Die Grube Messel in Hessen hat qua Weltnaturerbe verknüpfen Status wie jener Grand Canyon
Es war eine kurze Mitteilung, von der die Gemeinde Messel und ihre Bürger Mitte 1971 aufgeschreckt wurden. Sie kam aus dem hessischen Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, das die südhessische Gemeinde und ihre Einwohner über den Beschluss in Kenntnis setzte, den stillgelegten Ölschiefertagebau am Siedlungsrand von Messel zu einer zentralen Mülldeponie ausbauen zu wollen.
Es kam anders. Anstelle eines gigantischen Mülleimers, in dem jede Art von Abfall verklappt werden sollte, wurde die „Grube Messel“ 1995 zum ersten UNESCO-Weltnaturerbe in Deutschland erklärt. Dieser Auszeichnung gingen 20 Jahre Widerstand gegen die Deponie-Pläne voraus, initiiert und getragen von der „Bürgerinitiative zur Verhinderung der Mülldeponie in der Grube Messel“. Sie konnte das fatale Vorhaben schließlich verhindern. „Lebensbegleitend und -prägend, unter die Haut gehend und teils unter der Haut bleibend“, so beschrieb Margit Oppermann, in den Anfangsjahren Vorsitzende und Sprecherin der Initiative, das zwei Jahrzehnte währende bürgerschaftliche Engagement im Herbst 2020 anlässlich der 25-Jahr-Feier des UNESCO-Weltnaturerbes.
Nun jährt sich die Aufnahme der Grube Messel in die Liste der Welterbestätten zum 30. Mal. Zu diesem Anlass gibt es Ausstellungen vor Ort, Führungen durch das Besucherzentrum und die Grube, dazu Kooperationen mit anderen Museen, die „ihre Sammlungen zu interaktiven Geschichten verknüpfen“, wie es auf der Homepage der Grube Messel heißt. Die Vorgeschichte, das harte, zähe Ringen und die juristischen Konflikte um die Zukunft des Geländes finden keine Erwähnung. Dabei gäbe es ohne das Engagement der Bürgerinitiative die Weltnaturerbestätte heute nicht, würden an ihrer Stelle seit Jahrzehnten Haus- und Industriemüll in der Grube endgelagert.
Gegen eine Mülldeponie gab es seinerzeit viele Einwände. Die Einwohner der Gemeinde Messel hatten hinlängliche Erfahrungen mit immer wieder aufkommenden Ölschiefer-Schwelbränden, deren Gestank sich weithin verbreitete und die mit schwerem Gerät bekämpft und ausgeräumt werden mussten. Außerdem handelte es sich bei der einstigen Tagebaufläche um eine Grundwasser führende Grube mit unbekannten Zu- und Abflüssen. Aus Sicht der Deponie-Gegner schien die Gefahr von austretenden Schadstoffen, die das Grundwasser verschmutzen könnten, unbeherrschbar. Das entscheidende Argument gegen die Deponie aber lag in der Bedeutung der Grube als Fossilienfundstätte. Bereits seit den 1960er Jahren war bekannt, dass das Schiefergestein Rudimente barg, über Jahrmillionen bestens konserviert, viele von ihnen selten, manche einzigartig und mitunter vollständig erhalten. Ihr wissenschaftlicher Wert war schon damals weltweit anerkannt.
Ölschiefergrube als Mülldeponie geeignet
Am Rande des dicht besiedelten und wirtschaftlich prosperierenden Rhein-Main-Gebiets fiel jedoch in stetig zunehmenden Massen Müll an, als unsortiertes Gemenge aus allem, was private Haushalte, Industrie und Gewerbe ausspien. Organischer Abfall, Papier, Kunststoffe, Glas, Bauschutt, Verbrennungsrückstände, das alles musste irgendwohin. Für die Umnutzung der Grube als Müllhalde sprach daher, mit einer zentralen Lagerstätte den durch die großen Abfallmengen entstandenen Handlungsbedarf schnell und ohne allzu großen Aufwand lindern zu können. Dies erschien als Horrorszenario, das es abzuwenden gelte, wie viele Menschen im Ort, in dessen Umgebung und später auch bundesweit meinten. Aus anfänglich rund 300 Bürgern, die sich in kleineren Gruppen zusammengefunden hatten, entstand 1975 die Bürgerinitiative, die auf gut 3.000 Mitglieder anwuchs.
Anlass für die Gründung war ein erstes Gutachten, das der Ölschiefergrube bescheinigte, als Mülldeponie geeignet zu sein. Umso mehr sei die Initiative in dieser Situation fest entschlossen gewesen, „mit allen legalen Mitteln der Demokratie gegen jenes unfassbare Vorhaben vorzugehen“, so Margit Oppermann. „Es war der unerschütterliche Wille, Politikern und Betreibern diese für uns skandalöse Fehlplanung nicht einfach durchgehen zu lassen. Dieser Wille wirkte in den weiteren Jahren als treibende Kraft.“
Der Widerstand beschränkte sich nicht auf ein schlichtes Dagegensein. Das Bündnis aus jungen und älteren Menschen, Einwohnern der betroffenen Gemeinde und umliegender Ortschaften, politisch Unbefleckten und kommunalpolitisch Interessierten, Laien und Wissenschaftlern setzte zunächst darauf, sich selbst sach- und fachkundig zu machen, um die Bevölkerung über die Mülldeponie und die möglichen Folgen kompetent informieren zu können. Was man wusste, wurde auf Handzetteln zusammengefasst, die in der Gegend verteilt wurden. Es gab Infoveranstaltungen und Diskussionsrunden mit Politikern und Vertretern des regionalen Abfallverbandes. Die zur Gegenwehr Entschlossenen schalteten Anzeigen und brachten zeitweise eine Zeitung heraus. Parallel dazu arbeitete man sich durch Gutachten, die zwischenzeitlich zu Geologie, Wasserwirtschaft und Abfalltransport erstellt worden waren. Allesamt konstatierten sie die Eignung der Grube als Mülllagerstätte.
Die Bürgerinitiative erkannte indes Schwachstellen in der Art, wie die Gutachten erstellt worden waren, darunter Unklarheiten bei den angewandten Messverfahren. Diese machte das Bündnis 1978 beim Planfeststellungsverfahren und vier Jahre später im erstinstanzliche Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt geltend. Angestrengt hatten das 55 Privatpersonen sowie die Gemeinde Messel, nachdem der Feststellungsbeschluss erfolgt war. 1984 bestätigte das Gericht den Planfeststellungsbeschluss, wodurch der Weg für den Ausbau des ehemaligen Tagebaus zur Mülldeponie zunächst frei schien.
Naturerbe Grube Messel anstatt alte Kühlschränke und Autoreifen
Unterdessen hatte sich der Begriff „Müllnotstand“ im Vokabular der Abfallwirtschaft etabliert. Vor allem Hessen wusste kaum noch wohin mit all seinem Unrat. Zugleich liefen in der DDR Umweltbewegungen Sturm gegen den Import westdeutschen Haus- und Sondermülls, der vornehmlich aus Hessen kam. Seinerzeit fehlte jegliches Konzept zur Mülltrennung sowie Müllwiederverwertung oder gar -vermeidung. Die Bürgerinitiative aus Messel besuchte derweil Fachmessen und fuhr in die Schweiz, um mehr über Abfallkonzepte zu erfahren, die sich nicht darin erschöpften, einfach alles in eine Tonne zu werfen. Die daraus entstandenen Überlegungen, Müll schon in den Haushalten und Betrieben zu trennen, später zu sortieren und Wiederverwertbares zu recyceln, verfingen beim Abfallverband und den Politikern vor Ort nicht.
Mit zwischenzeitlich eingesammelten Spenden gingen daraufhin die Initiative und die Gemeinde Messel erneut den Klageweg. Diesmal vor dem Verwaltungsgericht in Kassel. Das urteilte 1988, dass der Planfeststellungsbeschluss aufgrund schwerwiegender inhaltlicher Mängel als rechtswidrig aufzuheben sei. In der Urteilsbegründung hieß es, der Planfeststellungsbeschluss lasse ausgerechnet bei den wichtigsten Anlagen und Anlageteilen die technische Ausführung offen. Er enthalte sich konkreter Aussagen zur Lösung erwartbarer Probleme und verweise auf später anzustellende Überlegungen. „Damit genügt er der zu stellenden Aufgabe nicht“, so das Fazit.
Das Land legte Berufung ein und zog die Revision erst zurück, als Staatssekretär Manfred Popp, obgleich als Beamter zur Loyalität verpflichtet, an seinem eigenen Ministerium vorbei handelte, indem er prüfen ließ, ob die geplante Deponie den neu erlassenen EU-Richtlinien genügte. Er gab deshalb ein Ergänzungsgutachten in Auftrag, das ermitteln sollte, welche zusätzlichen Investitionen nötig seien, um die Grube Messel zu einem sicheren Deponiestandort zu machen. Die Gutachter errechneten Mehrkosten von etwa 300 Millionen D-Mark. Für den Staatssekretär Anlass genug, die Rücknahme der Revision anzuweisen. Damit wurde das VGH-Urteil rechtskräftig, 1992 landeten die Mülldeponie-Pläne selbst auf dem Müll.
Seither kommen Touristen und Paläontologen aus aller Welt zur Grube Messel, die als Naturerbestätte den gleichen Status wie der Grand Canyon hat. Die meisten wissen nicht, dass sie, wären die Pläne der hessischen Landesregierung umgesetzt worden, heute auf ausgediente Kühlschränke und alte Autoreifen statt urzeitlicher Zeugnisse treffen würden.