Die Liberale sucht ihre „liberale Signatur“

Die FDP muss sich neu aufstellen – personell und inhaltlich. Die erste Chance gab es für die Liberalen, die am 23. Februar zum zweiten Mal aus dem Bundestag geflogen sind, an diesem Freitag. Als FDP-Vorsitzender wurde Christian Dürr gewählt. Er nimmt damit die Nachfolge von Christian Lindner ein.

Auf dem zweitägigen Parteitag diskutierten die Delegierten, ob das zweite Ausscheiden nach 2013 eine Art Betriebsunfall nach dem Motto „ärgerlich, aber so etwas passiert, deswegen muss man nicht alles ändern“ oder ob es ein Crash mit Ansage war, der grundlegende Korrekturen erfordert.

Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio ermutigte als Gastredner zum Neustart. Die Diagnose vom Kollaps des globalen Liberalismus sei falsch, weil das Grundgesetz „eine liberale Signatur“ besitze. „Der politische Liberalismus übersetzt den Kern der Verfassung in die Gesellschaft. Deshalb ist er unentbehrlich“, sagte Di Fabio, der FDP-Mitglied ist.

Konkret forderte er seine Partei auf, eine Neudefinition des Sozialstaatsprinzips im 21. Jahrhundert zu entwickeln. Der Sozialstaat sei durch immer größere Leistungsversprechen in „unsoziale Schieflage“ geraten, weil er die Fleißigen im Land durch hohe Abgaben belaste und Arbeit nicht mehr genug lohne. Der Sozialstaat brauche aber den wirtschaftlichen Erfolg, eine wettbewerbsfähige starke Wirtschaft. Das alles brauche auch eine politische Programmatik.

„Der Liberalismus ist ja traditionell eine rationalistische Theorie“

Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand am ersten Tag die Wahl der neuen Parteiführung. Dass Christian Dürr Christian Lindner an der Spitze nachfolgen würde, galt als sicher, gab es doch keinen Gegenkandidaten. Sein Vorgänger hatte im Dezember 2013 die Führung der am Boden liegende Partei übernommen und sie vier Jahre später zurück auf die bundespolitische Bühne geholt und zu Erfolgen geführt. Doch was hat Lindner zuletzt falsch gemacht?

Der Deutschlandfunk fragte am Abend vor dem Parteitag nach der Zukunft des Liberalismus, darunter den Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder von der Universität Kassel. Das frühere Mitglied der SPD-Grundwertekommission ging hart mit der liberalen Partei ins Gericht. Er meinte, die FDP habe sich in der Regierung wenig um die Weiterentwicklung der liberalen Idee und Praxis gekümmert, „sondern hat eine zutiefst dogmatische, fast orthodoxe Positionierung im ökonomischen Bereich praktiziert und damit der liberalem Idee einen Bärendienst erwiesen“.

Ralf Fücks, der in seiner Person Grünes wie Liberales wie kaum ein anderer verbindet, ging freundlicher mit der Lindner-Partei um. Die FDP habe es nicht geschafft, Empathie zu wecken. Der frühere Bremer Senator, der heute das Zentrum Liberale Moderne leitet, sprach vom Problem des Liberalismus, keine Antworten auf Gefühle in der Politik gefunden zu haben. Die Politik werde – verstärkt durch die sozialen Medien – zunehmend durch Emotionen bestimmt. „Der Liberalismus ist ja traditionell eine rationalistische Theorie, eine die auf Vernunft setzt, auf pragmatische Vernunft, auf rationale Abwägungen.“

Marktmechanismen und staatliche Regelungen intelligent kombinieren

Was macht den liberalen Markenkern aus? Die F.A.Z. hat dazu Ökonomen befragt, einige stehen der FDP näher, andere weniger. Marcel Fratzscher gehört zur zweiten Gruppe. Er gesteht der FDP zu, in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik durch ihren Fokus auf eine funktionierende marktwirtschaftliche Ordnung einen essenziellen Beitrag zu Demokratie und wirtschaftlichem Erfolg geleistet zu haben. Doch nach Ansicht des DIW-Präsidenten wurde aus der liberalen Partei eine libertäre Partei, „der es nicht primär um die Freiheit aller, sondern um den Schutz der Privilegien einiger weniger geht“, zum Schaden von Demokratie und Wohlstand.

Die FDP sollte zu ihren liberalen Wurzeln zurückkehren, mahnt Fratzscher. „Deutschland braucht eine starke liberale Stimme.“ Für Dominika Langenmayr gehört die Freiheit des Einzelnen zum liberalen Markenkern. Die Möglichkeit zur unternehmerischen Entfaltung ende dort, wo sie die Freiheit anderer einschränke. „In der Vergangenheit wurde liberale Wirtschaftspolitik oft zu stark mit dem Ruf nach niedrigen Steuern gleichgesetzt“, gibt die Ökonomin von der Universität Eichstätt-Ingolstadt zu bedenken. „Selektive Steuererleichterungen für einzelne Gruppen oder Branchen können der Entscheidungsfreiheit sogar entgegenstehen, da sie Entscheidungen verzerren.“

Clemens Fuest nennt ebenfalls den Schutz der privater Handlungsspielräume. Für den Präsidenten des Ifo-Instituts gehören aber auch staatliche Eingriffe zum liberalen Markenkern, falls Märkte zu Fehlsteuerungen führen. Dabei gehe es oft darum, Marktmechanismen und staatliche Regelungen intelligent zu kombinieren, wie mit CO2-Preisen in der Klimapolitik.

Darüber hinaus heißt Liberalismus für Fuest, sich für Bildung einzusetzen, weil dadurch Menschen erst in die Lage versetzt würden, die Freiheiten, die ihnen der demokratische und marktwirtschaftliche Rechtsstaat biete, voll zu nutzen. „Ich denke, dass die FDP diese Prinzipien in der letzten Legislaturperiode durchaus überzeugend vertreten hat.“

Und was sagt Renate Köcher vom Allensbach-Institut? Die Demoskopin warnt davor, Liberalismus zu eng zu interpretieren, beschränkt auf die Verteidigung individueller Freiheit. Dann würden beispielsweise Forderungen nach einem verpflichtenden sozialen Jahr reflexhaft als Zumutung empfunden. Ihr Rat in Richtung FDP: „Ein Liberalismus, der Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft akzeptiert, ist wesentlich offener und überzeugender.“