Ein Mann, ein Mythos: Männerfreundschaft, welches soll dasjenige sein?

Ein paar Tage in den Bergen, gutes Essen, Gespräche und Stille – wie ich lernte, dass Freundschaft zwischen Männern anders sein kann, als man denkt


Niemand würde „Frauenfreundschaft“ sagen. Frauen haben Freundinnen, Männer haben andere Männer

Foto: Ahmet Oguzhan Yilmaz


Neulich war ich im Urlaub. Ich fuhr mit einem Freund in eine Stadt in den Bergen, und da haben wir ein paar Tage lang gelesen, gegessen, geredet und geschwiegen – und sind wandern gegangen. Dann fuhr ich nach Hause und war sehr zufrieden. Und habe gemerkt, dass mich das überrascht.

Nicht, dass ich davon ausging, dass wir keine gute Zeit haben würden. Im Gegenteil, wir hatten vorher besprochen, wie wir uns die paar Tage Auszeit vorstellen, was wir uns wünschen und was nicht. Und wir hatten ähnliche Vorstellungen: kein Stress, gutes Essen, Bergluft. So lief es dann auch. Dazwischen: Gespräche über Politik und Geschichte, aber auch über Liebe und Freundschaft, über das Erwachsenwerden und die eigenen Ängste und Hoffnungen. So weit, so unspektakulär.

Oder?

Ich habe an dieser Stelle schon einmal über die Bedeutung von Männerfreundschaften geschrieben. Da ging es um die Notwendigkeit für Männer, auch außerhalb von romantischen Beziehungen zu Frauen tiefe Verbindungen aufzubauen, in denen Raum für Nöte und Zweifel, aber auch für Zuneigung, Wärme und Verständnis ist. Und natürlich halte ich mich an meine eigenen Ratschläge, was denn sonst. Aber mir ist im Nachgang zu dieser Reise noch etwas aufgefallen: nämlich all das, was diese fünf Tage enger Freundschaft nicht waren. Anders gesagt: Wie wenig sie meinem Bild einer Männerfreundschaft entsprachen.

Männerfreundschaft, das haben doch die echten Kerle

Wenn ich die Augen schließe und mir eine Männerfreundschaft vorstelle, sehe ich echte Kerle, die sich auf die Schulter klopfen und brummen, wenn man sie fragt, wie es ihnen geht. Die sich einen Kasten Bier reinstellen und das für Geselligkeit halten. Die verkatert aufwachen und nicht mehr wissen, wo ihr Auto ist. Diese Bilder sind ein Grund dafür, dass ich lange glaubte, ich könne mit anderen Männern nicht viel anfangen. Was ein Irrtum war.

Dass Freundschaft zwischen Männern als etwas Besonderes gilt, zeigt schon die Existenz eines eigenen Begriffs dafür. Niemand würde „Frauenfreundschaft“ sagen. Frauen haben Freundinnen, Männer haben andere Männer. Beim Versuch, besser zu verstehen, was eine Männerfreundschaft ist, und warum die Freundschaften, die ich mit Männern führe, augenscheinlich nicht in dieses Bild passen, stoße ich auf einen Artikel der FAZ vom Juni dieses Jahres. Männerfreundschaft, lese ich da, sei ein „Mythos“, der von einer „großen Erzählung“ lebe. „So gut wie jeder Mann“ habe „diesen einen in seinem Leben“: „Er findet ihn früh. Er hat ihn für immer.“

Männerfreundschaft soll also eine Art Schicksal sein, etwas Unerklärliches und Unerschütterliches. Man teilt ein Hobby und redet nicht viel. Dieser Mythos ist tatsächlich einigermaßen empirisch gedeckt. Aber er hat seine Tücken, denn die Empirie zeigt auch: Im Laufe seines Lebens hat ein heterosexueller Mann immer weniger männliche Freunde. Generell nimmt die Bedeutung von Freundschaften für Männer ab – auch das ein Grund für die „male loneliness epidemic“.

Vielleicht, denke ich, liegt das daran, dass Freundschaft eben keine mythische Erfahrung ist, sondern Tätigkeit. Dass es mehr braucht als einen mystifizierten Ursprung, aus dem sich Jahre des Schweigens und gemeinsamen Angelns oder meinetwegen Wanderns speisen. Auf links gedreht: Irgendwann sollte man aufhören, immer nur über den richtigen Weg zum Kommunismus zu reden, sondern auch mal über den richtigen Weg im eigenen Leben.