Ein Hoch aufwärts die Bürokratie

Dass Bürokratie schädlich sei, ist in diesen Tagen allenthalben Konsens. „Wir nach sich ziehen es übertrieben“, sagte Kanzler Olaf Scholz jüngst aufwärts dem Arbeitgebertag, und sein grüner Vize Robert Habeck formulierte es in seinem Strategiepapier für jedes die industrielle Zukunft des Landes so: „Die Bürokratie ist ausgeufert.“

Ralph Bollmann

Korrespondent für jedes Wirtschaftspolitik und stellvertretender Leiter Wirtschaft und „Geld & Mehr“ welcher Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Das was auch immer klingt nachher welcher missgünstigen Definition, die Meyers Konversationslexikon schon 1894 für jedes dasjenige B-Wort gab: „Bezeichnung für jedes eine kurzsichtige und engherzige Beamtenwirtschaft, welcher dasjenige Verständnis für jedes die praktischen Bedürfnisse des Volkes gebricht.“

Aber ist dasjenige wirklich so? Ist die Bürokratie dasjenige Problem – oder nicht doch viel ungefähr die Lösungskonzept? Wer im Zusammenhang Max Weber nachschlägt, dem Klassiker welcher Soziologie, stößt aufwärts eine völlig andere Sicht. Mit viel Pathos preist er in seinem nachgelassenen Monumentalwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“ dasjenige Räderwerk welcher technokratischen Vernunft. Im bürokratischen Prinzip sieht Weber die „formal rationalste Form welcher Herrschaftsausübung“, die „für jedes die Bedürfnisse welcher Massenverwaltung heute schlechthin unentrinnbar“ sei: „Man hat nur die Wahl zwischen ‚Bürokratisierung‘ und ‚Dilettantisierung‘ welcher Verwaltung.“


Bürokratie, dasjenige ist für jedes Weber die Ausübung von Geschäften nachher transparenten Prinzipien, im Zusammenhang lichtvoll abgegrenzten Kompetenzen, mit dem Recht welcher Beschwerde an übergeordnete Instanzen. Es ist die Abwesenheit jener Unfreiheit, die welcher Einzelne im vormodernen Personenverband erleiden musste. Und es ist die Abwesenheit von Willkür, wie sie in „unbürokratischen“ Systemen autoritärer Herrschaft besteht, die sich im gleichen Sinne heute wieder manche herbeiwünschen.

Das Bild, dasjenige Weber von welcher klassischen Moderne entwarf, schien in welcher Zeit einer vermeintlichen „Postmoderne“ vorbei zu sein, im Wortsinn überholt durch Beschleunigung und Individualisierung. Niemand redet im Zeitalter von Instagram und Tiktok noch von einem „Privatbeamten“ am Bankschalter oder in welcher Verwaltung eines Großunternehmens. Klein und beweglich sollten die neuen Organisationseinheiten sein, losgelöst von starren Hierarchien und einheitlichen Vorgaben.

Der Personalausweis ist kein Produkt

Darin stecken doch zwei Denkfehler. Zum verdongeln bleibt welcher Staat im gleichen Sinne im Zusammenhang noch so freundlichen Umgangsformen ein hoheitlicher Akteur. Der Personalausweis mag in welcher Sprache welcher Verwaltungsreformer heute ein „Produkt“ sein, dasjenige beim „Bürgerservice“ zu erstehen ist. Gefällt dem „Kunden“ dasjenige Plastikkärtchen doch nicht, ist es ihm zu teuer oder welcher Service zu schlecht, kann er nicht wie geschmiert zu einem anderen Anbieter wechseln. Daraus folgt, dass sich welcher Staat strikter an Regeln halten muss wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen.

Zum anderen: Wenn die Behörde verdongeln Landsmann begünstigt, belastet sie in vielen Fällen verdongeln anderen. Erteilt sie zum Beispiel dem Grundstücksbesitzer ganz unbürokratisch eine Baugenehmigung, wird dem Nachbarn unter Umständen welcher Ausblick versperrt. Erheben die Gesamtheit Landsmann den Anspruch aufwärts ein flexibles Entgegenkommen des Staates, nehmen die Konflikte kein Ende.

Deutschland hat eine große Tradition, welches eine leistungsfähige und an rechtsstaatliche Prinzipien gebundene Verwaltung betrifft. Andererseits ist im gleichen Sinne eine speziell harsche Bürokratiekritik hierzulande verbreiteter wie andernorts. Bisweilen gelten Beamte wie Verhinderer des vermeintlichen Volkswillens, sozusagen schon wie Gegner welcher Demokratie: Uns allen ginge es besser, wenn flexible Mitarbeiter in den Behörden den Bedürfnissen des einzelnen Bürgers entgegenkämen.

Gesetze sind geronnene Demokratie

Es ist hinwieder dasjenige Gegenteil welcher Fall. Die Gesetze, die welcher bürokratische Apparat ausführt, sind in Buchstaben gegossene Mehrheitsentscheidungen. Kreativität ist hier nicht gefragt. Der Rechtsstaat limitiert die Herrschaft welcher Mehrheit, er ermöglicht sie hinwieder zusammen im gleichen Sinne. Die Demokratie ist nicht möglich ohne ein Heer von Staatsbediensteten, die den Wortlaut welcher vom Souverän legitimierten Paragraphen strikt befolgen – die sich hinwieder im gleichen Sinne einem Regime willkürlicher „Maßnahmen“ in einem diktatorischen Regime widersetzen, sogar wenn sie sich aufwärts verdongeln tatsächlichen oder vermeintlichen Volkswillen stützen.

In welcher Weimarer Republik war es die nachher bürokratischen Prinzipien arbeitende preußische Verwaltung, die den Erlassen eines sozialdemokratischen Innenministers tatsächlich Folge leistete und die gegebene Verfassungsordnung verteidigte. In anderen deutschen Teilstaaten war die Bereitschaft welcher Beamten weit größer, ganz unbürokratisch die eigenen antidemokratischen Überzeugungen reichlich den Diensteid aufwärts die Verfassung zu stellen. Dass sich Staatsbeamte in allen Teilen des Reichs nachher 1933 in einem ohne Maß positivistischen Rechtsverständnis dem Unrecht beugten, steht aufwärts einem anderen Blatt.

Die Bürokratie lediglich garantiert noch keine funktionierende Demokratie. Ohne Bürokratie kann die Demokratie hinwieder nicht leben. Das exakte Befolgen vorgegebener Abläufe gibt den Beamten und Staatsbediensteten differenzierend wie oft behauptet keine eigene Macht, sie engstirnig ganz im Gegenteil deren Spielraum. Machen sie ihre Arbeit gut, einbringen sie sich wie Individuen zum Verschwinden.

Schlanke Bürokratie in Brüssel

Wird dasjenige in Bezug aufwärts Bund, Länder und Kommunen noch mehr schlecht als recht akzeptiert, so gilt „Brüssel“, allen voraus die Europäische Kommission, vielen wie abschreckendes Beispiel einer vielleicht von demokratischen Prinzipien losgelösten Bürokratenherrschaft. Eine solche Sichtweise erscheint ohne Rest durch zwei teilbar aus deutscher Perspektive kurios. Schließlich besitzen wir seitdem welcher Gründung des Nationalstaats 1871 eine Länderkammer, die dasjenige Inkrafttreten vieler Gesetze von welcher Billigung durch gleichfalls partizipativ gewählte Landesregierungen hörig macht – wie im Europäischen Rat in Brüssel. Was daran undemokratisch sein soll, erschließt sich im Zusammenhang näherem Hinsehen nicht.

Hinzu kommt, dass ebendiese bürokratischen Abläufe von einem herausragend schlanken Brüsseler Apparat koordiniert werden. Lediglich 32.000 Beschäftigte funktionieren für jedes die Europäische Kommission, dasjenige ist ein Viertel weniger wie in welcher Münchner Stadtverwaltung. Verwandt verhielt es sich in anderen erfolgreichen Imperien welcher Weltgeschichte. Das Römische Reich welcher Antike kam für jedes den gesamten Mittelmeerraum ebenfalls mit rund 30.000 Zivilbeamten aus, schätzen moderne Historiker. Und dasjenige British Empire schaffte es sogar, mit nur tausend eigenen Beamten den gesamten indischen Subkontinent zu verwalten.

Trotz welcher bescheidenen Größe ist die anonyme Maschinerie eines solchen bürokratischen Apparats mehr wie jede andere Institution in welcher Lage, mit den Problemen einer komplexen Gesellschaft umzugehen. Gerade ihre Gefühllosigkeit erweist sich am Ende wie menschenfreundlich. Die römischen Beamten ließen sich beim Bau von Straßen und Wasserleitungen ohne Rest durch zwei teilbar nicht von lokalen Besonderheiten oder Empfindlichkeiten Eindruck machen.

Nur so kam die Bevölkerung des Römerreichs überall in den Genuss einer entwickelten Infrastruktur. Auch die Bewältigung von Naturkata­strophen kann nur gelingen, wenn sich die Nothelfer nicht von welcher Flut des Elends hinwegspülen lassen. Ist dagegen von „unbürokratischer“ Hilfe die Rede, wird sie vermutlich unprofessionell ausfallen – oder dasjenige Geld gelangt an die falschen Adressaten.

Wie Beamte den Kapitalismus schufen

Ohne Bürokratie ist nicht nur die moderne Demokratie unvorstellbar, sondern im gleichen Sinne welcher moderne Kapitalismus. Er ist es, welcher nachher Weber – „nicht: nur er, hinwieder doch und unleugbar: er vor allem“ –den Bedarf nachher stetiger, straffer, intensiver und kalkulierbarer Verwaltung geschaffen hat. „Nur welcher Kleinbetrieb könnte ihrer weitgehend entraten.“ Der kapitalistische Großbetrieb kann ohne strikt formalisierte Abläufe nicht funzen. Daran hat sich solange bis heute nicht viel geändert. Obwohl sich die Verwaltungsangestellten welcher Großkonzerne längst nicht mehr wie Privatbeamte verstehen, sind sie mehr denn je in ein Geflecht von Regeln eingesponnen.

Effektiv ist hinwieder nicht nur die interne Bürokratie welcher Unternehmen unverzichtbar, sondern im gleichen Sinne ihr öffentliches Pendant: Der moderne Verwaltungsstaat hat den Kapitalismus historisch erst ermöglicht. In den vormodernen Systemen welcher traditionalen Herrschaftsausübung kategorisch Abhängigkeitsverhältnisse nicht nur reichlich die Verteilung politischer Macht, sondern im gleichen Sinne reichlich die Zuweisung ökonomischer Ressourcen.

Erst mit welcher Dynamisierung welcher politischen und ökonomischen Verhältnisse trat die Bürokratie aufwärts den Plan. Einen gewaltigen Bürokratisierungsschub setzten die preußischen Reformbeamten am Beginn des 19. Jahrhunderts nachher welcher Niederlage gegen Napoleon durch. Indem sie die Marktkräfte proaktiv entfesselten, wollten sie politisch und verlustfrei wieder aufwärts Augenhöhe mit dem westlichen Nachbarn kommen. Gerade in Deutschland hat sich welcher Kapitalismus keineswegs von lediglich entwickelt, er wurde von staatlichen Verwaltungen gegen viele Widerstände durchgesetzt.

In Griechenland fehlte Verwaltung

Das dauerte Jahrzehnte, und es war keineswegs überall von einem Sieg des preußischen Verwaltungsliberalismus gekrönt. Im Ganzen verlief dieser Prozess am Ende hinwieder triumphierend. Dem industriellen Nachzügler Deutschland gelang während des langen 19. Jahrhunderts ein beispielloser Aufholprozess. Erst in Preußen, dann im Zollverein und dem Deutschen Reich schufen Beamte verdongeln einheitlichen Markt mit einer vom Staat massiv geförderten In­frastruktur.

Welche Folgen die Unterbürokratisierung eines Landes für jedes dessen ökonomische Leistungsfähigkeit nach sich ziehen kann, ließ sich in welcher europäischen Staatsschuldenkrise seitdem 2010 am Beispiel Griechenlands beobachten. Das Land war schon in welcher ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem Verbund welcher osmanischen Vielvölkermonarchie ausgeschieden. Deshalb hatte es jenen Entwicklungsschub zu moderner Staatlichkeit nicht mehr mitgemacht, den die Resttürkei mit welcher Gründung eines modernen bürokratischen Verwaltungsstaats vor exakt hundert Jahren erlebte.

Die während welcher Schuldenkrise verbreitete Diagnose, dasjenige Land habe zu viel „Bürokratie“, ging in die Irre: Es fehlte ganz im Gegenteil ein Verständnis für jedes geregelte Verwaltungsabläufe wie Grundvoraussetzung für jedes erfolgreiches Wirtschaften wie für jedes eine funktionierende Demokratie, allen voraus funktionierende Grundbuch- oder Finanzämter.

Ohne Vorgaben wird es kompliziert

Auch in Staaten mit effizienterem Ruf macht eine vermeintlich schlanke Bürokratie die Dinge für jedes die Landsmann nicht unbedingt einfacher. Dass es zum Beispiel in den Vereinigten Staaten für jedes viele Bereiche weniger staatliche Vorgaben gibt, hat am Ende nur dazu geführt, dass privatwirtschaftliche Verträge etwa reichlich den Kauf von Immobilien oft verdongeln vielfach größeren Umfang nach sich ziehen wie in Deutschland: Heerscharen von Rechtsanwälten sind damit beschäftigt, jene Lücken zu füllen, die welcher Gesetzgeber ungeschützt ließ. Und dasjenige Deutsche Institut für jedes Wirtschaftsforschung kam in einer Studie jüngst zu dem Schluss, dass eine schlechte Verwaltung die Wirtschaft stärker gehandicapt wie viele Regeln.

Anders ist die Lage in den romanischen Ländern mit ihrer teils sehr ausgeprägten bürokratischen Tradition, etwa in Italien. Überall dort, wo schon im 18. Jahrhundert die aufgeklärte Administration welcher Habsburger wirkte, ist welcher Staatsapparat solange bis heute ziemlich lauffähig. Im Süden des Landes blieb es im Zusammenhang feudalistischen Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation, mit fließenden Übergängen zu mafiösen Strukturen, die mit dem Begriff welcher organisierten Kriminalität sehr harmlos umschrieben sind.

Die Aufrechterhaltung welcher bestehenden Ordnung wird dort mit Freude mit unbürokratischen Mitteln sichergestellt, vorzugsweise durch die Androhung von Gewalt. Eine solche Kultur welcher Staatsferne stellt nicht unbedingt verdongeln starken Anreiz für jedes ausländische Direktinvestitionen dar.

Weder eine stabile Demokratie noch eine funktionierende Marktwirtschaft ist ohne Bürokratie zu nach sich ziehen. Diesen Zusammenhang nach sich ziehen etwa die Demonstranten welcher Letzten Generation instinktmäßig erfasst, wenn sie unterschiedslos sowohl gegen private Konzerne Widerspruch erheben wie im gleichen Sinne staatliche Normen geistig übertreten. Der Protest gegen die bürokratischen Großgebilde entspringt einem menschlichen Bedürfnis, dasjenige sich seitdem dem Beginn des Bürokratisierungsprozesses immer wieder eruptiv zu Wort gemeldet hat. Er ist hinwieder myop.

Am Ende scheinen dasjenige im gleichen Sinne die neuerdings so bürokratiekritischen Ampelpolitiker verstanden zu nach sich ziehen. Analysiert man ihre Reden und Texte genauer, ist vom bloßen Abbau welcher Bürokratie nirgendwo die Rede. Hebt Scholz mit seinem „Deutschlandtempo“ mehr aufwärts die Geschwindigkeit ab, so spricht Habeck in seiner Industriestrategie lediglich vom Abbau „unnötiger“ Bürokratie. Am Ende scheinen dann im gleichen Sinne Kanzler und Vizekanzler verstanden zu nach sich ziehen: Ohne Bürokratie ist weder politische noch wirtschaftliche Freiheit erdenklich.