignet haben. Womöglich ist KI also im Kern ein politisches Projekt, ein Machttrip weniger und sehr mächtiger Männer im Silicon Valley, die im Namen einer goldenen Zukunft über Leichen und Ruinen gehen. Künstliche Intelligenz, schreibt Karen Hao, ist ein Imperium.
Haos in der Techbranche lang erwartetes Buch Empire of AI – Dreams and Nightmares in Sam Altman’s Open AI folgt zwei Strängen, die die Tech-Journalistin kunstvoll miteinander verbindet. Da ist zunächst ein äußerst detailliertes Portrait von OpenAI: von dessen Gründung 2015 als Non-Profit-Organisation über die Ausgründung der gewinnorientierten Tochtergesellschaft OpenAI Global im Jahr 2019, die Egotrips der Co-Gründer Sam Altman und Elon Musk, die Kontroversen und Machtkämpfe, bis in die Gegenwart. Das schiere Detailwissen, das Hao aus ihrer jahrelangen Tech-Berichterstattung und den über 300 Interviews, auf denen ihr Buch beruht, bezieht, quillt aus jeder Seite und zwingt einen förmlich zur aufmerksamen Lektüre. Schon allein deshalb ist Empire of AI lesenswert.
Doch dann ist da auch Haos aufmerksame Nachverfolgung der komplexen Dynamiken und externen Effekte des globalen KI-Hypes, den OpenAI 2022 mit der Veröffentlichung des Chatbots ChatGPT lostrat. Stück für Stück entwickelt das Buch eine Theorie, laut derer die Logik künstlicher Intelligenz keine technologische ist. Sondern eine imperiale.
Die neokoloniale Ordnung der KI
Hao meint das keineswegs metaphorisch, wie man vielleicht sagen würde, wenn man über Elon Musks „Business-Imperium“ spricht. Sie vergleicht das Vorgehen der KI-Unternehmer unmittelbar mit der Kleptokratie, die sich ehemalige Kolonialreiche im Namen ihrer westlichen, vermeintlich zivilisatorischen Mission erlaubten. „Die Imperien der künstlichen Intelligenz üben nicht dieselbe offene Gewalt und Brutalität aus“, schreibt Hao, doch würden auch sie sich kostbare Ressourcen ungefragt unter den Nagel reißen. „Die Arbeit von Künstlerinnen und Autorinnen; die Daten unzähliger Menschen, die online über ihre Erfahrungen und Beobachtungen berichten; das Land, die Energie und das Wasser, die benötigt werden, um gigantische Rechenzentren und Supercomputer zu betreiben.“
Hao zufolge ist OpenAI die Speerspitze dieser neokolonialen Ordnung. 2015 wurde das Unternehmen gegründet, um eine künstliche Superintelligenz „zum Wohle der Menschheit“ zu entwickeln, wie die hauseigene Charta stolz verkündete – ein Gründungsmythos, der nach einer immer stärkeren Hinwendung zu Markt und Profitmotiv inzwischen selbst von den gutwilligsten Beobachtern angezweifelt wird. Auf dem Weg dorthin hat OpenAI, wie Hao in ihrem Buch minutiös nachvollzieht, mehrere der schlimmsten Praktiken der KI-Branche eingeführt. Allen voran die Idee: Bigger is better.
„Unser Erfolgsgeheimnis passt auf ein Reiskorn“, zitiert Hao Mitarbeiter von OpenAI, die damit auf ein einziges Wort anspielen: Größe. Denn zwischen den KI-Modellen GPT-2 und GPT-3 erhöhte das Unternehmen die Datenmenge, mit der die KI trainiert wurde, um ein Vielfaches. Während GPT-2 noch mit relativ qualitativen Texten trainiert worden war – die von menschlichen Click-Arbeitern in tendenziell armen Ländern für die KI vorsortiert werden mussten –, war diese Art des Kuratierens für das Training von GPT-3 nicht länger möglich. Es brauchte derart astronomische Mengen an Texten, dass OpenAI entschied, im Grunde das gesamte Internet an die KI zu verfüttern – inklusive aller düsteren Aspekte. In der Qualitätskontrolle der Modelle fand laut Hao also ein „Paradigmenwechsel“ statt: „Weg von der Filterung der Inputdaten, hin zur Kontrolle der Outputs.“