E-Mail des Bundesinnenministeriums schockt Afghanen uff welcher Flucht

Ein Sicherheitsbeamter der Taliban steht an einer Straße in der Nähe des Grenzübergangs Ghulam Khan zwischen Afghanistan und Pakistan Wache.

Stand: 05.11.2025 10:03 Uhr

Die E-Mail des deutschen Innenministeriums lässt Hunderte Afghanen verzweifelt zurück: Statt von Deutschland aufgenommen zu werden, sollen sie für Geld in ihre Heimat zurückkehren. Für viele ist das keine Option.

Ahmad hatte am späten Montagabend noch seine E-Mails gecheckt, aber das hätte er wohl besser bleiben lassen. „Gegen Mitternacht kam eine E-Mail, in der stand, dass Deutschland uns nicht mehr aufnehmen will. Stattdessen bot man uns eine Entschädigung an. Meine Familie und ich waren schockiert, als wir das lasen, und wir konnten die ganze Nacht nicht schlafen“, sagt er.

Ahmad heißt eigentlich anders, aber er muss sich schützen. Er versteckt sich mit seiner Frau und drei Kindern in einem Gästehaus in der westpakistanischen Stadt Peschawar, das von den Deutschen bezahlt wird. Er meldet sich mit Sprachnachrichten auf WhatsApp.

Als Staatsanwalt Gegner der Taliban

Ahmad ist ein ehemaliger Staatsanwalt, hat, wie er sagt, Mitglieder der Taliban, des Haqqani-Terrornetzwerks, des Islamischen Staates und von Al-Kaida ins Gefängnis gebracht. „Nach dem Sturz der Regierung 2021 wurden alle Gefangenen, darunter Terroristen und andere freigelassene Kriminelle, größtenteils wieder in die Reihen der Taliban aufgenommen. Nun wollen sie Rache an mir üben“, sagt er.

Aus diesem Grund hatte ihm die Bundesregierung eine Aufnahmezusage gegeben, die jetzt aber nichts mehr wert sein soll. In der Mail aus Deutschland hieß es: „Die Bundesregierung hat beschlossen, die Programme zur freiwilligen Aufnahme gefährdeter Afghanen zu beenden. Die aktuelle Lage in Pakistan setzt eine Frist für die endgültige Bearbeitung. Alle lokalen Verfahren müssen bis Ende 2025 vollständig abgeschlossen sein. Leider kann nicht garantiert werden, dass alle Schritte fristgerecht abgeschlossen werden können.“

Ein paar Tausend Euro und Hilfe für drei Monate

Die Chancen, rechtzeitig nach Deutschland zu kommen, sind gering – so könnte man zwischen den Zeilen lesen. Dafür wurde Ahmad und Hunderten weiteren Afghaninnen und Afghanen im Auftrag der Bundesregierung ein Angebot gemacht: Geld gegen Rückkehr. Erhalten haben dieses Angebot nicht alle, die Aufnahmezusagen haben und in Pakistan ausharren, sondern nur diejenigen, die im sogenannten Überbrückungsprogramm sind oder auf der Menschenrechtsliste stehen – nicht aber die ehemaligen Ortskräfte.

Das sind Schätzungen zufolge etwa 600 bis 700 Menschen. Die Betroffenen sind Angehörige der Zivilgesellschaft, die sich beispielsweise für Frauenrechte eingesetzt haben, oder ehemalige hohe Beamte und Militärs zusammen mit ihren Familien. Sie alle gelten als besonders gefährdet. Bekommen sollen sie einige hundert Euro pro Person sofort, in Afghanistan dann noch eine niedrige vierstellige Summe. Dazu drei Monate lang Unterkunft, Verpflegung, medizinische und psychosoziale Unterstützung.

Rückkehr für viele unvorstellbar

Ein Schlag ins Gesicht sei das, sagt der ehemalige Regierungsbeamte Mohammad (Name geändert), der ebenfalls in Peschawar ist. „Wenn ich in Afghanistan sicher leben könnte, dann hätte ich mein Heimatland niemals verlassen.“ Das Angebot könne er niemals annehmen. Für ihn gebe es keinen Weg zurück, sagt er: „Wenn ich zurückkehre nach Afghanistan, bedeutet das das Ende meines Lebens, das Ende meiner Zukunft, das Ende meiner Familie.“

Auch Ex-Staatsanwalt Ahmad hat alle Brücken hinter sich abgebrochen – in der Hoffnung nach Deutschland zu kommen. Er hat sein Haus und die Möbel verkauft und umgerechnet Tausende Euro ausgegeben für Reisepässe und Visa. Aber es ist vor allem die Gefahr, die ihm in Afghanistan droht, weshalb auch er das Angebot nicht annehmen kann. „Oh nein, das ist völlig unvorstellbar. Das ist nichts, was wir jemals akzeptieren könnten. Dies zu tun hieße, Folter, Verhaftung oder sogar den Tod in Kauf zu nehmen.“

Berlin macht mit kurzer Frist Druck

Auch in jüngster Zeit hätte er mitbekommen, dass ehemalige Angehörige der Regierung und der Armee, die aus dem Iran und Pakistan deportiert wurden, von den Taliban direkt ins Visier genommen worden seien. Man habe sie verhaftet, gefoltert und manche gar getötet, so Ahmad.

Nur bis 17. November haben die Betroffenen nun Zeit, das Angebot der Bundesregierung anzunehmen. Unklar, wie viele es tatsächlich tun werden. Manche hoffen noch auf deutsche Gerichte. Denn beim Bundesverfassungsgericht liegt eine Verfassungsbeschwerde mit Eilantrag, Beschwerdeführer ist ein früherer Richter aus Afghanistan. Karlsruhe soll prüfen, ob die Bundesregierung grundrechtlich verpflichtet sei, die erteilten Zusagen einzuhalten.

Source: tagesschau.de