Ecuador | Ecuadors Linke im Krisenmodus: Zwist und Zurufe aus dem Exil
Die Partei des Ex-Präsidenten Rafael Correa und die indigenen Parteien sind nach der verlorenen Präsidentenwahl heftig aneinandergeraten. Ob damit künftig Wahlen gewonnen werden, ist stark zu bezweifeln
Daniel Noboa (ADN) siegte überraschend deutlich bei der Präsidentenwahl im April
Foto: Getty Images/Raul Arboleda
Der überraschend deutliche Sieg des Kandidaten Daniel Noboa bei der Präsidentenwahl im April hat in der ecuadorianischen Linken zu offenem Streit geführt. Eine notwendige Neuorientierung ergibt sich daraus bislang freilich nicht. Nutznießer ist der rechtsgerichtete Präsident. „Muss man denn immer alle fragen?“, poltert der ehemalige progressive Staatschef Rafael Correa, der bis heute aus dem belgischen Exil heraus die Partei Revolución Ciudadana (RC/Bürgerrevolution) führt. „Es gibt pure Eitelkeit, Dummheit und Illoyalität. Wer damit auffällt, sollte die RC besser verlassen.“
Correas Wut richtet sich gegen prominente Mitglieder, die vom Vorwurf des Wahlbetrugs nicht überzeugt sind. Er sei von der Annahme, man sei betrogen worden, völlig überrascht gewesen, als er neben der unterlegenen Kandidatin Luisa González auf der Bühne stand, bemängelte Quitos Bürgermeister Pablo Muñoz. Tatsächlich hat die RC-Spitze bisher keine überzeugenden Beweise vorgelegt, und öffentlicher Protest unterblieb. Sicher hat der wiedergewählte Daniel Noboa mit millionenschweren Bonus-Zahlungen, dem wiederholt ausgerufenen Ausnahmezustand und diversen Rechtsverstößen einen fairen Wahlkampf verhindert. Correa sei bei seinem Wahlkampf 2013 allerdings kaum weniger übergriffig gewesen, erinnert der unabhängige Analyst Luis Córdova.
„Ich bin Rafaelcorreísta“, sagt Aquiles Alvarez, Bürgermeister von Guayaquil, „aber ich bin niemandes Marionette.“ Das geht gegen Luisa González, der man vorwirft, zu sehr ein Sprachrohr des fernen Emigranten Correa zu sein. „In der Demokratie gewinnt man manchmal, manchmal verliert man. Und muss wissen, wie die Lage zu meistern ist“, so Marcela Aguiñaga, Präfektin von Guayas, der bevölkerungsreichsten Provinz des Landes. Sie sei lieber „das schwarze Schaf in der Partei“, als sich den Mund verbieten zu lassen. Die offene Debatte ist in den Reihen von Revolución Ciudadana nicht üblich, öffentliche Kritik an Rafael Correa schon gar nicht. Eine selbstkritische Analyse seiner Regierungszeit zwischen 2007 und 2017 sowie der letzten drei verlorenen Präsidentenwahlen wäre aber Voraussetzung für einen Wiederaufstieg der Partei.
Rassistischer Zungenschlag
Auch der Präsident der Indígena-Bewegung CONAIE beschwert sich über einige Funktionäre. „Eine Gruppe von Abgeordneten von Pachakutik hat die kollektiven Mandate und die Geschichte des Kampfes unserer Organisation verraten, indem sie sich mit den Eliten verbündete“, so Leonidas Iza. Sechs der neun Abgeordneten der Indígena-Partei Pachakutik unterstützten plötzlich Noboa.
Seine Verantwortung für die Wahlniederlage thematisiert der CONAIE-Chef freilich nicht. Iza habe „ein Abkommen erzwungen, das die bestehende Vielfalt der Bewegung nicht respektierte“, urteilt Pablo Ospina, Historiker an der Universität Simón Bolívar in Quito, der seit 30 Jahren über die Indígenas forscht. Er bezieht sich auf den Beistand der CONAIE- und Pachakutik-Führung für González gegen Ende des Wahlkampfes, obwohl das zwei große Konferenzen nicht klar beschlossen hatten. Die Mehrheit der Basis, der indigenen Wählerschaft und der führenden Kader sei gegen Correa. Die Stimmabgabe für Noboa bestätigte das.
Rafael Correa hat stets autonome Organisationen abgelehnt und die CONAIE, die stärkste soziale Bewegung des Landes, zuweilen mit rassistisch gefärbtem Spott überzogen. Er setzte auf Rohstoffausbeutung und Plantagenwirtschaft, was dem Staat eine stärkere Rolle zuerkannte, aber dazu führte, dass die Natur und damit die Lebensgrundlagen der bäuerlichen und indigenen Bevölkerung zerstört wurden. Deren Widerstand wurde vielfach kriminalisiert. Die CONAIE fordert demgegenüber, lokale Märkte zu beleben und es als Priorität zu betrachten, dass sensible Ökosysteme geschützt werden.
Eine lagerübergreifende Debatte zu denkbaren Entwicklungswegen hat es in den letzten Jahren nicht gegeben. Angesichts der fundamentalen Krise Ecuadors wäre eine alternative, breit verankerte Vision aber entscheidend für einen Politikwandel. Der sich bewusst links positionierende Leonidas Iza „ist durch seine Ignoranz gegenüber politischer Vielfalt innerhalb der Bewegung geschwächt“, glaubt Pablo Ospina. Die CONAIE habe jedoch das Potenzial, mit dieser Vielfalt umzugehen. Für Juli ist ein Kongress dazu angekündigt.
Gegenwärtig erscheinen Pachakutik und Revolución Ciudadana im neuen Parlament orientierungslos. Sie müssen zusehen, wie Noboas Partei ihre Dominanz auch bei Personalentscheidungen auskostet. Diese Mehrheit hat inzwischen für eine Verfassungsänderung gestimmt, die ausländische Militärbasen im Land erlaubt und neue, repressive Gesetze ermöglicht. Der Präsident hat demnach vorerst freie Hand dafür, seine militante Strategie gegen Drogenkriminalität voranzutreiben. Er kann Unternehmen relevanter Wirtschaftssektoren wie des Bergbaus privatisieren und den Arbeitsmarkt flexibilisieren. Das mag schneller als gedacht zu Protesten führen. Noch ist nicht absehbar, welche Rolle dann das Militär als Garant für die Sicherheitsinteressen des Staates spielt.