Ein Notstopfen für die Pflege

Mit der knapp fristgerecht beschlossenen Reform der Pflegeversicherung zeigt sich die Ampelkoalition handlungsfähig. Allerdings ist das allein kein Qualitätssiegel für ein Gesetz, das vor allem ein weiterer Notstopfen für die gesetzliche Pflegeversicherung ist und außerdem einem Verfassungsurteil nachkommt.

Die Karlsruher Richter hatten bestimmt, dass der generative Beitrag, den Eltern mit mehreren Kindern zur Stabilisierung des Pflegesystems leisten, von Juli an stärker anerkannt werden muss. SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach nutzte die Vorgabe und den damit verbundenen Einigungsdruck geschickt. Er gewährt Eltern ab dem zweiten Kind nun (befristet) einen Beitragsrabatt, allen anderen bürdet er über höhere Beiträge fast 7 Milliarden Euro jährlich mehr auf – eine heftige Zusatzlast in Zeiten von Inflation und Wirtschaftsflaute.

Zusammen mit finanziellen Verschiebetricks verschafft der Minister der Pflegekasse genügend Geld, um einige Leistungsversprechen zu erfüllen und sich über die Wahlperiode zu retten, bevor neue Lücken klaffen. Die Ampelkoalition macht hier also genau das, was sie der Wirtschaft im Klimaschutz vorwirft: Sie handelt kurzsichtig. Sie verweigert sich, wie Merkels Regierungen, der schwierigen Aufgabe, eine tragfähige Lösung zu suchen.

Der Staat kann nicht alles leisten

Überfällig wäre eine ehrliche Debatte darüber, was die bloß als Teilkasko angelegte Versicherung auf Dauer leisten kann und soll. Mit der Zahl der Pflegefälle wachsen die Ansprüche an gute Pflege. Die hohen Erwartungen enttäuscht unweigerlich auch das neue Gesetz – trotz der Milliarden.

„Wir verdoppeln die Ausgaben für die Pflege alle acht Jahre“, sagte Lauterbach zur Beschwichtigung. Was aber folgt daraus? Unschwer ist zu erkennen, dass es so nicht weitergehen kann. Die Ampel vertagt die Antwort in eine Kommission.

Kein Wunder: Geht es nach SPD und Grünen, sollen wie in der Kranken- und Rentenversicherung Bundeszuschüsse die Löcher stopfen. Höhere Steuern oder neue Schulden lehnt die FDP zurecht ab. Sie redet, wie in der Rente, einem staatlich organisierten Kapitalstock das Wort. Aber Geld und Zeit sind auch dafür zu knapp.

Wo bleibt die Einsicht, dass der Sozialstaat gerade mit der Pflegeversicherung zu vielen zu viel versprochen hat? Nötig sind Reformen, die sich am Kriterium echter Bedürftigkeit orientieren und Hilfen für jene beschränken, die sie eigentlich nicht brauchen. Dass der Staat nicht alles leisten kann, ist eine Binsenweisheit. Wahr ist sie leider trotzdem.

Source: faz.net