Die Machtfrage: Vier-Tage-Woche als Teilzeit, Umverteilung oder kürzere Vollzeit

Es überrascht nicht, dass die Meinungen zur Vier-Tage-Woche weit auseinandergehen. Denn unter derselben Überschrift stehen äußerst unterschiedliche Konzepte, von denen lange nicht alle revolutionär sind. Weniger Arbeit für weniger Geld nennt sich Teilzeit. Darauf haben Beschäftigte seit geraumer Zeit einen Rechtsanspruch. Aber wer wenig verdient, kann sich nicht leisten, diesen Anspruch zu nutzen. Zudem ist Teilzeitarbeit noch immer ein Stigma, wie der Slogan „mehr Bock auf Arbeit“ der Arbeitgebervereinigung BDA deutlich macht. Wir wissen nämlich genau, warum Menschen in Teilzeit arbeiten: Weil sie Reproduktionsarbeit leisten, um es unromantisch zu sagen. Diesen Aspekt endlich ins Bewusstsein der Entscheider*innen zu holen, wäre ein Erfolg der Debatte um die Vier-Tage-Woche.

Eine andere Idee ist es, eine 40-Stunden-Woche in vier Tage quetschen zu wollen. Einige Unternehmen, die wegen ihrer Vier-Tage-Woche als innovativ gelobt werden, lassen ihre Beschäftigten vier Tage lang (mit Pause) von sechs bis 16 Uhr antreten. Die Hoffnung, Erwerbsarbeit und Sorgearbeit endlich gerechter zu verteilen, wird sich in diesem Modell keinesfalls erfüllen. Denn auch vier Zehn-Stunden-Tage sind nur Menschen möglich, denen die Sorgearbeit überwiegend abgenommen wird. Von Partnerinnen oder Hausangestellten.

Ganz gefährlich wird es für Arbeitnehmerinteressen, wenn wie in Belgien unter dem Label Vier-Tage-Woche die Grenzen – Ruhezeiten und Höchstarbeitszeiten – eingerissen werden, die Arbeitszeitgesetze setzen. Wer für mehr „Flexibilität“ in diesem Sinne wirbt, will nicht mehr Zeitautonomie für Arbeitnehmende, sondern unbegrenzten Zugriff auf Arbeitskraft.

Etwas wirklich Neues – echte Umverteilung – ist die Vier-Tage-Woche, wie sie in Deutschland die IG Metall meint: kürzer Vollzeit arbeiten, nämlich 32 Stunden, ohne Lohnverlust. Das ist eine Neuauflage älterer Kämpfe um ein besseres Leben durch weniger Erwerbsarbeit bei ausreichendem Lohn. Für diese Art der Umverteilung wurde vor inzwischen fast 40 Jahren wochenlang gestreikt. Die so erzielte 35-Stunden-Woche als Vollzeit ist noch immer in vielen anderen Branchen nicht erreicht, im Osten wird sie selbst in der Metallbranche gerade erst und noch immer nicht flächendeckend umgesetzt.

Auch das aufsehenerregende Pilotprojekt in Island, dessen Abschluss vor drei Jahren die Debatte hierzulande anregte, meint mit Vier-Tage-Woche eine kürzere Arbeitszeit ohne Lohnverlust. Gesündere, glücklichere Mitarbeitende und keine Produktivitätsverluste waren das Ergebnis dieses Versuchs, den inzwischen viele Länder nachahmen. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland wünscht sich genau das, wie jüngst eine Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung zeigte. Und Unternehmen wollen so im Wettbewerb um Fachkräfte punkten.

Knallharte Verteilungsfrage

Wer aber hofft, der Arbeitsmarkt würde das bessere Leben für alle regeln, wird lange warten müssen. In Branchen, wo jeder Arbeitsschritt der Erwerbstätigen mit einer optimalen Zeit hinterlegt ist, um möglichst viel Geld zu verdienen, ist Arbeitszeit eine immense Machtfrage. In einem Land mit Millionen von unbezahlten Überstunden wird darüber gestritten, ob Arbeitszeit überhaupt erfasst werden soll. Das wäre aber Voraussetzung dafür, sie auch effektiv zu begrenzen oder gar zu verkürzen. Selbst da, wo Technik die Produktivität erhöht und neue Freiräume schaffen könnte, bleibt es eine knallharte Verteilungsfrage, wer von den (Zeit-) Gewinnen profitiert. Es ist Kernaufgabe der Gewerkschaften, die Machtverhältnisse zugunsten der Arbeitnehmer*innen und für Umverteilung zu beeinflussen.

Parteien und Regierungen, die dies unterstützen wollen, haben viele Möglichkeiten. Dazu gehört, die Wünsche von Beschäftigten nach Entlastung und den Schutz ihrer Gesundheit ernst zu nehmen, den Verfassungsauftrag der Geschlechtergerechtigkeit endlich umzusetzen, Mitbestimmung in Betrieben zu stärken und Tarifautonomie – auch das Streikrecht – zu achten sowie sicherzustellen, dass die Menschen, deren Einwanderung wir dringend brauchen, weder ausgebeutet noch diskriminiert werden. Wer sich dann aufmacht, zu streiten für eine Umverteilung zugunsten von weniger Arbeit bei gutem Lohn, könnte Erfolg haben.

Johanna Wenckebach leitet das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung