Einigung im Tarifstreit – VW will mehr als 35.000 Stellen abbauen

Es war der längste Verhandlungsmarathon in der Geschichte des Volkswagen-Konzerns. Rund 70 Stunden haben IG Metall und Management um eine Lösung im Streit um Stellenabbau, Standorte und Tarifeinschnitte gerungen. Mehrere Nächte verhandelten sie durch, nur unterbrochen durch kurze Schlafpausen, bevor am Freitagmorgen erstmals von einer „Annäherung“ die Rede war. Am Nachmittag schaltete sich das Präsidium des Aufsichtsrats zusammen, dem neben Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) auch Betriebsratschefin Daniela Cavallo und die Sprecher der Aktionärsfamilien angehören, Wolfgang Porsche und Hans Michel Piëch.

Am Abend dann der Durchbruch: Wie VW und die IG Metall auf zwei separaten Pressekonferenzen mitteilten, haben sie einen Kompromiss geschlossen, der einerseits erhebliche Einsparungen vorsieht, andererseits betriebsbedingte Kündigungen bis zum Jahr 2030 ausschließt.

Demnach sollen 35.000 Stellen abgebaut werden, sozialverträglich über Instrumente wie Altersteilzeit und Abfindungsprogramme. Die Gewerkschaft hat sich mit der Idee eines solidarischen Fonds durchgesetzt, in den Entgelterhöhungen vorübergehend eingezahlt werden. Das Geld soll helfen, die Arbeitszeit abzusenken, wenn Standorte schwach ausgelastet sind.

„Schmerzliche Beiträge der Beschäftigten“

Das Ergebnis zeige, „dass bei Volkswagen Veränderungen gegen den Willen der Belegschaft zum Scheitern verurteilt sind“, sagte der Verhandlungsführer der Gewerkschaft, Thorsten Gröger, in Hannover. „Wir haben in großer Verantwortung nun ein Paket geschnürt, das schmerzliche Beiträge der Beschäftigten beinhaltet, aber im gleichen Atemzug Perspektiven für die Belegschaften schafft.“ Vom Konzern hieß es, man habe mit der Einigung „entscheidende Weichen für die Zukunft“ gestellt.

Europas größter Autokonzern hatte im September angekündigt, seine Effizienzprogramme drastisch verschärfen zu wollen, um auf Wettbewerb und schwache Nachfrage zu reagieren. Schon nach dem Dieselskandal hatte es Schritte in diese Richtung gegeben. Damals wollte VW rund 23.000 Stellen in Deutschland abbauen, doch aus Sicht des Managements gelang das nicht hinreichend. Jetzt habe man verbindliche Abmachungen geschlossen, um die Kosten zu senken, hieß es am Freitag. Gleichzeitig werde die Kapazität der Fabriken in Summe um rund 730.000 Fahrzeuge verringert, was in etwa einem großen Werk wie Wolfsburg entspricht. Die Standorte sind derzeit schlecht ausgelastet. Das belastet die Rendite.

Eine Schließung ganzer Standorte hatte die Gewerkschaft stets ausgeschlossen. Doch zumindest will VW in zwei vergleichsweise kleinen Werken künftig nicht mehr produzieren. Für die Fabrik in Osnabrück soll ein Käufer gesucht werden. Die „Gläserne Manufaktur“ in Dresden könnte mit örtlichen Partnern zu einem Zentrum für Halbleitertechnik und autonomes Fahren umgebaut werden. Besonders hart kommt es für das Elektroautowerk in Zwickau, das die Kompaktwagen ID.3 und Cupra Born an Wolfsburg abgibt. Künftig bleibt dort nur ein Modell von Audi.

Zwickau soll Verluste ausgleichen

Die Standorte in Niedersachsen, so argwöhnt die Belegschaft im Osten, genießen dagegen größeren Schutz durch das am Konzern beteiligte Bundesland. Emden kann mit  mehr Volumen für den elektrischen Stadtgeländewagen ID.4 rechnen. Auch Wolfsburg dürfte wohl einen Teil der Fahrzeuge aus Zwickau übernehmen. Zudem wird das Werk von 2029 an mehrere E-Modelle auf einer neuen technischen Plattform rund um den geplanten elektrischen Golf herstellen. Doch auch dem Stammsitz des VW-Konzerns drohen große Umbrüche, denn die Produktion des Verbrennermodells Golf soll von 2027 an nach Mexiko verlagert werden.

Sowohl VW als auch die Gewerkschaft betonten, dass sich das Umfeld rasant verändert. Man sehe mehr und mehr protektionistische Tendenzen, sowohl im Verhältnis zu Amerika als auch zu China, sagte Gröger von der IG Metall. Der Konzern betonte, man müsse Investitionen in zukünftige Modelle stemmen und brauche dafür dauerhafte Einsparungen. Konkret soll die Einigung mit der Gewerkschaft das Ergebnis mittelfristig um mehr als 15 Milliarden Euro im Jahr entlasten.

Im Kern drehten sich die Gespräche um einen neuen Haustarif für rund 120.000 Beschäftigte der Volkswagen AG, ein organisatorischer Überbau des Konzerns mit Standorten in Niedersachsen und einem Komponentenwerk im hessischen Baunatal. Die IG Metall hatte ein Entgeltplus von sieben Prozent gefordert, der Konzern eine pauschale Senkung um zehn Prozent.

Nun werden im Wesentlichen die Eckdaten des Flächentarifs der Metall- und Elektroindustrie übernommen. Er sieht  eine Erhöhung um fünf Prozent vor, doch fließt das Plus zunächst nicht an die Beschäftigten, sondern in den Zukunftsfonds. Um auch in Zukunft ein Druckmittel gegen Entlassungen in der Hand zu haben, hat die Gewerkschaft Folgendes ausgehandelt: Gebe es nach 2030 keine Anschlussvereinbarung für die Beschäftigungsgarantie, habe sich VW verpflichtet, eine Milliarde Euro an die Beschäftigten auszuschütten, so die IG Metall.