Die Verkehrsgewerkschaften führen einen der größten Streiks durch
Es ist einer der größten Warnstreiks der vergangenen Jahre: Bundesweit stehen Züge, Flugzeuge und vielerorts auch Busse still. Millionen Menschen sind betroffen. Die Gewerkschaften verteidigen den Arbeitskampf und warnen vor weiteren Ausfällen.
Der Verkehr mit Zügen, Bussen und Flugzeugen in Deutschland ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Seit Mitternacht läuft ein großer Warnstreik der Bahngewerkschaft EVG und von ver.di. Von dem 24-stündigen Arbeitskampf sind Millionen Berufspendler und Reisende sowie weite Teile des Güterverkehrs betroffen.
Größere Staus im Straßenverkehr über die üblichen Behinderungen im Berufsverkehr hinaus wurden am Morgen nur vereinzelt von der Polizei gemeldet. Teils war von stockendem Verkehr die Rede, aber ohne größere Einschränkungen in Folge des Großstreiks. Viele Pendler seien wohl im Homeoffice geblieben, hieß es.
Rund um die Ballungsräume stocke der Verkehr zwar, „einen Kollaps oder ein Riesenchaos sehen wir aber nicht“, sagte auch eine Sprecherin des ADAC. Die frühe Ankündigung habe womöglich dafür gesorgt, dass viele Menschen sich auf den Warnstreik eingestellt hätten.
30.000 Beteiligte bei der Bahn
Auf der Schiene ist der Fernverkehr komplett und der Regionalverkehr zunächst größtenteils eingestellt. Bestreikt werden nahezu sämtliche deutsche Flughäfen. 380.000 Geschäfts- und Privatreisende müssen laut Flughafenverband ADV am Boden bleiben. Wasserstraßen und Häfen sowie die Autobahngesellschaft sind ebenfalls betroffen. In sieben Bundesländern wird zudem der öffentliche Nahverkehr bestreikt.
Allein im Bahnsektor beteiligten sich laut EVG mehr als 30.000 Beschäftigte an 350 Standorten. „Die Streikbereitschaft ist sehr hoch, die Wut der Beschäftigten, von den Arbeitgebern hingehalten zu werden, riesig“, teilte EVG-Tarifvorstand Kristian Loroch mit. „Wir streiken heute, weil uns in den Tarifverhandlungen trotz der für viele Beschäftigten angespannten finanziellen Situation nichts vorgelegt wurde, über das wir ernsthaft verhandeln könnten.“
Warnung vor neuen Ausfällen an Ostern
Der EVG-Vorsitzende Martin Burkert kritisierte in der „Augsburger Allgemeinen“, dass die Bahn mit unsozialen Gegenforderungen wie Urlaubskürzungen arbeite. Weitere Warnstreiks auch in der Urlaubszeit über Ostern sind laut dem EVG-Chef möglich. Die Gewerkschaft strebe das aber nicht an. „Es hängt davon ab, ob der Bahnvorstand bald ein ordentliches Angebot vorlegt“.
Burkert wies Vorwürfe der Arbeitgeberseite zurück, der Großstreik mitten in den Tarifverhandlungen sei „unverhältnismäßig“. „Wir gehen mit dem Streikrecht verantwortungsbewusst um“, sagte der Gewerkschafter. Er habe Verständnis für die Bahnfahrer, die über die ausfallenden Züge frustriert sind. Die Beschäftigten im Verkehrsbereich seien aber auf deutliche Lohnerhöhungen angewiesen. „Wir haben bei den Kollegen in den unteren Lohngruppen, wie zum Beispiel Busfahrern und Kundenbetreuern, Löhne von 2100 bis 2400 Euro brutto“, sagte Burkert.
Unverhältnismäßig finde er daher etwas ganz anderes: „Dass der Bahnchef das 30- bis 40-fache Jahresgehalt seiner Mitarbeiter bekommt.“ Die EVG fordere einen Sockelbetrag von mindestens 650 Euro mehr pro Monat oder zwölf Prozent. Daran sei nichts unverhältnismäßig.
Ver.di: Preissteigerungen belasten Beschäftigte enorm
Auch ver.di-Chef Frank Werneke verteidigte den Großstreik. Er betonte: „Als Belastung empfinden die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bis hin in die mittleren Einkommensgruppen vor allem die enormen Preissteigerungen für Strom, Gas und Lebensmittel.“
Der Chef des Beamtenbunds dbb, Ulrich Silberbach, schloss sich der EVG-Warnung vor einer Ausweitung der Arbeitskämpfe an. „Entweder wir hauen den Knoten durch und finden eine Einigung – oder wir stehen vor einer weiteren Eskalations- und Streikwelle“, sagte er.
Arbeitgeber kritisieren Ausmaß der Warnstreiks
Die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, Karin Welge, kritisierte den Ausstand. „Wir haben uns im vergangenen Jahr schon darauf verständigt, in drei Verhandlungsrunden zueinander zu kommen“, sagte sie im Radiosender Bayern 2. Deswegen erstaune diese Massivität der Streiks vor der dritten Verhandlungsrunde schon deutlich.
Deutsche Bahn spricht von „überzogenem Streik“
Die Deutsche Bahn erneuerte ebenfalls ihre Kritik. „An diesem überzogenen, übertriebenen Streik leiden Millionen Fahrgäste, die auf Busse und Bahnen angewiesen sind“, sagte ein Bahnsprecher. „Nicht jeder kann vom Homeoffice aus arbeiten.“ Nachteile hätten auch Tausende Unternehmen, die ihre Güter über die Schiene empfingen oder versendeten: „Gewinner des Tages sind die Mineralölkonzerne.“
Ver.di und dbb verhandeln heute – EVG ab Mitte der Woche
Ver.di und der Beamtenbund dbb wollen noch heute in Potsdam mit dem Bund und den Kommunen die Verhandlungen für 2,5 Millionen Beschäftigte wieder aufnehmen. An Flughäfen sind Kommunalbeschäftigte des öffentlichen Dienstes einbezogen, es geht aber auch um örtliche Verhandlungen für Bodenverkehrsdienste sowie um bundesweite Gespräche für die Luftsicherheit. Vor der dritten Runde lagen beide Seiten noch weit auseinander, eine Einigung in den nächsten Tagen ist aber möglich.
Bei der EVG stehen weitere Gespräche mit verschiedenen Bahnunternehmen ab Mitte der Woche an. Mit der Deutschen Bahn soll erst nach Ostern weiterverhandelt werden.