Die zerstörte Heimat wieder aufzubauen, sollte patriotische Pflicht aller Syrer sein

Außenminister Johann Wadephul sagt, Syrien habe in vielen Landesteilen einen Zerstörungsgrad erreicht, der an Deutschland nach 1945 erinnert. Das heißt aber nicht, dass Syrer nicht zurückkehren können.

Es ist fast beklemmend zu sehen, wie sich die Unionsfraktion wolfsrudelartig auf den widerborstigen Außenminister Johann Wadephul stürzt. Wer solche Parteifreunde hat, braucht seine Gegner nicht zu fürchten. Warum halten es die Empörten nicht wenigstens mit Thomas Mann? Der erwiderte die ewigen Sottisen Bertolt Brechts mit der widerwillig-respektvollen Abschätzung: „Das Scheusal hat Talent.“

Wadephul besitzt als Außenminister Talent. Im Vergleich zu seiner Vorgängerin und manchen Parteifunktionären, die ins Außenamt gerutscht waren und Außenpolitik verwalteten, aber nicht machten, schlägt er sich bisher – nun ja – passabel. Das heißt aber noch lange nicht, dass man ihm zustimmen muss.

Deutschland, 1945: Als Millionen Flüchtlinge anpackten

Johann Wadephul ist Protestant und als solcher Mitglied der evangelischen Kirche. Seine Beharrlichkeit, Syrien für zerstört zu erklären, erinnert an Martin Luthers: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen.“ Überdies: Wadephul hat einen Punkt, wenn er darauf hinweist, dass Syrien in vielen Landesteilen einen Zerstörungsgrad erreicht habe, der an Deutschland nach 1945 erinnert.

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Nur: Ändert dies irgendetwas am Kurs des Bundeskanzlers und seines Innenministers? Als Deutschland in Trümmern lag, kraxelten die Überlebenden, an Leib und Seele verwundet, nicht nur aus den Ruinen. Es kamen in den folgenden Monaten noch rund Millionen Flüchtlinge aus dem Osten hinzu. Die warteten nicht im sicheren außereuropäischen Ausland, bis das Geröll weggeräumt war, sondern krempelten die Ärmel hoch und packten an. Auch ihnen ist es zu verdanken (neben der Hilfe des Marshallplans), dass unser Land trotz allem vergleichsweise schnell wieder auferstehen konnte.

Die eigene zerstörte Heimat wieder aufzubauen, sollte eine patriotische Pflicht all der Syrer sein, die hierzulande leben und denen keine Verfolgung im rassisch-religiös-politischen Sinn mehr droht. Der Mehrheit der Deutschen ist ihr Asyl- und Gastrecht heilig. Das bedeutet aber auch, dass alle, die es genießen, wieder gehen müssen, wenn der Verfolgungsgrund entfällt. Nicht mehr und nicht weniger – mag Wadephul noch so drastisch auf die Ruinenlandschaft Syriens hinweisen.

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Allerdings haben wir Wadephuls Botschaft verstanden. Es ist nicht die innenpolitische Zeit, sich weiter am Klang des eigenen Echos zu erfreuen. Bundeskanzler Friedrich Merz sollte seinen Kieler Martin Luther darauf hinweisen. Konrad Adenauer schrieb in solchen Fällen einen Brief, in dem er freundlich, aber in brutaler Klarheit an seine Richtlinienkompetenz erinnerte. Diese greift unter Parteifreunden anders als bei Koalitionspartnern sofort.

Source: welt.de