Die taz: Sie Vertrauen schenken an dies ewige Leben

Peter-Josef Boeck steht vor seiner dunklen Eichenkommode in Bielefeld und hat 250 Seiten der taz vor sich liegen, es sind für ihn die besten der vergangenen Jahre. Jede einzelne hat er luftdicht eingeschweißt, „damit sie nicht verfallen“, sagt Boeck. Denn sie sind bald ein Relikt aus einer anderen Zeit. Die taz wird von kommender Woche an – als erste überregionale Tageszeitung – montags bis freitags nur noch digital erscheinen.

Vor sieben Jahren haben die Chefs entschieden, ihre Zeitung müsse weg vom Papier. Nicht sofort, aber nach einer Übergangsfrist. Die ist nun um. Am 17. Oktober wird die letzte gedruckte, werktägliche Ausgabe veröffentlicht, und das ist wirklich ein Kipppunkt. In der Tagespresse läuft seit einem Vierteljahrhundert alles auf ihn zu, auch andere Zeitungen werden ihn erreichen, aber die taz ist die erste, die sagt, nun ist es so weit.

Einer, der die taz von Anfang an gelesen hat, ist Peter-Josef „Pejo“ Boeck. In der ersten Ausgabe wurde sogar eine Geschichte über ihn gedruckt, weil er damals einen Prozess wegen eines schweren ärztlichen Kunstfehlers führte. Ein Hinweis auf den Artikel schaffte es auf die allererste Titelseite.

Aus dem von Boeck konservierten Stapel taucht beim Blättern eine Überschrift auf: „Des Wahnsinns fette Beute“. So hat die taz vor einem halben Jahr die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten kommentiert, unterlegt mit einem Foto des Weißen Hauses. Boeck lächelt, auch ein bisschen wehmütig. Er werde die Überraschung vermissen, wenn er zum Briefkasten geht, um zu sehen, was die Redaktion sich wieder für die Titelseite ausgedacht hat.

Eine weitere Seite eins in seiner Sammlung widmet sich der frisch verlängerten Berliner Stadtautobahn A100: „Berlin eröffnet Gedenkstätte für gescheiterte Grüne“. Ebenfalls für die Ewigkeit eingeschweißt: Ein Interview mit der Ehefrau des lange verstorbenen Studentenführers Rudi Dutschke – Gretchen Dutschke-Klotz – „Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“.

Die taz war nie bloß eine Zeitung. Sie wurde vor 47 Jahren gegründet, um der Studentenbewegung eine mediale Plattform zu verschaffen, eine Gegenöffentlichkeit zu konservativen Blättern wie Welt und Bild und denen in der Mitte – wie der ZEIT. Seither versammeln sich kapitalismuskritische Akademikerinnen und linke Kapitalisten, unerschütterliche Idealisten, ältere Freigeister, renitente Alles-infrage-Steller und Profis für zivilen Ungehorsam um die taz. Und weil die taz eine Genossenschaft ist und inzwischen mehr als 25.000 Leserinnen und Leser einen Anteilsschein gekauft haben, gehört sie diesen tatsächlich. Ihre Leser finanzieren sie, beschützen sie, lieben und verfluchen sie (gelegentlich), es ist ihr linkes Medium aus Berlin, noch Zeitung, längst Onlinemedium und sowieso Community. Und ihre taz gehört nun wieder einmal zur Avantgarde.

In Pinneberg, westlich von Hamburg, läuft Ugras Degirmenci auf einen weißen würfelförmigen Bau zu, der groß genug ist, um eine drei Stockwerke hohe Druckmaschine darin unterzubringen. Eine Woche ist es da noch bis zur letzten täglichen taz auf Papier.

Degirmenci ist der Leiter der Druckerei. Drinnen schüttelt er ein paar Hände, plaudert und verschafft sich einen Überblick. Dann gehen seine Worte im Dröhnen unter. Der Redaktionsschluss in der Berliner taz-Redaktion ist da schon eine Weile vorüber, die Seiten der neuen Ausgabe wurden digital an drei Druckereien in Deutschland übermittelt, und die Maschinisten in Pinneberg haben in Vorbereitung auf den Druck eine tonnenschwere Rolle Papier eingespannt. Während Degirmenci also jetzt in den schwer aushaltbaren Lärm hineinruft, verwandelt die Maschine hinter ihm eine schier endlose weiße Papierbahn in Zeitungen, schneidet, faltet und steckt alles so präzise und schnell ineinander, dass es das menschliche Gehirn kaum fassen kann. Zylinder mit Druckvorlagen werden in Magenta, Cyan, Gelb und Schwarz getränkt und hinterlassen Buchstaben auf dem Papier, Fotos, Seiten, die ganze taz. Es hat etwas Magisches. Aber nur kurz. Dann ist es vorbei.


Die taz: Empfangsbereich im "taz"-Gebäude

Empfangsbereich im „taz“-Gebäude

Degirmenci schaut auf seine Uhr. 19.30 Uhr – Andruck. 19.45 Uhr – Job erledigt.

Früher konnte es eine halbe Nacht dauern, eine Zeitung zu drucken, so viele Exemplare mussten hergestellt werden. Doch in den zurückliegenden Wochen haben die Pinneberger gerade mal noch 6.900 taz-zen produziert, in den anderen beiden Druckereien war es ähnlich. Die gedruckte tägliche taz ist also schon ziemlich lange ziemlich verschwunden.