Dieter Kosslick: „Wir wussten schon damals, dass ein Filmfestival eine Sauerei ist“

DIE ZEIT: Dieter Kosslick, fast zwei Jahrzehnte waren Sie Chef der Berlinale. Nun leiten Sie im zweiten Jahr in Potsdam ein Filmfestival zu Wissenschafts- und Umweltthemen. Ist das der wendige kleine Außenborder nach dem Riesentanker?

Dieter Kosslick: Vielleicht ist das Festival ein Beiboot, aber wie man weiß, braucht man solche Schiffe auch zur Rettung und Evakuierung. Und letztlich setzt sich hier eine Linie fort: Bei der Berlinale haben wir schon 2010 angefangen, das Festival CO₂-neutral zu machen. Als das vielleicht erste ökozertifizierte Filmfestival der Welt. Wir wussten schon damals, dass ein Filmfestival eine Sauerei ist, klimatechnisch gesprochen. Durch die Anreise der Gäste per Flugzeug, durch den Energieverbrauch, durch den anfallenden Müll, durch das Catering und ganz allgemein durch die Klimaschädlichkeit von Filmproduktionen. Die Alternativen dazu haben mich immer interessiert. Zum Beispiel in den USA: Da produziert ein Filmemacher wie James Cameron seine Blockbuster schon lange klimafreundlich

ZEIT: Auch Cannes und Venedig und andere Festivals sind der Berlinale in dieser Hinsicht gefolgt …

Kosslick: Zum Glück. Und dann wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, ein Festival in Potsdam mit aufzubauen, Green Visions, mit Filmen zu Umwelt- und Wissenschaftsthemen, zur Klimaerwärmung und allem, was damit zu tun hat. Das erschien mir umso wichtiger, weil das Thema in den vergangenen Jahren weniger Aufmerksamkeit bekommen hat. Jeder weiß, dass sich eine Katastrophe anbahnt, nur will es niemand so genau wissen, weil andere kriegerische und politische Katastrophen heraufgezogen sind. Aber die vergangenen zehn Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Klimaaufzeichnungen. Das hab ich nicht erfunden, das stand in der Zeitung.

ZEIT: Gibt es in diesem Jahr einen Schwerpunkt?

Kosslick: Alle Themen hängen mit der Klimaerwärmung zusammen. Es gibt Filme über sogenannte Ewigkeitschemikalien wie PFAS, über Kunststoffe, die sich in Textilien befinden, über Plastik und Mikroplastik. Der Film Plastic People beginnt damit, dass die Autorin erfährt, dass sie Kunststoff in der Größenordnung einer Kreditkarte in ihrem Körper hat, und dann beginnt sie zu recherchieren. Wir zeigen auch einen Film über die vielfältige Verwendung von Algen, etwa als Nahrungsmittel: Seaweed. Und einen über Pilze. Es geht um Pilze, die Plastik fressen oder die von Architekten als Baumaterial verwendet werden. Pilze sind eben nicht nur Pizza Funghi. Sie sind der Anfang, sie sind das Leben, und sie sind das Ende, wenn sie uns zersetzen.

ZEIT: Zum Konzept des Festivals gehören Gespräche mit Wissenschaftlerinnen und Spezialisten …

Kosslick: Es geht darum, einen Diskurs in Gang zu bringen, eine Fortsetzung der Filme im Gespräch. Dafür ist Potsdam die richtige Stadt, weil es dort eine Menge Wissenschaftseinrichtungen gibt, vor allem das international renommierte Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, kurz PIK. Neben den Gesprächen mit Wissenschaftlerinnen und Experten gibt es auch Lesungen: Zum Energielobbyismus liest Wolfang Schorlau aus seinem neuen Bestseller Black Forest, und die frühere ZEIT-Redakteurin Christiane Grefe präsentiert ihr mit Tanja Busse geschriebenes Buch Der Grund über die zentrale Zukunftsfrage, wie wir mit Grund und Boden umgehen sollten.

ZEIT: Im vergangenen Jahr saß nach dem Film Whale Nation die Meeresbiologin Dr. Antje Boetius auf dem Podium. Sie sprach über die Auswirkungen der Erderwärmung auf das Leben der Wale und erzählte, wie sie einmal einen Wal-Pups erlebt, besser: überlebt hatte …

Kosslick: Das ist das Allerwichtigste: Dass Menschen mit Humor diese eigentlich humorlose Geschichte erklären. Das Festival ist ja auch eine Art audiovisuelle Verbraucherzentrale. Vor dem Veranstaltungsort, dem Potsdamer Filmmuseum, gibt es einen kleinen Markt mit nachhaltigen Produkten und Initiativen, die ganz praktisch zeigen, was man alles anders machen kann.