Ein bisschen Show muss sein: Habeck und Özdemir gehen in den Dschungel

Spektakuläre Bilder, bleibende Eindrücke und auch ein wenig Inszenierung: Auf dem Höhepunkt ihrer Brasilienreise besuchen Vize-Kanzler Habeck und Landwirtschaftsminister Özdemir ein Dorf im Regenwald. Der Hintergrund des Ausflugs könnte ernster nicht sein.

Als sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck an die Bugspitze des kleinen Schnellboots namens „Ingrid“ stellt, wäre der Hardrock-Klassiker „Welcome to the Jungle“ von Gunsn‘ Roses die perfekte Untermalung. Mit bis zu 80 Kilometern pro Stunde ballert „Ingrid“ den Rio Negro flussaufwärts. Begleitet wird die 20-Mann-Dschunke von einem Polizeiboot, dessen martialisch aussehende Besatzung das Maschinengewehr stets im Anschlag hält. Doch erstens würden selbst mannshohe Lautsprecher nicht gegen den Lärm von Wind und Motoren ankommen. Zweitens wäre die auf „Welcome to the Jungle“ folgende Zeile „we’ve got fun and games“ so gar nicht in Habecks Sinn. Es geht hier schließlich um die Rettung des Regenwaldes, nicht um „Spaß und Spiele“.

Die spektakulären Bilder vom Besuch des Regenwaldes östlich der brasilianischen Dschungelmetropole Manaus sind dennoch ganz im Sinne von Vize-Kanzler Habeck und seinem Begleiter, dem für Waldschutz zuständigen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Beide bereisen den Kontinent zum ersten Mal. Sie machen keinen Hehl daraus, dass der Regenwald auch Sehnsuchtsort ökologisch angetriebener Politiker wie ihnen ist. Nach rund einer Stunde wilden Wellenritts vorbei an Mangroven und dicht bewachsenen Regenwaldufern erreichen die Boote das 150-Seelen-Dorf Três Unidos.

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Mit dem Schnellboot ging es eine Stunde den Rio Negro hinauf.

(Foto: Sebastian Huld)

Hier, wo der Rio Cuieiras in den breiten Strom des Rio Negro mündet, lebt eine Gemeinschaft des indigenen Kambeba-Volkes. Junge Frauen empfangen den hohen Besuch am hellen Sandstrand in traditioneller weißer Kleidung, mit Gesang und mit Gesichtsbemalung: Ein Mädchen zeichnet den verdutzten Bundesministern Özdemir und Habeck Muster auf die Wangen. Die rote Farbe ähnelt der blutkupfernen Dschungelerde. Auch dem mit dem Wasserflugzeug eingetroffenen Gouverneur des Bundesstaats Amazonas, Wilson Miranda Lima, wird die traditionelle Ehrbekundung zuteil. Die Aufregung im Dorf hält sich dennoch in Grenzen: Regelmäßig bewirtet Três Unidos Touristen in einem kleinen, von einer Frauen-Gruppe geführten Hotel und Restaurant.

Kipppunkt rückt näher

„Ich bin Robert und das ist Cem, wir sind Minister“, stellt sich Habeck den Kindern und der Jugend vor, die sich zu dem kleinen Willkommensfest versammelt haben. „Wir sind aufgeregt zu erfahren, wie ihr im Wald lebt und ihn schützt“, erklärt der Vize-Kanzler und räumt ein, dass der Regenwald nicht zuletzt deshalb so wichtig geworden ist für die Welt, weil die Menschen in Europa ihren Wald „vor 1000 Jahren zerstört“ hätten. Auch Özdemir richtet ein paar freundliche Worte an die Gastgeber und sichert den jungen Indigenen zu. „Wir werden alles tun, damit ihr auch in Zukunft an diesem wunderschönen Ort in Sicherheit leben könnt.“

Zwingend wahrscheinlich ist das nicht: Mehr als 20 Prozent des ursprünglichen Amazonas-Regenwalds sind bereits Baumfällungen, Ackerflächen und Minen zum Opfer gefallen. Bei etwa 25 bis 30 Prozent Waldschwund erwarten Wissenschaftler das Erreichen eines Kipppunkts, an dem das System kollabiert. Der Wald könnte sich dann nicht mehr erholen und der für die Region so prägende Regen würde wegfallen. Dann bliebe nur noch die Äquator-Hitze, die einzigartige Artenvielfalt würde genauso verschwinden wie die Lebensgrundlage von Hunderten Millionen Menschen und die globale Klimaerwärmung würde zusätzlich drastisch beschleunigt.

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Ist zum ersten Mal in Südamerika: Robert Habeck

(Foto: dpa)

Die Grünen-Minister bereisen Brasilien auch deshalb, weil sie der Regierung unter Präsident Lula da Silva unbedingt zum Erfolg verhelfen wollen. Schließlich stand in Lulas Wahlprogramm das Ende der Entwaldung bis 2030, und wie Özdemir am Dienstag nach seinen Gesprächen mit Regierungsvertretern zu berichten weiß, spricht die aus diversen Parteien zusammengesetzte Regierung in der Regenwald-Frage „mit einer Zunge“. Habeck treibt diese Entschlossenheit der Brasilianer nach eigenem Bekunden Tränen in die Augen. Nach den Bolsonaro-Jahren gibt es wieder Hoffnung für den Amazonas und die Welt.

Was Deutschland tun kann

Dreierlei hat Deutschland zur Unterstützung des Regenwaldschutz-Vorhabens anzubieten: eine intensivierte Energie-Partnerschaft, insbesondere bei der Produktion von grünem Wasserstoff, zweitens vertiefter und nachhaltiger Handel durch die Umsetzung des angestrebten Freihandelsabkommens zwischen Europäischer Union und den Mercosur-Staaten sowie drittens aktive Unterstützung beim Kampf gegen die Entwaldung.

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Eine Kambeba verschafft Cem Özdemir eine Schutzbemalung.

(Foto: dpa)

Letzteres fällt hauptsächlich in Özdemirs Ressort: Nach Treffen mit beiden Agrarministern – dem für die industrielle und dem für die kleinbäuerliche Landwirtschaft – gibt Özdemir die Verlängerung des im Oktober auslaufenden Agrarpolitischen Dialogs bekannt. Im Herbst sollen die Verträge unterzeichnet werden für das Kooperationsprojekt, das Deutschland jährlich mit 2 Millionen Euro unterfüttern will. Ein neues Themenfeld wird dabei die Wiedernutzbarmachung von 50 Millionen Hektar Land, das durch intensive Viehhaltung zerstört wurde. So könnte die landwirtschaftlich aktiv genutzte Fläche Brasiliens verdoppelt werden, ohne den Regenwald zurückzudrängen.

Zudem begleitet das Bundeslandwirtschaftsministerium die Entwicklung einer EU-Verordnung, damit künftig nur noch entwaldungsfreie landwirtschaftliche Produkte auf den europäischen Markt gelangen. Ferner will die Bundesregierung Möglichkeiten ausloten, Brasilien beim Kampf gegen die illegale Abholzung zu unterstützen. Rund 90 Prozent des Waldschwunds gehen auf illegale Abholzung im Rahmen organisierter Kriminalität und auf Rodungen durch arme Kleinbauern zurück, allerdings nur zu einem Bruchteil auf die indigenen Waldbewohner.

Der Schutz des Amazonas-Gebiets sei wichtig, sagt Gouverneur Wilson Miranda Lima. Aber: „Wir müssen erstmal die Bürger schützen, die hier leben, die indigenen Völker, die Flussanrainer. Denn niemand kann den Wald besser schützen“, sagt der liberal-konservative Politiker. Die Menschen bräuchten hierfür Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, zu sauberem Wasser und zu Strom.

Und plötzlich ein Wolkenbruch

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Das Dorf hat Internetzugang.

(Foto: Sebastian Huld)

Wie das aussehen kann, demonstriert Três Unidos: In dem Dorf wurden vom Fonds zur Entwicklung des Amazonas (FAS), in den auch Deutschland einzahlt, Solarpaneele auf den Dächern finanziert. Es gibt Internet und so können Besucher mitten im Dschungel kunsthandwerkliche Produkte der Kambeba mit ihrem Handy bezahlen. Ein Vorgang, der in Deutschland schon wenige Kilometer außerhalb der Hauptstadt oft schon nicht mehr möglich ist.

Habeck und Özdemir sind sichtlich beeindruckt von dem Modelldorf. Selbstbewusst weisen die Bewohner darauf hin, dass die Stromversorgung längst nicht ausreicht, um auch Hotel und Restaurant zuverlässig zu betreiben. Solarpaneele oder Batterien hat der Besuch aus dem fernen Berlin aber nicht im Gepäck. Die beiden Minister haben vor allem Botschaften dabei.

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Zielsicher findet Habeck eine Ecke hinter einer Hütte, in der der Regenwald bis an den Dorfrand ragt. Für ein Fernseh-Statement stellt er sich vor die grüne Wand. Leider ist ihm Cem Özdemir beim Rundgang abhandengekommen und so muss er dem heimischen Publikum allein den Zweck des Ausflugs erklären. Es genüge nun einmal nicht, alles von Berlin aus per Telefon zu regeln. Es brauche die persönliche Begegnung mit den Verantwortlichen vor Ort und auch den persönlichen Eindruck. „Ich kann nicht 14 Tage durch den Regenwald wandern“, bedauert Habeck. „Das hier ist ein kurzer Versuch, ein Verständnis vom Leben im Regenwald zu bekommen.“

Dann mahnen die Botschaftsvertreter aber auch schon zur Eile: Der Minister muss zurück aufs Schnellboot und dann von Manaus aus weiterfliegen in die kolumbianische Hauptstadt Bogota. Ein plötzlicher Wolkenbruch, wie er typisch ist für den Regenwald, treibt die Delegation in Windeseile zurück zum Strand und von dort in die kleinen Boote mit ihren mächtigen Außenbordern. Die Fußspuren der Besucher im Sandstrand verflüchtigen sich im Regen. Den bleibenden Eindruck haben stattdessen die Minister – und wenn es in ihrem Sinne läuft, auch ein wenig die Menschen daheim in Deutschland. So viel Show muss wohl sein.

Source: n-tv.de