Einigung in Ägypten: Die Hamas ist nicht vernichtet, sondern Verhandlungspartner
Kurz bevor der diesjährige Friedensnobelpreisträger bekannt gegeben wird, kann Donald Trump für sich beanspruchen, einen weiteren Krieg beendet zu haben. Und diesmal nicht irgendeinen bewaffneten Konflikt, sondern den in Gaza
Eine Frau in den Trümmern des zerstörten 15-stöckigen Al-Susi-Towers in Gaza-Stadt
Foto: Omar Al Qattaa/AFP/Getty Images
Das seit zwei Jahren andauernde Zerstören und Sterben, Vernichten und Verzweifeln könnte tatsächlich ein Ende haben. Im Gazastreifen zeichnet sich eine Feuerpause ab, aus der ein dauerhafter Waffenstillstand, womöglich sogar „dauerhafter Frieden“ werden kann, wie Donald Trump glaubt.
Wenn der US-Präsident bei seiner Zählweise bleibt – und nichts spricht dagegen – könnte dank seiner Vermittlung mittlerweile der achte Krieg beendet werden. Dass es nicht die Vereinten Nationen sind, denen das gelang, ist dem momentanen Zustand der internationalen Ordnung oder einer Zeit geschuldet, die mehr denn je von Großmächten und deren Interessen abhängt, als dem kollektiven Willen der Staaten, auf berechenbare und rechtskonforme Beziehungen. Die UN-Charta hat ihre beste Zeit wohl hinter sich, aber deshalb nicht ausgedient.
Netanjahu ist zu Konzessionen genötigt
Wer ehrlich ist, sollte eingestehen, dass Normen des Rechts und die Interessen von Staaten immer schon kollidierten. Allerdings gerieten sie kaum je derart aneinander wie im Augenblick. Donald Trump hätte – gemessen an der Lage in Gaza – seinen Friedensplan schon am ersten oder zweiten Tag seiner Präsidentschaft vorlegen müssen und durchsetzen können. Allein humanitäre Gründe hätten ihn dazu veranlassen sollen.
Dass er jetzt Frieden stiften will, hat mit der Tatsache zu tun, dass die rückhaltlose, fast schon frivole Unterstützung für Israel den Beziehungen zur Arabischen Halbinsel schwer zu schaden begann. Nach dem israelischen Luftangriff auf Katar Anfang September allemal. Netanjahu hat es sich selbst zuzuschreiben, nun zu Konzessionen – auch gegenüber der Hamas wie den Palästinensern – genötigt zu sein, die noch vor einem Monat undenkbar schienen.
Das Einschwenken der Hamas auf die Trump-Agenda zahlt sich aus
Zu guter Letzt muss er hinnehmen, dass die Hamas nicht vernichtend geschlagen ist, stattdessen mit ihr verhandelt werden muss und das ergebnisträchtig. Die indirekten Sondierungen in Ägypten haben ergeben, dass in Kürze alle israelischen Geiseln durch die Hamas freigelassen werden, während im Gegenzug palästinensische Gefangene, darunter 250 zu lebenslanger Haft Verurteilte, aus israelischem Strafvollzug freikommen.
Ein Austausch, bei dem die Hamas geltend machen kann (und wird), dass sie ihre Gefangenen nicht bedingungslos übergibt. Und dass sie noch mehr bewirken konnte. Ihr Einschwenken auf die Trump-Agenda hat sich ausgezahlt. Vieles spricht dafür, dass es nun eine Waffenruhe für den Gazastreifen geben kann.
Wenn es zugleich heißt, dass sich die israelischen Streitkräfte auf eine „vereinbarte Linie“ zurückziehen, deutet das auch auf ein Ende jüngster Kampfhandlungen hin. Es hätten sich die Angriffe auf Gaza-Stadt und die beabsichtigte Eroberung dieser Agglomeration erledigt. Benjamin Netanjahu hat diese Absicht bislang als unverzichtbar bezeichnet, weil nur so das alles entscheidende Kriegsziel – die vollständige Vernichtung der Hamas – zu erreichen sei.
Stattdessen soll es eine sofort einsetzende humanitäre Hilfe für die notleidenden Palästinenser in Gaza geben. Die Vorhaben, sie zu deportieren und Israel den nächsten Gebietszuwachs durch Okkupation zu verschaffen, scheint keine realistische Option mehr zu sein. Hat das mehr als den Anschein einer Niederlage für Israel? Für seine Regierung trifft das allemal zu, deren Bestand nur dann gesichert ist, sollten die Rechtsextremen um Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich auch jetzt nicht ausscheren.
In Trümmerfeldern kann das Überleben zur Qual werden
Noch erscheint jeder resümierende Blick auf diesen Krieg verfrüht. Er wird weitergehen, auch wenn die Waffen schweigen. Nicht nur in der Erinnerung der beteiligten wie betroffenen Palästinenser. Sie alle eint die kollektive Erfahrung, wie leichtfertig und gnadenlos man geopfert werden kann, wenn anderswo allen Ernstes geglaubt wird, eine „Staatsräson“ entschädige für Schuld, Untätigkeit und Ohnmacht.
Keine Frage, in Trümmerfeldern kann das Überleben zur Qual werden, auch wenn man nicht mehr von einem Ort zum anderen fliehen muss, um Bomben und Granaten zu entgehen. Das Herumirren in den Ruinen eines verschütteten Daseins wird dauern. Heimkehr zum Frieden, getränkt von der Gewissheit, davongekommen zu sein, aber Strandgut des Krieges zu bleiben. Und nicht dagegen gefeit zu sein, dass sich alles wiederholt – früher oder später.