Donald Trump und die EU: Nein, die EU ist nicht gegen die USA gegründet worden

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Nun gibt es also noch einmal eine Schonfrist. Aber vom 9. Juli an will Donald Trump Zölle von 50 Prozent auf fast alle Waren aus Europa erheben, wenn bis dahin keine Einigung im Handelsstreit erzielt ist. Ein Wahnsinn, der ökonomisch nicht den geringsten Sinn ergibt. Dazu mit einer absurden historischen Begründung.

Oberzöllner Donald Trump sagt, die Europäische Union sei geschaffen worden, um die USA handelspolitisch „auszunutzen“. (Man könnte „formed to screw the United States“ auch weniger vornehm übersetzen.) Das ist ausgemachter Unsinn. Die Vereinigten Staaten haben den Prozess der europäischen Integration von Beginn an unterstützt. Und sich dabei gewiss nicht ausnutzen lassen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verfolgten die USA in der Außenpolitik zwei zentrale Ziele. Zum einen wollten sie möglichst rasch ein auf freiem Handel beruhendes, funktionierendes Weltwirtschaftssystem wiederherstellen. Dies bedurfte der Stärkung der Staaten Westeuropas, die am besten durch eine enge wirtschaftliche und möglichst auch politische Verflechtung erreicht werden konnte. Zum anderen setzten die USA alles daran, die Expansionsbestrebungen der Sowjetunion einzudämmen, gemäß der Containment-Strategie, die der Spitzendiplomat George F. Kennan formuliert hatte.

Marshallplan als Weichenstellung

Die Siegermacht Amerika stand nach 1945 vor der Frage, wie der Not im zerstörten, hungernden Europa zu begegnen sei. Man hätte den alten Kontinent, vor allem das besiegte Deutschland, weiter verelenden lassen können. Stattdessen entschied sich die Regierung in Washington, D. C. für eine massive Wiederaufbauhilfe. Im Sommer 1947 rief sie das European Recovery Program (ERP) ins Leben, populär geworden als Marshallplan, nach dem Namen des damaligen US-Außenministers George C. Marshall.

Dieses Programm im Umfang von gut zwölf Milliarden US-Dollar (nach heutigem Wert mehr als 150 Milliarden US-Dollar) machte eine engere Zusammenarbeit der Europäer untereinander ausdrücklich zur Bedingung für amerikanische Hilfe. Die Amerikaner konnten dabei an europäische Einheitsgedanken anknüpfen, die in die Zwanzigerjahre zurückreichten und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von überzeugten Europäern wie Robert Schuman, Konrad Adenauer oder Alcide De Gasperi mit Leidenschaft in die Wirklichkeit umgesetzt wurden.

Der stellvertretende US-Außenminister Dean Acheson sagte es in einer Rede am 8. Mai 1947 in Cleveland so: „Die Erholung Europas kann nicht vollständig sein, solange nicht die verschiedenen Teile der Wirtschaft Europas in einem harmonischen Ganzen zusammenarbeiten. Eine koordinierte europäische Wirtschaft bleibt ein fundamentales Ziel unserer Außenpolitik.“

Dies war in Washington die gemeinsame Sicht der Demokraten, die mit Harry S. Truman den Präsidenten stellten, und der Republikaner, die im Kongress die Mehrheit hatten.

Natürlich gab es auch damals schon das Argument, Amerika ziehe sich mit dem eigenen Geld den künftig schärfsten Konkurrenten auf dem Weltmarkt heran. Aber damit, glaubte die Mehrheit, könne die Weltmacht USA leicht leben. „Unsere gesamte Geschichte zeigt, dass wir den größten Handel mit jenen Nationen hatten, die unsere härtesten Wettbewerber waren, denn sie waren zugleich unsere besten Kunden“, sagte der Verwalter der Marshallplanhilfe, Paul G. Hoffman, 1949 bei einer Anhörung im Senat.

Kennedy warnte vor „beschränktem Nationalismus“

Diese segensreiche Wirkung eines freien Welthandels will Donald Trump nicht begreifen. Und so schlägt er auf die EU ein, während alle seine Vorgänger den europäischen Integrationsprozess unterstützt haben – von der Montanunion 1951 über die Römischen Verträge 1957 und die Gründung der Europäischen Gemeinschaften 1967 bis zum Maastricht-Vertrag 1992. Aus ureigenem amerikanischen Interesse.

Vor dem Rückfall in einen „beschränkten Nationalismus“ warnte schon John F. Kennedy am 25. Juni 1963 in der Frankfurter Paulskirche. Als hätte er geahnt, was sechzig Jahre später aus dem Weißen Haus ertönen sollte, sagte Kennedy: „Wir dürfen nicht zurückkehren zu der überholten Auffassung, dass der Handel einige Nationen auf Kosten der anderen begünstige.“ Amerika setze seine Hoffnungen auf „ein einiges und starkes Europa, das eine gemeinsame Sprache spricht und mit einem gemeinsamen Willen handelt“.

Damals, im Jahr 1963, war die Welt noch brutal geteilt in West und Ost. Als der Kalte Krieg ein Vierteljahrhundert später langsam zu Ende ging, hielt ein anderer US-Präsident, der Republikaner George Bush senior, am 31. Mai 1989 in Mainz eine große Europa-Rede. „A Europe Whole and Free“ war sein Thema. Bush wollte die Containment-Strategie hinter sich lassen, Europa sollte jetzt als Ganzes zusammenwachsen: „Dieser Prozess der Integration, eines subtilen Zusammenwebens gemeinsamer Interessen, der im Westen Europas nahezu abgeschlossen ist, hat nun endlich auch im Osten begonnen.“

Die amerikanischen Präsidenten, ob Demokraten oder Republikaner, hatten den Kern der europäischen Idee verstanden: die Sicherung des Friedens und die Schaffung gemeinsamen Wohlstands. Am besten in transatlantischem Miteinander. So wie es Kennedy in der Paulskirche sagte: „Wir waren Partner in der Not – so lassen Sie uns auch Partner in der Prosperität sein.“

Nichts davon versteht Donald Trump. Aber man kann es ja noch einmal versuchen mit historischer Nachhilfe. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hat es dieser Tage getan. „The EU wasn’t formed to screw anyone“, sagte er. „Sie wurde geschaffen, um den Frieden zu wahren, um Respekt zwischen unseren Nationen wachsen zu lassen, um freien und fairen Handel zu ermöglichen und um unsere transatlantische Freundschaft zu stärken. So einfach ist das.“

Ja, denkt man, so einfach ist das. Wenn es doch nur so einfach wäre.