„Die Farbe des Schattens“: Steinerne Gespenster

Wir sind im Januar 1992 in einem fiktiven ostdeutschen Städtchen namens Wechtershagen. Nach der Wende sind hier viele fortgegangen, es herrscht großer Leerstand. Vereinsamte Plattenbauten stehen da wie steinerne Gespenster. Die Zurückgebliebenen hadern mit der neuen Realität – denn die DDR ist jetzt nicht mehr. Misstrauisch beäugen sie alles, was der Westen so anspült, und sind dabei fest in den Fängen ihrer Ostalgie. Während die Erwachsenen resigniert auf all das Neue reagieren, schließt sich die Jugend der rechten Szene an, trägt Glatze und Springerstiefel.

In dieser tristen Kulisse siedelt Susanne Tägder auch ihren zweiten Kriminalroman Die Farbe des Schattens an. Und wieder lässt sie Hauptkommissar Arno Groth ermitteln. Dieses Mal ist er auf der Suche nach dem vermissten elfjährigen Matti Beck. Der Junge sollte Graubrot für seine Eltern in der nahe gelegenen Kaufhalle besorgen, doch zurück kommt er nicht mehr an diesem Abend. Und er wird – spoiler alert – auch nicht mehr lebend gesehen. Denn wenige Tage später finden ihn Groth und sein Team stranguliert in dem Keller eines leer stehenden Hauses.

So beginnt die Suche nach einem Mörder, die sich schwieriger gestaltet als gedacht: Ein geständiger Alkoholiker muss wieder freigelassen werden, die Stadtbewohner zeigen sich wenig kooperativ, und eine richtige Fährte haben die Ermittler auch nicht. Als dann auch noch Parallelen zu einem Mord gefunden werden, der sechs Jahre zurückliegt, wird die Sache zunehmend komplizierter.

Susanne Tägder zieht ihren Kriminalroman auf wie eine Art Kammerspiel. Immer wieder kreisen die Ermittler um dieselben Personen im Mönkebergviertel – dort, wo der Elfjährige gewohnt hat und tot aufgefunden wurde. Behutsam tastet sich Tägder mit den Lesern an die vielen tragischen Figuren heran, wie beim Häuten einer Zwiebel werden ihre Schicksale Schicht für Schicht freigelegt.

Überhaupt lässt sich dieser Krimi viel Zeit. Erst auf Seite 105 wird das tote Kind entdeckt. Die Suche nach dem Mörder ist geprägt von ausdauernder Recherche und dem Warten auf Akten oder Zeugen. Das wirkt erfrischend bodenständig – schließlich hat auch die Ganovenjagd im echten Leben recht wenig mit Bondschen Hochglanzmanövern gemein. In der Folge nimmt diese Geschichte erst im letzten Drittel richtig Fahrt auf, als der Täter schon zum Greifen nahe ist.

Und obwohl das Tempo erst so spät anzieht, lesen sich auch die inhaltlich unaufgeregten Passagen schön. Das liegt nicht zuletzt an der Figur Arno Groth, einem Kommissar, dessen Erschöpfung und stiller Frust für die Leser gut nachfühlbar sind. Nur dass er im Hintergrund mit dem Tod seiner Tochter zu kämpfen hat, wirkt vielleicht etwas konstruiert. Der Topos des vom persönlichen Leid gezeichneten Polizisten ist uns eh ein wenig zu vertraut. Dabei braucht es diese Ebene hier gar nicht, Arno Groth funktioniert auch ohne Schicksalsschlag hervorragend. Man kann ihm daher nur wünschen, dass er bis zum nächsten Fall Schlaf nachholt und die Trauerarbeit abgeschlossen hat.

Susanne Tägder: Die Farbe des Schattens. Kriminalroman; Tropen, Stuttgart 2025; 336 S., 17,– €