„Die Finanzbranche finanziert alles, was unsere Lebensgrundlagen zerstört“

Herr Pianowski, Sie leiten gemeinsam mit Verena Kienel das Nachhaltigkeitsresearch der Fondsgesellschaft Ökoworld. Die Beliebigkeit des Begriffs Nachhaltigkeit bringt der Branche schwere Reputationsschäden und Vorwürfe der Grünfärberei ein.

Daniel Mohr

Redakteur in der Wirtschaft.

Völlig zu Recht. Wer behauptet, man könne Nachhaltigkeit definieren, wie man möchte, hat keine Ahnung oder etwas zu verbergen. Das wissenschaftliche Konzept dahinter bietet zwar einige Differenzierungen, ist aber keinesfalls beliebig. Die Finanzbranche versteckt sich allerdings gern hinter unangemessenen Definitionen. Die Branche streut die Nebelkerzen, weil sie bei Weitem nicht grün ist, sondern alles finanziert, was unsere Lebensgrundlagen zerstört und Menschenrechte verletzt.

Was ist für Sie denn Nachhaltigkeit?

Das Konzept ist einfach und logisch: Wir Menschen müssen so wirtschaften, dass die ökologischen Grenzen unserer Erde nicht überfordert sind und die Menschenrechte gelten. Wir versagen derzeit bei allen Dimensionen massiv.

Kann man das denn überhaupt messen?

Das Herunterbrechen auf konkretere Kennzahlen ist nicht besonders schwierig. Wir haben von einigen Ausnahmen abgesehen sehr zuverlässige Zahlen und Messergebnisse. Messprobleme sind wieder so ein Mythos der Branche und der Unternehmen, um eine Ausrede zu haben. Hinreichend genau messen, um richtige Entscheidungen herbeizuführen; das können wir schon längst.

Was sind die richtigen Entscheidungen?

In unserer Analyse bei der Ökoworld fragen wir uns zunächst immer, ob es Produkte überhaupt braucht. Natürliche Ressourcen sind begrenzt und müssen klug eingesetzt werden. Man kommt schnell auf Grundbedürfnisse wie Wohnen, Sicherheit, Nahrung, Gesundheit und Mobilität. Dann stellt sich die Frage, wie Produkte gestaltet sind, ob sie beispielsweise ressourceneffizient sind, recycelbar und vieles mehr. Menschen müssen natürlich mobil sein, aber eben nicht mit einem Verbrenner-SUV. Wir gehen schließlich in die komplexen Wertschöpfungsketten und schauen uns betriebliche Prozesse mit der ökologischen und sozialen Brille an.

Zu den Grundbedürfnissen: Alles andere ist Luxus und gehört verboten?

Ob die Menschen Luxus brauchen, habe ich nicht zu bestimmen. Die Ökoworld muss jedenfalls nicht darin investieren. Was ich persönlich nicht verstehen kann, ist, dass man Verzicht auf Materielles nicht als Luxus sieht, sondern als Einschränkung. Für viele Menschen ist Luxus, gesund zu sein, Zeit zu haben, frei zu sein, Freunde und Familie um sich zu haben, Natur zu erleben.

Jedes Neugeborene ist ein weiterer Konsument.

Kinder sind keine Umweltsünde. Wir wollen menschliches Leben auf der Welt, sonst bräuchten wir das alles nicht zu tun. Klimaschutz ist deshalb der beste Menschenschutz. Es kommt darauf an, unser Wirtschaften, mithin die Produktion und den Konsum, vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln. Gleichwohl bin ich froh, dass nach den neuesten Schätzungen bei knapp neun Milliarden Menschen weltweit der Peak erreicht sein könnte.

Mathias Pianowski

Mathias Pianowski : Bild: Ökoworld

Wie viele Unternehmen im Dax erfüllen Ihre Ansprüche?

Wir investieren global. Von den mehr als 90.000 börsennotierten Unternehmen auf der Welt sind für uns 15.000 bis 20.000 rein vom Handelsvolumen her interessant. Unseren Kriterien entsprechen davon ungefähr 1500 Unternehmen. Von denen wissen wir also, dass sie die Welt nicht kaputtmachen oder zumindest auf einem glaubwürdigen Weg sind, den wir in der Qualität und im Zeitverlauf akzeptieren können. Im Dax sind eine Handvoll Unternehmen in unseren Universen, zum Beispiel Henkel .

Weil Waschmittel der Erde nachhaltig helfen?

Waschen muss man, aber bitte ökologisch verträglich. Henkel ist seit 30 Jahren ein Pionier in Nachhaltigkeit, obgleich noch nicht am Ziel. Die Waschmittel ermöglichen das Waschen bei geringen Temperaturen. Henkel entwickelt seine Ökodesignansätze und Prozesse ständig weiter und hat schon längst sehr gute Managementsysteme aufgebaut.

Woher beziehen Sie Ihre Daten?

Wir machen das Research ausschließlich selbst mit unserem Nachhaltigkeitsteam. Wir lesen alle für uns wesentlichen Informationen, die öffentlich verfügbar sind, und außerdem haben wir noch spezielle Quellen etwa zum Klimareporting. Hinzu kommen Anfragen bei Unternehmen, Telefonate und Besuche vor Ort. Der Kontakt zu den Menschen ist uns wichtig. Einen externen Datenanbieter haben wir aus regulatorischen Gründen und für eine externe zusätzliche Überprüfung von Kontroversen – hier wollen wir wirklich nichts übersehen. Nach EU-Regulatorik berichten wir zwar, aber das sind für uns keine Entscheidungsgrößen.

Es finden sich auch Unternehmen mit Tierversuchen wie Novo Nordisk aus Dänemark in den Fonds.

Das muss auch leider so sein. Novo Nordisk­ ist ein absoluter Vorreiter in vielen Bereichen. Das Unternehmen führt Tierversuche nur dort durch, wo es gesetzlich vorgeschrieben ist, und dem steht ein großer Nutzen gegenüber. Schließlich geht es hier um lebensnotwendige Medikamente und nicht um Kosmetik, in die wir im Allgemeinen nicht investieren. Unsere Unternehmen müssen uns glaubwürdig und nachvollziehbar ihre Strategie nachweisen, wie sie Tierversuche vermeiden, besser gestalten und ersetzen wollen. Novo Nordisk geht sogar noch einen Schritt weiter und lobbyiert für weniger gesetzlich vorgeschriebene Versuche.

Mit der dänischen Moeller-Maersk haben Sie ein Unternehmen in den Fonds, das mit seinen Riesenschiffen die Weltmeere verseucht.

Das wird uns immer wieder vorgehalten. Verwechselt werden oft Frachtschiffe, mit denen 90 Prozent des Welthandels abgewickelt werden, mit Kreuzfahrtschiffen. In Letztere investieren wir natürlich nicht, wie wir überhaupt nicht in die Tourismusbranche investieren. Es ist ökologisch nicht zu vertreten, dass es Kreuzfahrtschiffe überhaupt gibt. Transportschiffe allerdings vermeiden enorm viel CO2 beim Transport, der alternativ nur mit dem Flugzeug durchzuführen wäre. Moeller-Maersk ist innerhalb der Branche ein ökologischer Vorreiter und hat nach der Maßgabe „Wir glauben nicht mehr an fossile Treibstoffe!“ eine Milliarde in Methanolschiffe investiert. Im Juni werde ich die Verantwortlichen von Moeller-Maersk in Kopenhagen persönlich treffen.

Viele Fondsgesellschaften investieren in Unternehmen, die vorgeben, sich zu transformieren, irgendwann grün zu werden, es aber noch nicht sind. Sind mit dem Argument der Transformation nicht letztlich alle Unternehmen beliebig investierbar?

Nein. Echte Transformation ist erkennbar. Es muss neben vielen anderen Dingen einen pariskonformen Pfad beim Klimaschutz geben und einen nachgewiesenen Track-Record. Etwas Richtiges im Falschen gibt es allerdings für uns nicht, zum Beispiel nicht in den Branchen Rüstung und Atomkraft, die wir komplett ausschließen. Auch Unternehmen wie Amazon kommen für uns nicht in Frage, weil sie zu Konsum verführen, der uns letztlich kaputtmacht.

Auch von der Landwirtschaft halten Sie nicht viel.

Die aktuelle Form unserer Landwirtschaft zerstört ihre wichtigste Ressource: Böden. Konventionelle Landwirtschaft oder be­stimmte Chemiezweige haben bei uns keine Chance. Mehr als 80 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Europa sind mit Pestizidrückständen belastet. Industrielle synthetische Mineraldünger beeinträchtigen wichtige Organismen im Boden, was zu einer Verdichtung des Bodens und zu mehr Überschwemmungen führt. Böden speichern dann schlechter Wasser für Trockenzeiten, degenerieren und laugen aus. Im Ökolandbau versickert Niederschlagswasser fast 40 Prozent schneller. Ökoflächen können doppelt so viel Wasser im Boden speichern wie konventionelle Flächen. Allein die deutsche Landwirtschaft verursacht jährlich Umweltkosten in Höhe von 90 Milliarden Euro. Das sind Kosten, welche die Erzeuger nicht tragen und die Konsumenten vorerst nicht zahlen müssen, da sie in den Preisen von Lebensmitteln nicht enthalten sind. Aber wir alle müssen diese Kosten irgendwann doch zahlen. Es wird nur teurer, wenn wir länger warten. Wir können uns Nicht-Öko überhaupt nicht leisten.

Eine liberale Argumentation ist, nicht rigoros Ölheizungen oder herkömmliche Landwirtschaft auszuschließen, sondern auf Technologieoffenheit und Innovation zu setzen.

Diese Begriffe werden seit einiger Zeit als Tarnmantel für das Rückständige und das Nichthandeln genutzt. Wir haben wegen einer jahrzehntelangen Verschleppung des Notwendigen heute keine Zeit mehr. Und nun müssen deshalb Verbote her, und alles wird noch teurer. Beschuldigt werden die Falschen. Eine Energiewende ist das Innovativste, was man derzeit machen kann. Liberale haben auch liberal nicht verstanden. Ich würde auch gern mit 200 Sachen im feinsten SUV über die Autobahn ballern. Allerdings ist das sehr dämlich, weil unsere Umwelt das eben nicht mitmacht und wir dadurch unfreier werden. Dieses Jahrhundert wird noch ganz bitter und bestimmt kein freies.

Andere Fondsgesellschaften geben auch an, Druck auf das Management der investierten Unternehmen auszuüben für Veränderungen.

Die großen Blackrocks dieser Welt hätten tatsächlich die Macht, wirksam Druck auszuüben. Die wollen das aber nicht. Blackrock -Chef Larry Fink versteht das Thema Nachhaltigkeit sowieso nicht. Am Ende zählt für ihn nur der private Gewinn. Kosten werden auf die Allgemeinheit in Form von Umweltverschmutzung und Ausbeutung abgewälzt. Manager von Unternehmen haben mir in persönlichen Gesprächen gesagt: Wir machen das, weil Blackrock es so will. Gemeint ist die Rolle rückwärts.

Nach Ihren strengen Kriterien könnte Blackrock seine Billionen aber doch gar nicht anlegen.

Das ist richtig. Wir bei Ökoworld verwalten 3,2 Milliarden Euro, Blackrock 9.000 Milliarden Euro, etwa 10 Billionen Dollar. Dieses Geld könnte man in nachhaltigen Aktien gar nicht mit Rendite unterbringen. Dieser Umstand ist erschreckend und zeigt, wie wenige Unternehmen auf der Welt das Richtige tun. Es zeigt, warum wir voll in die Katastrophe laufen.

Bewegen Sie denn etwas bei den Unternehmen?

Wir reden mit vielen Menschen in Unternehmen, und das bewirkt etwas. Aus meiner Erfahrung als Unternehmensberater weiß ich noch sehr genau, dass es „ein Unternehmen“ nicht gibt. Es sind immer einzelne Menschen, die viel zum Besseren verändern können oder zerstören. Oft sind unsere Gesprächspartner dankbar, für das Know-how, das wir in Jahrzehnten unserer Arbeit angesammelt haben, und für Hinweise, was sie besser machen können.

Was ist das für Know-how?

In unseren Ausschüssen haben wir visionäre Unternehmer, den Fairtrade-Gründer, Soziologieprofessoren und natürlich auch unsere Fondsmanager und Analysten, die seit Jahren Hunderte Unternehmen vor Ort besucht haben. Ich war neulich zum Beispiel in Brasilien, bei einem der größten privaten Bildungsanbieter dort oder einem Möbelhersteller aus Eukalyptusbäumen. Da kann man gegenseitig voneinander viel lernen. Wir versuchen, die Zahl dieser Reisen so gering wie möglich zu halten, letztlich sind sie für unsere Arbeit aber enorm wichtig.

Die meisten Ihrer investierten Unternehmen findet man in keinem Auswahlindex.

Das ist einer unserer Vorteile als mittelständischer Fondsanbieter. Wir vertreten ja außerdem die reine Lehre. Und wenn SAP Software für Atomkraftwerke liefert, dann sind sie für uns raus. Oder Apple , die in China unter menschenrechtsunwürdigen Bedingungen durch Uiguren produzieren lassen. Oder Tesla , die eine unberechenbare Unternehmerperson an der Spitze haben.

Ihnen sind vergangenes Jahr auch Anleger weggelaufen, als die Kurse fielen. Rendite spielt also auch für Ihre Anleger eine Rolle.

Natürlich, das soll auch so sein. Dafür ist unser Fondsmanagement da und macht das seit dreißig Jahren sehr erfolgreich. Aber eben in einem sinnvollen Rahmen und nicht ungezügelt.

Mathias Pianowski studierte Wirtschaftswissenschaften, unterrichtete mehr als fünf Jahre an der Universität Duisburg-Essen die Fächer Nachhaltigkeitsmanagement und Unternehmensberichterstattung und arbeitete in einer Unternehmensberatung, bevor er zur Ökoworld AG kam. In der Fondsgesellschaft ist er Leiter des Nachhaltigkeitsresearch.