Eine postwestliche Weltordnung ist nicht zwingend hinauf den Westen angewiesen


Die Präsidenten Emomalij Rahmon aus Tadschikistan, Wladimir Putin aus Russland und Xi Jinping aus China (vorn, von links nach rechts) bei der Begrüßung in Tianjin

Foto: Sergei Bobylev/Tass/picture alliance


Der Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit SCO hat sich einem neuen Multilateralismus verschrieben, der eine globale Anarchie verhindern soll


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Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Der Michail Gorbatschow zugeschriebene Satz ist nach dem Untergang der DDR oft und allzu oft genüsslich zitiert worden. Damit bescheinigte man einer DDR-Führung, in Schmach und Schande regiert zu haben, weil sie innere Reformen verweigerte und zu Recht abstürzte.

Tatsächlich begann schon vor 1989 der sich anbahnende Abgang der bipolaren Welt die Existenz des zweiten deutschen Staates zu unterlaufen. Reformen konnten das nicht aufhalten, wie sich zeigen sollte, als es sie gab. „Zu spät“ gab? Oder war „das Leben“ auf Bestrafung aus, weil es ehernen Gesetzen genügte?

Heute ist dem politischen Westen ein ähnliches Trippeln an der Abbruchkante einer Zeitenwende beschieden – als Bündnis, System und globaler Akteur. Auch hier kämen Reformen wohl „zu spät“, zumal es an politischen Einsichten fehlt, die solchen Zäsuren gewöhnlich vorangehen. Donald Trump ist kein Gorbatschow, aber wie der schert er aus, um infrage zu stellen, was ihm nicht mehr zeitgemäß, zu aufwendig und in seinem Fall zu wenig Amerika-tauglich erscheint.

Wie der Ostblock ohne das schützende Dach der Sowjetunion zerfiel, lebt der politische Westen ohne US-Alimente und -Wohlwollen über seine Verhältnisse. Er kann sich Referenzprojekte wie die Ukraine ebenso wenig leisten wie Aufrüstungsprogramme, die hoch verschuldete EU-Staaten in den Bankrott treiben.

Man sollte die SCO-Staaten nicht als periphere Exoten belächeln

Da kann es hilfreich sein, sich dem diesmal heraufziehenden Übergang – dem zu einer neuen, multipolaren Weltordnung – zu öffnen, anstatt von außen vorschreiben zu wollen, wer dabei sein darf und wer nicht. Xi Jinping, Wladimir Putin und Narendra Modi jedenfalls sind dabei, wie sie sich händeschüttelnd und -haltend beim Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) mit Genugtuung versichert haben.

Dieser Staatenbund vertritt 40 Prozent der Weltbevölkerung, erbringt eine über den EU-Werten liegende Wirtschaftsleistung und steht ebenso wie die Mitglieder von BRICS-plus für den Anspruch auf eine Weltordnung, die keiner desaströsen Anarchie verfällt. Präsident Xi sagte als Gastgeber des SCO-Gipfels in seiner Eröffnungsrede, man baue am „neuen Modell eines wahren Multilateralismus“. Im Vorgriff darauf versteht sich die SCO als strategische Allianz über Kontinente und Interessengegensätze hinweg, die wie bei Indien und Pakistan oder Indien und China bis zum bewaffneten Konflikt führen können.

Doch besteht das Paradigmatische wie Zukunftsfähige der SCO gerade darin, sich davon nicht vereinnahmen zu lassen, sodass friedensstiftende Kompromisse möglich sind. Die Shanghai-Staaten haben sich ausdrücklich mit der UNO solidarisiert, was aufhorchen lässt, weil die Weltorganisation derzeit in einem Maße missachtet wird und bedroht ist, wie noch nie, seit es sie gibt.

Man sollte nicht vergessen, dass der politische Westen bisher immer mit dem Werte- und normativen System koexistiert hat, wie es die UN-Charta vorgibt. Nun aber sind es ausgerechnet die USA, die ihr Verhältnis zu den Vereinten Nationen dem „America First“-Dogma unterordnen, Mitgliedsbeiträge verweigern, Israel in seiner Agenda bestärken und internationale Beziehungen als rechtsfreien Raum sehen. Allein deshalb sollten die SCO- oder auch die BRICS-Staaten weniger als periphere Exoten belächelt denn als potenzielle Partner beachtet werden. Wie das Attribut andeutet, ist ihre postwestliche Welt nicht zwingend auf den politischen Westen angewiesen.