Die Gesetzeslücke, die Berlins Mieten explodieren lässt

Aus London und anderen überteuerten Städten blicken wir oft nach Berlin als leuchtendem Vorbild für eine progressive Wohnungspolitik. In der deutschen Hauptstadt, in der 84 Prozent der Haushalte zur Miete wohnen, verbindet man das mit sicheren, unbefristeten, in der Miethöhe kontrollierten Mietverhältnissen. Die Berliner*innen haben sich für das Einfrieren der Mieten und die Enteignung hunderttausender Wohnungen privater Wohnungsbaugesellschaften eingesetzt.

Doch in den vergangenen Jahren ist Berlins Wohnungskrise in nie gekanntem Ausmaß eskaliert: Der Median der Angebotsmieten in der Stadt stieg allein im Jahr 2023 um 21,2 Prozent. Weit entfernt von „arm, aber sexy“, wie die Stadt einst von ihrem eigenen Bürgermeister Klaus Wowereit bezeichnet wurde, hat Berlin heute einen der am stärksten überhitzten Immobilienmärkte auf der ganzen Welt.

Die Gründe für Berlins Wohnungskrise sind komplex. Aber es gibt einen einfachen und veränderbaren Mechanismus, der die astronomischen Mietsteigerungen der vergangenen Jahre mit angetrieben hat: Viele Vemieter*innen nutzen nämlich im großen Rahmen ein merkwürdiges Schlupfloch im Gesetz. Wenn Wohnungen als „zeitlich befristet“ und „möbliert“ vermietet werden, können die Eigentümer nämlich Mietrechtsvorgaben umgehen und deutlich höhere Mieten verlangen.

Möblierte Kurzzeitvermietung: Ein Schlupfloch mit drastischen Folgen

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch sind Mietverträge zum vorübergehenden Gebrauch von der Mietpreisbremse ausgenommen, die vorschreibt, dass die verlangte Kaltmiete – also ohne Nebenkosten – nicht höher sein darf als die Durchschnittsmiete in der Umgebung. Zudem dürfen Vermieter zusätzliche Aufschläge für „Möblierung“ ansetzen, ohne eine klare Rechtfertigung oder eine Auflistung der Art der Möblierung vorzulegen. Befristete Angebote fallen auch nicht unter Gesetze zur Verhinderung von Zweckentfremdung, die Airbnb eindämmen und Wohnraum auf dem langfristigen Markt halten sollen.

Diese Gesetzeslücke für möblierte, zeitlich befristete Wohnungen bietet Vermieter*innen die Möglichkeit, exorbitante Mieten zu erzielen. Die Durchschnittsmiete für alle Wohnungen in Berlin liegt bei 7,67 Euro pro Quadratmeter. Möblierte Wohnungen auf Zeit werden jedoch regelmäßig für mehr als 30 Euro pro Quadratmeter angeboten, manchmal sogar für bis zu 50 Euro. Nach einer Analyse des Immobilienportals ImmoScout24 liegen die Angebote in den fünf größten deutschen Städten im Schnitt elf Euro pro Quadratmeter über dem Preis für herkömmliche Wohnungen und damit bei 28,85 Euro pro Quadratmeter.

Die oben genannten Ausnahmen wurden durch die Idee gerechtfertigt, dass Städte, die viele internationale Arbeitskräfte anziehen, von einer kleinen Anzahl an möblierten Wohnungen zur Kurzzeitmiete profitieren würden. Aber diese Art Wohnraum ist in Berlin und anderen großen deutschen Städten von einem kleinen Anteil auf mehr als 50 Prozent der Angebote angewachsen. In besonders beliebten Vierteln wie Kreuzberg in Berlin herrschen die vorübergehenden möblierten Mietangebote sogar mit 70 Prozent vor – dreimal so viel wie vor zehn Jahren. Von „kleinen“ Wohnungen unter 50 Quadratmetern in Berlin werden mittlerweile zwei Drittel in dieser Kategorie gelistet.

Profite auf Kosten des Mietmarkts

Deutschlandweit stiegen die Anzeigen für möblierte Wohnungen auf Zeit zwischen 2012 und 2022 um 185 Prozent, während die Anzeigen für reguläre (sichere, langfristige) Mietwohnungen um 60 Prozent zurückgingen. Es gibt klare Anreize für Eigentümer, von langfristig vermieteten Apartments auf diese lukrativere Option umzustellen. Nach der Verschärfung der Vorschriften für Ferienvermietungen im Jahr 2018 bietet das Schlupfloch auch eine alternative Strategie für Airbnb-Vermieter*innen. Das Marktsegment „möblierter Wohnraum auf Zeit“ ist daher deutlich angewachsen, denn Immobilienbesitzer*innen aller Arten nutzen die Chance, Kasse zu machen.

Es ist eine ganze Industrie entstanden, um die Ausbeutung der Gesetzeslücke zu erleichtern. Rasant entwickelten sich Risikokapital-finanzierte Wohnungsplattformen wie Wunderflats und Housing Anywhere: Sie helfen Vermietern, mit maßgeschneiderten Dienstleistungen zur Navigation durch die Rechtslage und Wohnungsvermittlung, während sie selbst große Summen in die Tasche stecken. Auf der Homepage von Coming Home etwa wird es so formuliert: „Viele unserer Vermieter empfinden die Komplexität der Gesetze und Regeln in Berlin als lästig. Gerne führen wir Sie durch das rechtliche Labyrinth!“ Die Plattformbetreiber bieten eine einfache Möglichkeit für Vermieter, sich diesen Markt zunutze zu machen, indem sie gegen einen Anteil an der Miete die Verwaltung und Möblierung übernehmen. Da sie eine für die Eigentümer „kostenneutrale“ Dienstleistung anbieten, beruht ihr Geschäftsmodell darauf, die Vermietungsprofite zu erhöhen, eine homogene hippe Ästhetik einzuführen und schöpfen sich selbst die gestiegenen Profite ab.

Der allgemeine Mietmarkt wird durch einen stadtweiten Mietpreisspiegel reguliert, der basierend auf den durchschnittlichen örtlichen Preisen festlegt, wie stark Vermieter*innen die Miete erhöhen können. Die Zunahme dieser neuen Art von wesentlich teurerem Wohnraum treibt diesen Index in die Höhe – und führt zu einem Teufelskreis. Weiter verschärft wird die Lage durch die schlechte Durchsetzung der Mietkontrollgesetzgebung im Allgemeinen. Dazu gehört auch, dass Vermieter Mieten beibehalten dürfen, die gegen die Regeln verstoßen, wenn die vorherige Mietpartei sie nicht eingeklagt hat. Viele, die die möblierten Apartments mieten, sind zudem Ausländer, die auf Zeit in Berlin sind, und ihre Rechte als Mieter nicht kennen.

Der Kampf um bezahlbaren Wohnraum

Wohnraumaktivisten und Mieterorganisationen in Berlin setzen sich natürlich in dieser Sache ein und drängen auf Gesetzesänderungen, um das Schlupfloch zu schließen. Der Bundesrat hat einen Gesetzentwurf eingebracht, der den Mieterschutz bei der Vermietung möblierter Wohnungen stärkt und die Vermieter zu mehr Transparenz bei der Nettomiete und der Gebühr für die Möblierung verpflichtet. Aber die FDP unterstützt diese Anstrengungen nicht, sondern beruft sich auf das bekannte neoklassische Argument, dass strengere Vorschriften die Investitionen in den Wohnungsbau behindern würden, die für eine Senkung der Preise erforderlich sind.

Das Problem mit den möbliert angebotenen Wohnungen auf Zeit hat solche Ausmaße angenommen, dass einige Berliner Behörden die Sache selbst in die Hand nehmen. Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, in dem ganze 64 Prozent der Angebote in die Kategorie fallen, versucht sie aktiv einzudämmen. Nach den vorgeschlagenen Vorschriften wäre für solche Wohnungen künftig eine formelle Genehmigung für eine Nutzungsänderung erforderlich. Die Bezirke Pankow und Neukölln arbeiten ebenfalls an strengeren Regeln. Aber letztlich müsste der Bundestag über grundlegende Veränderungen des Mietrechts entscheiden, da das Bundesland Berlin nur beschränkte Kontrollmöglichkeiten hat, nämlich nur in ausgewiesenen Milieuschutzgebieten.

Berlin entwickelt sich schnell zu einer Stadt, die die Interessen von Investoren und Vermietern über die der Mieter stellt. Was früher ein bezahlbarer Hafen für alternative Kultur war, wird zunehmend unzugänglich für alle, die nicht Tausende Euro für Miete ausgeben können. Dadurch werden die Gruppen mit niedrigem Einkommen ausgeschlossen, die die Hauptstadt zu dem gemacht haben, was sie heute ist.

Das Schließen der Gesetzeslücke ist nur eine kleine Maßnahme, die dazu beitragen kann, Berlins Wohnungsmarkt aus dem Griff der Finanzakteur:innen zu befreien und die Mieter:innen wieder zu stärken. Langfristig sind dafür grundlegendere strukturelle Veränderungen notwendig. Da sich Interessengruppen auf ein zweites Referendum in Sachen Enteignung und Vergesellschaftung von 240.000 Wohnungen im Besitz von Wohnungsbaugesellschaften wie „Deutsche Wohnen“ vorbereiten, ist noch nicht alles verloren. Aber das Schlupfloch in Berlin zeigt, wie die Rolle von Wohnungen als Quelle von Reichtum und Einkommen weiter über ihre Funktion als gesellschaftliche Notwendigkeit priorisiert wird, selbst in einer Stadt, die weithin für ihre progressive Wohnungspolitik gerühmt wird.

Tim White ist Soziologe und Autor, der sich mit Wohnraum, Städten und Ungleichheit beschäftigt. Er ist Alexander-von-Humboldt-Research Fellow an der Freien Universität Berlin und Gastdozent an der London School of Economics.