Die neue EU-Kommission ist dasjenige Ergebnis undurchsichtiger Deals
Unerhörte Dinge sind diese Woche in Brüssel passiert. Erst setzte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren ebenso mächtigen wie unbequemen Wettbewerbskommissar Thierry Breton aus Frankreich vor die Tür. Dann ernannte sie den italienischen Rechtsaußen-Politiker Raffaele Fitto zum neuen Vizechef ihrer Behörde. Beides wäre noch vor Kurzem undenkbar gewesen. Einen französischen Kommissar rauszuwerfen – wo denken Sie hin, Madame? Kein Präsident in Paris, der auf sich hält, hätte das mit sich machen lassen. Doch Emmanuel Macron willigte ein, augenscheinlich ein Zeichen seiner Schwäche.
Auch dass ein Politiker der rechtsradikalen Fratelli d’Italia ein wichtiges Amt in Brüssel erobern könnte, schien unvorstellbar. Keine Zusammenarbeit mit den rechten EU-Gegnern, hieß es vor der Europawahl. Das neu gewählte Parlament hielt sich daran – die von der Kammer bestätigte Kommissionschefin nicht.
Was ist da los? Ist die CDU-Politikerin von der Leyen von allen guten Geistern verlassen? Fühlt sie sich so stark, dass sie Macron gängeln und Giorgia Meloni, die rechte italienische Regierungschefin, hofieren und belohnen kann? Gelten in der EU gar keine Regeln mehr, nicht einmal die des politischen Anstands? Ganz so schlimm ist es nicht. Auf dem Papier zumindest stehen sie noch. Demnach dürfen alle 27 EU-Staaten einen Kandidaten für die Kommission vorschlagen. Von der Leyen, die als deutsche Präsidentin gesetzt war, musste dann aus den nationalen Bewerbern ein Team bilden und Ressorts zuteilen.
Dabei konnte sie ungeeignete Bewerber ablehnen und Ersatz anfordern – wie bei Breton geschehen. Allerdings ist dies sehr ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher ist es, dass sie dazu Deals mit EU-Regierungschefs schließt, mit Macron, mit Meloni wohl ebenso. Freilich wurden die nie offengelegt. Deshalb lässt sich nur vermuten, warum ein erfahrener Kommissar wie Breton gehen musste und ein unerfahrener, aber höchst umstrittener Politiker wie Fitto befördert wurde. Es ging um nationale Interessen, Parteipolitik und wichtige Dossiers in der Wirtschaftspolitik. Um Europa nur am Rande.
Legt man die bisher geltenden Maßstäbe zugrunde, dann bleibt nur als Urteil, dass die Kommission von der Leyen II auf eine intransparente und nicht demokratische Weise zustande gekommen ist. Gute Kommissare wurden suspendiert, weniger gute befördert. Herausgekommen ist ein rechtsoffenes, politisch nicht berechenbares Gremium.
Was ist unter diesen Umständen von der nächsten Amtszeit zu erwarten? Vieles, aber gewiss nicht das, wofür die EU einmal stand. Frieden, Wohlstand und Stabilität. Das waren Versprechen, mit denen die Union einmal antrat. Von der Leyen brach damit schon in ihrer ersten Amtszeit. Nun haben ganz andere Ziele Priorität: Sicherheit und Verteidigung, Aufrüstung und Wettbewerbsfähigkeit, dazu Geopolitik. Der Klimaschutz, der noch 2019 im Vordergrund stand, spielt nur noch eine Nebenrolle. Man wird sich auf eine radikal gewendete EU-Politik einstellen müssen, vielleicht sogar eine Zeitenwende.
Haben die Wähler das gewollt? Wohl kaum. Doch viel ändern dürfte sich an der rechtsoffenen Kommission und ihrer Unberechenbarkeit nicht mehr. Zwar müssen sich die designierten Kommissare noch eingehenden Anhörungen im EU-Parlament stellen. Die Abgeordneten dürften da vor allem den Rechtsausleger Fitto „grillen“. Doch den Mut, an von der Leyen und ihren fragwürdigen Methoden zu rütteln, werden sie wohl nicht haben.