Eisenhüttenstadt: Wählt Deutschlands erste sozialistische Stadt zusammenführen AfD-Gemeindevorsteher?
Vor dem gelben Trabi liegt ein roter Teppich, über den Tom Hanks gerade von der Lindenallee zum Friedrich-Wolf-Theater geschritten ist. Die Lindenallee ist Eisenhüttenstadts Magistrale, ganze 50 Meter breit, und damit wie der große, neoklassizistische Theaterbau vermeintlich überdimensioniert für eine 24.000-Einwohner-Stadt. Doch Hollywood-Star Hanks war 2011 wirklich hier, ganz im Osten Brandenburgs, zu Besuch. Später outete er sich in einer US-Talkshow als Fan der ersten sozialistischen Planstadt Deutschlands. Tom Hanks kam 2014 wieder und kaufte sich einen Trabant, nicht in Gelb, sondern himmelblau.
An diesem Oktoberabend 2025 ist eine Performerin des Theaterkollektivs Panzerkreuzer Rotkäppchen in die Rolle von Hanks geschlüpft. Im Theater läuft die Generalprobe zur Hüttenstadt Elegie. Das Kollektiv aus Berlin gibt mit mehr als 100 Eisenhüttenstädter Tänzerinnen und Sängern, mit riesigem aufblasbarem Karl-Marx-Kopf und Elektrobeats eine Gala zu 50 Jahren Friedrich-Wolf-Theater. Es ist eine Feier der Geschichte von einem der allerersten Gebäude dieser Stadt, die der III. SED-Parteitag vor 55 Jahren im märkischen Sand zu errichten beschlossen hatte. Als Heimat für die Arbeiter des neuen Eisenhüttenkombinats Ost, des „EKO“, das die Industrie der jungen DDR so dringend brauchte. Das Theaterstück stellt auch die Frage nach Eisenhüttenstadts Zukunft.
Eine Antwort darauf werden am Sonntag nach der Premiere die Bürger der Stadt geben. Dann steht die Stichwahl um das Bürgermeisteramt an. Die erste Runde hat der AfD-Kandidat mit 38 Prozent, elf mehr als der Zweitplatzierte, gewonnen. Die rote Stadt steht kurz davor, blau zu werden.
„Dirty Dancing“ war in der DDR ein Hit – auch in Eisenhüttenstadt standen sie Schlange
Drinnen im Theater ist die Germania zum Leben erwacht, eine zwölf Meter hohe Stahlblech-Skulptur gegen Nationalismus und Chauvinismus, die seit dem 50-jährigen Stadtjubiläum am einen Ende der Lindenallee thront. In der Hüttenstadt Elegie gibt eine stahlfarben kostümierte Schauspielerin die Germania. Sie schlängelt sich im Rollstuhl durch die Tänzerinnen im Foyer. Ein paar Meter weiter sitzt eine Garderobiere und erzählt mit schriller Stimme von den Höhepunkten der Geschichte des „FriWo“, das nie nur Theater war, sondern Kulturpalast, Kino, Feierstätte zahlreicher Jugendweihen, Konzertsaal.
Hier traten Frank Schöbel und Dean Reed auf, der in die DDR übergesiedelte US-Sozialist küsste dabei eine Zuschauerin. Hier standen sie 1989 die Lindenallee hinauf Schlange für den Film Dirty Dancing. Der war in der DDR ein noch größerer Hit als in der BRD. Damals hatte Eisenhüttenstadt gerade den Höhepunkt seiner Einwohnerzahl erreicht, von 0 auf 53.000 in dreieinhalb Jahrzehnten.
Heute gilt die Stadt mit ihren weitläufigen begrünten, autofreien Innenhöfen inmitten der schmucken drei-, vier-, fünfgeschossigen Wohngebäude samt Kaufhalle oder Kita als größtes Flächendenkmal Deutschlands. Vor allem die Treuhand-Schrumpfung des Stahlwerks hat die Einwohnerzahl um mehr als die Hälfte sinken lassen. Doch die Kulisse erstrahlt noch immer, dank Sanierungen und behutsamem Rückbau.
Im Frühjahr hatte sich die Dramaturgin von Panzerkreuzer Rotkäppchen zwei Monate lang jede Woche mit Sonnenschirm vor das Theater gesetzt, um sich von Passantinnen erzählen zu lassen, was sie mit dem Haus verbinden. Es hat ein wenig gedauert, aber bald kamen die Eisenhüttenstädterinnen immer wieder zu ihr, nun mit Fotoalben unterm Arm und Erinnerungen wie der an den Dean-Reed-Kuss im Kopf.
Gleich nebenan trifft sich der AfD-Stammtisch
Vom Theatervorplatz sind es keine 100 Meter zum Balkan-Grill in einer Nebenstraße. Zeitgleich zur Generalprobe trifft sich dort die AfD. Ihr Bürgermeisterkandidat Maik Diepold hat zum Stammtisch geladen. An der Wand des Hinterzimmers hängt eine Landschaftsmalerei aus den Alpen, 20 Menschen sitzen hier an den zu einem U zusammengeschobenen Tischen. Ein Drittel Frauen, ein Fünftel unter 40, die meisten älter als 60. „Am Sonntag wird die rote Stadt blau“, sagt Diepold, und dann werde von Eisenhüttenstadt her Vernunft einkehren in Deutschland.
Blau ist auch das „Team Maik“-Shirt der blonden AfD-Ortsvorsitzenden, die am Wahlsieg noch Zweifel hat. Sie steht vor den Tischen und zeigt per Beamer Folien mit Tabellen voller Zahlen: Berechnungen, wie wahrscheinlich ein AfD-Sieg noch ist, wenn sich die ausgeschiedenen Bewerber in einer Stichwahl gegen deren Kandidaten verbünden. Fazit: Es wird äußerst eng am Sonntag. Diepold könnte auch knapp verlieren. Umso wichtiger sei es, mit möglichst vielen Beobachtern in den Wahllokalen präsent zu sein, vor allem bei der Auszählung der Briefwahlstimmen. Nur an denen hatte Diepold in der ersten Runde nicht den höchsten Anteil erhalten. Überall, wo die Eisenhüttenstädter ihre Stimme direkt abgaben, lag er klar vorn.
Die AfD fürchtet Wahlbetrug mittels Briefwahlstimmen
Zwölf von 22 Wahllokalen habe man da mit Beobachtern abdecken können, sagte die Ortsvorsitzende. Würde dies bei der Stichwahl bei allen Wahllokalen gelingen, wäre es bundesweit eine Premiere. Wenn es vor Ort zu Schwierigkeiten mit den Wahlhelfern komme, solle man diese bitten, die Wahlleiterin der Stadt anzurufen, die sei integer und würde sich kümmern. Das Gros der AfD-Anhänger im Raum ist hörbar überzeugt, ihr Kandidat könne Opfer von Wahlbetrug werden. Diepold selbst weist auf die Whatsapp-Gruppe zur Wahlbeobachtung hin. Wer ihr nicht angehört, könne noch aufgenommen werden, vor dem Wochenende würden die Freiwilligen dort dann auf die Wahllokale verteilt.
Der 49-Jährige im schwarzen, gestreiften Hemd, mit akkurat gestutztem Bart und silber-schwarzer Brille sagt dann noch ein paar abschließende Worte. Er will die Wirtschaft stärken, die Binnenschifffahrt beleben und „den Abwärtstrend in Eisenhüttenstadt stoppen“. Wie wäre es außerdem – scheint er einer spontanen Eingebung zu folgen –, die 1945 zerstörte Oder-Brücke wiederaufzubauen und aus der gern als Parkplatz genutzten Schotterpiste im Zentrum einen Stadtpark mit Brunnen, Bänken und Büschen zu machen?
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Den Rückbau von Brandenburgs größter Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete hier am Rand Eisenhüttenstadts hat er früh im Wahlkampf versprochen, obwohl dies allein in der Macht der Landesregierung liegt, nicht in der des Bürgermeisters. Die Kapazität der Einrichtung wurde über die vergangenen Jahre vervierfacht, aktuell sind von 2.216 Plätzen mit knapp 1.000 weniger als die Hälfte belegt.
Das hier im März mit dem Bund eingerichtete Dublin-Zentrum für Menschen, die in anderen EU-Staaten registriert wurden und dorthin abgeschoben werden sollen, ist auf 250 Personen ausgelegt; vor allem infolge der Zurückweisungen an der Grenze war es zuletzt im September nur mit elf Personen belegt. Brandenburgs Landesinnenminister René Wilke hat angekündigt, die Kapazität auf 60 Plätze zu reduzieren. Im Balkan-Grill bei der AfD meldet sich noch ein älterer Mann gleich mehrmals entschieden zu Wort und wiederholt: „Maik, du kannst dich auf uns verlassen, wir werden dich auch nach dem Wahlsieg unterstützen!“
CSD- und Klimademos in Eisenhüttenstadt
Zurück im Friedrich-Wolf-Theater: Ein AfD-Wahlsieg ist das, was Al Titzki fürchtet. „Aber wenn es dazu kommt, werde ich dagegenhalten.“ Titzki, 24, ist in Eisenhüttenstadt geboren und geblieben. Sein Vater gilt als Mann hinter dem Erfolg der Kinderrevue Snowys Abenteuer, die jedes Jahr um Weihnachten das Theater füllt. Die künstlerische Leitung der Revue hat Al mit 15, nach dem frühen Tod des Vaters, übernommen. Der Schneemann fehlt auch in der Hüttenstadt Elegie nicht, ihn spielt Al Titzkis Bruder, er selbst hat die musikalische Leitung übernommen und steht ebenso auf der Bühne. „Was hier passiert, ist megacool“, sagt der Komponist, Sänger und Vertretungslehrer. Daran würden Titzki und seine Mitstreiter*innen aus dem Club Marchwitza gern anknüpfen.
Das „Marchi“ ist eines der wenigen Angebote für junge und einer der wenigen Safe Spaces für queere Menschen in der Stadt, entstanden in der DDR durch die freiwillige Arbeit von Anwohnern und Arbeiterinnen, heute getragen vor allem von Ehrenamtlichen wie Titzki. Er leitet dort die Musicalwerkstatt. Aus seiner Schul-Abschlussklasse sind die meisten weggezogen aus Hütte, „viele klagen, dass es für junge Menschen kaum Angebote gibt“. Im Marchwitza aber gibt es sie, von der Kreistanz-AG über Konzerte bis zur Graffiti-Gruppe. Aber alles stehe ständig unter dem Druck prekärer Finanzierung. Titzki hat in den vergangenen Jahren CSD-Paraden, Klima- und Antifaschismus-Demos mitorganisiert. Er gehört der Fraktion aus Grünen und Linken in der Stadtverordnetenversammlung (SVV) an und kennt die dortigen AfD-Abgeordneten. Auffallen würden die meisten von ihnen nur durch dämliche Fragen und diskriminierende Äußerungen. „Ich hoffe einfach, dass es am Sonntag Marco wird.“
Zwei Mitbewerber haben die Wahl des parteilosen SPD-Kandidaten empfohlen
Marco Henkel ist der zweite Kandidat in der Bürgermeister-Stichwahl. Er tritt für die SPD an, zu deren SVV-Fraktion er auch zählt, ist aber parteilos, wie Titzki. Die beiden ausgeschiedenen Kandidaten des ersten Wahlgangs, ein CDU-Mann und ein Einzelbewerber, haben zu Henkels Wahl aufgerufen.
Der hat für ein Treffen dasCafé Delizia ausgewählt, gleich hinter der Lindenallee und der Schotterpiste, die sein AfD-Gegenkandidat Diepold zum Stadtpark umwandeln möchte. Vor Monaten war hier noch das SPD-Büro untergebracht, jetzt hat eine Frau ein Café eröffnet, dessen Frühstückskarte nicht nur wegen der Hafermilch an Berlin-Mitte erinnert. Gehen Henkels Pläne auf, gäbe es in Eisenhüttenstadt sicher bald mehr solcher Orte. Denn der 58-Jährige will junge Menschen in die Stadt holen, gern „in großer Zahl, Künstler zum Beispiel, für die es in Berlin, Leipzig oder Dresden doch immer weniger Freiräume gibt“.
Freiräume und günstige, leere Wohnungen stehen in Eisenhüttenstadt reichlich zur Verfügung – und nicht nur das: „Wo in Ostdeutschland gibt es denn sonst eine 24.000-Einwohner-Stadt mit solch einem Theater, solch einer Bibliothek, solch einer Schwimmhalle, mit einem Jugendclub wie dem Marchwitza und einer privat betriebenen Freilichtbühne?“, sagt Henkel. Und mit einem großen städtischen Krankenhaus, ließe sich ergänzen – wobei dem inzwischen die Geburtsstation fehlt, weswegen in Geburtsurkunden von Eisenhüttenstädter*innen heute nicht mehr ihre Heimatstadt, sondern eher Frankfurt (Oder) steht.
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Gefehlt hat der Stadt auch lange eine Idee für das legendäre Hotel Lunik. Ein Spekulant ließ es jahrelang leerstehen und herunterkommen. Inzwischen hat eine städtische Wohnungsbaugesellschaft das Gebäude zurückgekauft. Jetzt finden dort Ausstellungen, Café-Treffs und Performances statt. Auch die ehemalige Schülergaststätte Anger kaufte eine Wohnungsbaugenossenschaft, sie dient jetzt als Ausstellungsort und Ideenwerkstatt.
Das kostenlose Probewohnen erregte international Aufmerksamkeit
Als die Stadt in diesem Jahr zum kostenlosen Probewohnen in zwei möblierten Wohnungen lud, gingen innerhalb weniger Wochen 1.700 Bewerbungen aus aller Welt ein. Jetzt laufen die Vorbereitungen für eine größere Neuauflage des Projekts, das sogar internationales Medienecho auslöste. „Wir glauben hier ja oft selbst nicht, was für eine tolle Stadt wir haben!“, ruft Marko Henkel. Auch Touristen kommen immer mehr: „Wir hatten hier bis vor einiger Zeit vier Stadtführer, inzwischen sind es 16.“ Was die von den Eindrücken der Besucher erzählten, stehe im Widerspruch dazu, was er von Bewohnern oft höre. Die Touristen schwärmten, wie sauber, ordentlich und freundlich es hier sei, manche Einheimische hingegen beklagten, es sei dreckiger und gefährlicher als früher. In der ersten Runde der Bürgermeisterwahl lag die Beteiligung nur knapp über 50 Prozent.
Dass Resignation, Aggressivität und Gehässigkeit zugenommen haben, bemerkt Henkel im Wahlkampf an Online-Kommentaren. „Das ging in der Corona-Zeit los, als es plötzlich nur noch richtig oder falsch gab. Wir müssen wieder mehr miteinander statt übereinander reden.“ Er will eine wöchentliche Sprechstunde anbieten, die Wirtschaftsförderung neu aufstellen, den Campus für Gesundheitsberufe stark ausbauen und kann sich vorstellen, auf Eisenhüttenstadts breiten Straßen autonomes Fahren zu erproben.
Doch er weiß auch, dass die Spielräume dafür von dem Ort abhängen, dem die Stadt ihre Entstehung und die bis heute stolze Infrastruktur verdankt: vom Stahlwerk, und damit von den Energiepreisen und der für diese mitverantwortlichen Bundes- und Europapolitik. Dass die EU-Kommission am Vortag Zölle für Stahl-Importe angekündigt hat, registriert er mit Erleichterung. „Die Lage ist ernster, als viele denken“, sagt Henkel. Der gerade von der IG Metall vermeldete Tarifabschluss für die ostdeutsche Stahlindustrie sieht eine mickrige Entgelterhöhung von 1,75 Prozent vor und steht ganz im Zeichen der „Beschäftigungssicherung“.
11.500 Beschäftigte zählte das EKO zur Zeit der Wende, doch die westdeutsche Stahlindustrie an Rhein und Ruhr wollte sich mittels Treuhand nicht von ostdeutscher Konkurrenz behelligt wissen. In Eisenhüttenstadt verloren innerhalb weniger Monate 7.000 Menschen ihre Arbeit.
Im Stahlwerk hat keiner der Kandidaten gearbeitet. Brüche in der Erwerbsbiografie um 1990 herum kennen sie trotzdem beide
Heute liege die letzte größere Ansiedlung von neuem Gewerbe schon 16 Jahre zurück, sagt Marko Henkel. Noch der vorvorletzte und in Eisenhüttenstadt von vielen gut erinnerte Bürgermeister Rainer Werner holte ein Papier- und Verpackungsunternehmen in die Stadt. Bei dem arbeitet AfD-Kandidat Maik Diepold heute als Sachbearbeiter im Altpapier-Einkauf.
Beide in Eisenhüttenstadt geborenen und gebliebenen Kandidaten teilen die Erfahrungen einer Erwerbsbiografie mit vielen Wendungen um 1990 herum: Henkel, Jahrgang 1967, leistete damals seinen Wehrdienst erst bei der NVA, dann bei der Bundeswehr ab, zuvor hatte er eine Ausbildung zum Schiffbauer absolviert. Er arbeitete dann in der Baufinanzierung, wurde Autoverkäufer, entschied sich für eine kaufmännische Ausbildung im IT-Bereich und ist heute Teamleiter bei einer Firma aus der Banken- und Finanzbranche.
Maik Diepold, Jahrgang 1975, absolvierte eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei den Fürstenberger Fleischwaren und arbeitete dort bis zu deren Pleite. Er ließ sich, so beschreibt es ein Porträt der Märkischen Oderzeitung, zum Versicherungsfachmann ausbilden, wechselte mehrmals die Branche und den Arbeitgeber, verkaufte etwa Kosmetika und Industrielacke, bevor er in der Papierfabrik anheuerte.
Brüche kennen beide, auch ohne im Stahlwerk gearbeitet zu haben. Dieses gehört heute zum börsennotierten ArcelorMittal-Konzern mit Sitz in Luxemburg und hat noch 2.700 Beschäftigte. Die Umrüstung auf Elektroöfen für die Produktion von grünem Stahl hat der Konzern im Juni abgesagt, der Betriebsrat trug das mit. Dessen Vorsitzender war lange Zeit kommunalpolitisch für die SPD aktiv, zur Bürgermeister-Stichwahl wollte er sich auf Freitag-Anfrage nicht äußern.
Friedrich Wolf kritisierte 1929 Paragraf 218 und die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen
ArcelorMittal zählt zu den Förderern der Hüttenstadt Elegie. Ohne Förderung wäre die wilde Jubiläumsgala im Friedrich-Wolf-Theater nicht zu stemmen gewesen. Dort neigt sich die Generalprobe dem Ende zu, auf der Bühne im großen Saal zitiert eine Schauspielerin aus Cyankali, dem Stück des Namensgebers des Theaters. Friedrich Wolf war Mediziner und Dramatiker. In Cyankali kritisierte er 1929 die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen mittels Paragraf 218, führte die gesundheitlichen Folgen in der Illegalität vorgenommener Abbrüche vor Augen und sorgte damit für großes Aufsehen. „Wo sind heute die Männer wie Freddy Wolf, die sich für den Uterus interessieren, obwohl sie selber keinen haben?“, heißt es im Stück.
Auf der Bühne steht auch Manfred Zahn, er spielt sich selbst und singt, Zahn ist im Eisenhüttenstädter Volkschor aktiv. Heute hat er ein paar Stunden freigenommen für die Generalprobe, musste zwischendrin aber nochmal rüber ins Stahlwerk. Dort arbeitet er seit 1985 als Projektleiter, hat am Aufbau des letzten aktiven Hochofens 5A mitgewirkt und jetzt noch ein Jahr bis zur Rente. Er kennt noch die Zeit, als „Eisenhüttenstadt eine sehr junge Stadt war und man kaum Alte gesehen hat“. Das sei der große Unterschied: „Heute sieht man vor allem ältere Leute mit dem Rollator.“ Doch auch er glaubt an das Zukunftspotenzial Eisenhüttenstadts, sonst wäre er nicht hier. Ganz am Ende singt der 64-Jährige mit dem 40 Jahre jüngeren Al Titzki im Duett. Der Titel des Liedes lautet „I have a dream“.