Eine kleine Geschichte der Politikerrücktritte
Am Ende war dann doch alles zu viel. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat nach wochenlanger Kritik an ihrer Person, ihrer Amtsführung und ihrem politischen Einfühlungsvermögen ihren Rücktritt erklärt. Sie beklagte die „monatelange mediale Fokussierung“ auf ihre Person, die Bundeswehr und ihre Soldaten müssten im Vordergrund stehen. Ihnen wünsche sie „von Herzen alles erdenklich Gute für die Zukunft“. Ein Eingeständnis eigener Fehler war das nicht.
Minister treten selten freiwillig zurück, noch seltener gestehen sie dabei Fehler ein. Und doch: Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Ministerrücktritte in einer Legislaturperiode eher die Regel denn die Ausnahme sind. Minister stellen ihr Amt zur Verfügung, weil sie ein höheres Amt in der Fraktion übernehmen wollen, gesundheitliche Probleme haben oder in seltenen Fällen Platz machen wollen für einen Jüngeren. Häufiger aber treten sie zurück, weil sie nicht mehr zu halten sind. Die Gründe sind dann meist politischer oder persönlicher Natur – und da wird es spannend.
Der berühmteste Rücktritt
Es gibt Politikerrücktritte, die sind so spektakulär, dass man sich noch Jahrzehnte später an sie erinnert. Besonders anfällig dafür: Verteidigungsminister. Bestes Beispiel: Franz Josef Strauß. Nachdem der „Spiegel“ unter der Überschrift „Bedingt abwehrbereit“ über die atomaren Planungen der Bundeswehr berichtet hatte, durchsuchten Polizisten dessen Redaktionsräume. Mehrere leitenden Redakteure wurden festgenommen. Der Vorwurf: Landesverrat.
Strauß ließ wissen, „nichts, im buchstäblichen Sinne nichts“ mit der Sache zu tun zu haben – musste dann allerdings eingestehen, persönlich für die Festnahme des Verfassers gesorgt zu haben. Ein Vorgehen „etwas außerhalb der Legalität“, fand Innenminister Hermann Höcherl. Doch trotz Regierungskrise und Verstoß gegen die Pressefreiheit hielt Kanzler Konrad Adenauer (CDU) an Strauß fest. Erst als alle fünf FDP-Minister zurücktraten, verzichtete dieser auf sein Ministeramt.
Einen weiteren Abgang für die Geschichtsbücher legte Rudolf Scharping (SPD) hin. In seinem Fall ging es nicht um eingeschränkte Pressefreiheit. Vielmehr hätte Scharping sich im Nachhinein wohl gewünscht, etwas weniger freizügig mit den Medien umgegangen zu sein.
Denn bis heute ist seine Amtszeit mit Planschfotos aus einem Swimmingpool auf Mallorca verbunden, die Scharping in zärtlicher Zweisamkeit mit seiner Lebensgefährtin zeigten – zu einem Zeitpunkt, als die Bundeswehrsoldaten sich auf ihren Einsatz in Mazedonien vorbereiteten. Urlaubssperre inklusive.
Scharping hielt sich dann zwar noch mehr als ein Jahr im Amt, aber das Vertrauen war verspielt. Am Ende kostete ihn eine vergleichsweise nichtige Affäre um Honorarzahlungen das Amt. „Die notwendige Basis für eine gemeinsame Arbeit in der Bundesregierung ist nach meiner Auffassung nicht mehr gegeben“, teilte Bundeskanzler Schröder mit, als er den Bundespräsidenten um Scharpings Entlassung bat.
Etwas weniger spektakulär, aber zumindest ungewöhnlich: der Rücktritt von Franz Josef Jung (CDU). Der legte sein Amt als Arbeitsminister nach nur viereinhalb Wochen nieder – wegen der Kundusaffäre, die ihn vom Verteidigungsministerium ins neue Amt verfolgt hatte. Er übernehme damit die politische Verantwortung, sagte Jung bei seinem Rücktritt. Seine Amtszeit ist die kürzeste eines Ministers in der Bundesrepublik. Jungs letzten Worte, bevor er die bundespolitische Bühne verließ: „Haben Sie vielen Dank.“
Der gefallene Superstar
Und dann ist da natürlich Karl-Theodor zu Guttenberg, ebenfalls ein Amtsvorgänger von Lambrecht. Das einstige CSU-Wunderkind hatte in seiner Dissertation über weite Strecken abgeschrieben, unsauber zitiert, plagiiert. Nicht fahrlässig, sondern vorsätzlich, wie die Universität Bayreuth später feststellte. Zugeben wollte er das nicht.
In einer Fragestunde des Bundestages gab Guttenberg sich vielmehr reumütig, verwies auf eine Mehrfachbelastung durch Dissertation, politische Tätigkeit und kleine Kinder und bat die Universität um die Rücknahme des Doktortitels. „Würde los“, titelte die Berliner Zeitung. Kurz darauf trat Guttenberg als Verteidigungsminister zurück. „Ich war immer bereit, zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht“, sagte er zum Abschied. Er hatte nicht nur die Grenzen seiner Kräfte erreicht, sondern auch die der Bereitschaft von Bundeskanzlerin Merkel (CDU), sich weiter vor ihn zu stellen.
Guttenberg führt eine ganze Reihe Politiker an, deren Doktorarbeiten – vorsichtig gesprochen – Unsauberkeiten aufweisen. Viele von ihnen haben ihren akademischen Titel mittlerweile verloren, einige wie Guttenberg auch ihr Amt. Nicht allen hat es geschadet.
Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) etwa trat von ihrem Amt zurück, nachdem ihr die Doktorwürde aberkannt worden war. Ein Rücktritt, den Merkel – anders als bei Guttenberg – nach eigenen Worten nur „sehr schweren Herzens“ angenommen hat. Ein Jahr später wurde Schavan deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl in Rom.
Und noch eine weitere Ministerin verlor Merkel durch eine Plagiatsaffäre. Die Kritik an der Doktorarbeit von Franziska Giffey war schon zwei Jahre alt, als sie ob der anhaltenden Diskussion darüber als Familienministerin zurücktrat. An ihrer Spitzenkandidatur für die Berliner Abgeordnetenhauswahl hielt sie fest – die landespolitische Hintertür sozusagen. Heute ist Giffey Regierende Bürgermeisterin.
Eine Hintertür offen halten wollte sich auch Norbert Röttgen (CDU), der 2012 bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen ein desaströses Ergebnis für die CDU einfuhr – und dennoch Umweltminister bleiben wollte. Die Kritik an dem angeschlagenen Minister war massiv, insbesondere CSU-Chef Horst Seehofer wollte keine Ruhe geben. Einen gesichtswahrenden Rücktritt lehnte Röttgen allerdings mehrfach ab. Schließlich warf Kanzlerin Merkel ihn aus dem Kabinett. Journalisten berichten, die Pressekonferenz dazu habe nur eineinhalb Minuten gedauert.
Übrigens: Eben jener Horst Seehofer ist – neben seinem Parteifreund Andreas Scheuer – ein Beispiel für die beliebte Disziplin des Nicht-Zurücktretens. Beide schienen während ihren Amtszeiten oft als kaum noch zu halten, die Rücktrittsforderungen wurden von Tag zu Tag schriller. Doch sie saßen das Problem aus, blieben im Amt und schieden erst nach der verlorenen Bundestagswahl aus.
Source: faz.net