Die Einstein-Protokolle enthüllen nicht nur dies Liebesleben des Nobelpreisträgers
Der erste Eintrag verzeichnet am 14. Oktober 1953 den Besuch eines Berners, der eine Erinnerung auslöst. „Er hat ein ähnliches Schicksal wie ich – auch ich wurde vor ungefähr fünfzig Jahren als Privatdozent in Bern nicht angenommen. Die erste Abhandlung über die Relativitätstheorie habe ich vor beiläufig fünfzig Jahren in Bern geschrieben. Damals wurde meine Theorie nicht ernst genommen, heute wollen sie eine große Feier machen.“
Albert Einstein, das Genie der Relativitätstheorie, arbeitete da in Princeton, wo er seit 1933 wirkte, unermüdlich an seiner Einheitlichen Feldtheorie, die er bis zu seinem Tod am 18. April 1955 nicht mehr vollenden konnte. Mit dem Eintrag beginnen die Mitschriften, die seine letzte Geliebte Johanna Fantova, damals Kuratorin der historischen Landkartensammlung der Universitätsbibliothek von Princeton, aus Telefongesprächen bis zum 12. April 1955 protokollierte.
Ganze 62 Schreibmaschinenseiten
Als ein Kollege der 1981 Verstorbenen sie durch Zufall entdeckte, wurden sie als Sensation annonciert. Das „Tagebuch“ seiner „Überlegungen, Ansichten und Klagen in den letzten anderthalb Jahren seines Lebens“, so die New York Times, fand dann aber kaum weitere Aufmerksamkeit, wurde zwar auszugsweise in Arbeiten über ihn zitiert, doch erst jetzt in Gänze veröffentlicht. Ganze 62 Schreibmaschinenseiten.
Nun bilden sie den Kern eines Buchs von 256 Seiten, in dem Peter von Becker noch einmal Einsteins Leben und die Zeitumstände, die Biografie Fantovas und ein Porträt von Princeton – wo 1939 und 1940 die Studenten Adolf Hitler vor Albert Einstein zur bedeutendsten Persönlichkeit der Gegenwart kürten – aufwändig, anschaulich und elegant rekapituliert.
Rückblende: 1921 giftet Adolf Hitler im Völkischen Beobachter gegen „Hebräer“, denen die Wissenschaft „nur Mittel“ sei zur „planmäßigen Vergiftung unserer Volksseele“. Im Zentrum der Attacken fortan: Einstein, zumal, nachdem der 1922 den Nobelpreis für Physik erhält. Seine Potsdamer Vorlesungen, berichtet Egon Erwin Kisch 1922 nach Prag, werden von „Juden raus!“-grölenden Studenten bis zum Abbruch gestört.
Einstein mit ausgestreckter Zunge
Im selben Jahr erscheint aber auch ein Stummfilm, „Die Grundlagen der Einsteinschen Relativitätstheorie“, an dem Otto Fanta mitwirkte, Prager Schulprofessor und später renommierter Graphologe, den Einstein wiederum 1911 im Salon seiner Mutter kennengelernt hatte. 1925 heiratete Fanta die 1901 geborene Johanna, die die zigtausend Bücher von Einsteins Bibliothek ordnete und ihm 1929 zum 50. Geburtstag den Katalog dazu überreichte.
Allesamt werden sie ins Exil gehen, Otto Fanta wird 1940 in England sterben und Johanna und Einstein sich in Princeton wiederbegegnen, wo sie die letzte seiner von der Forschung ermittelten neun Geliebten – ohne die zahllosen Zwischenliebschaften – werden wird.
Längst bewegt Einsteins Relativitätstheorie da fast ausschließlich Physiker und Mathematiker, während Medien und breite Öffentlichkeit sich für den Mann mit der rausgestreckten Zunge, für sein Privatleben, seine zahlreichen Aperçus interessieren – und manchmal auch für seine Stellungnahmen zum Faschismus, seine Mahnung zur und dann Warnung vor der Atombombe, wie seinen Einsatz für vom McCarthyismus Verfolgte, zumal J. Robert Oppenheimer, der die Aufzeichnungen als Basso continuo begleitet.
Johanna Fantova konnte davon ausgehen, dass das, was Einstein ihr am Telefon erzählte, die Nachwelt interessieren müsste. So hat sie ihre auf Deutsch geführten Mitschriften mit einem Vorwort und Kommentaren auf Englisch versehen, in der – vergeblichen – Hoffnung auf deren Publikation. Was sie da im typischen Einstein-Ton notiert hat, liest sich wie aus einer nun geöffneten Zeitkapsel – erhellend zum Damals und nicht ohne ungeahnte (und ungewollte) Aktualität.
Einstein spricht vom Wettrüsten im Kalten Krieg
Einstein spricht hier von der Weltpolitik ebenso wie von der Liebe oder seinem Judentum und dem Verhältnis zu Israel, von seiner Arbeit an der Weltformel wie von den Folgen der Atombombe, vom Wettrüsten im Kalten Krieg, von seiner Kritik an den USA, zumal den McCarthy-Hetzjagden, ebenso wie von allerhand Kuriosem, gelegentlich auch von Altern, Krankheit und Tod.
Gleich am zweiten Tag klagt er über die Folgen seiner Prominenz, die ausreicht, dass ihn Briefe mit der Adressierung „Alfred Einstein, America“ erreichen: „Ich bin ein Magnet für alle Verrückten“. Um hinzuzusetzen, dass ihn diese interessieren. „Diese Menschen tun mir in der Seele leid, das ist auch der Grund, warum ich da zu helfen versuche.“
So bekommt er den Brief eines französischen Gastwirts, der ihn zum Ehrenpräsidenten eines Clubs für Humor und Wissenschaft machen möchte. „Er fragte mich auch, ob er meine Fotografie, auf der ich die Zunge herausstrecke, im Klub aufhängen darf.“ Er darf. „Die ausgestreckte Zunge gibt meine politischen Anschauungen wieder.“ (Später kommentiert er: „Ja, ich bin ein alter Revolutionär, – ja das bin ich, politisch bin ich noch immer ein feuerspeiender Vesuv.“).
Ambivalentes Verhältnis zum Judentum
Ein bayrischer Pfarrer will ihn von seinem Atheismus befreien. (Einstein: „Respekt vor dem lieben Gott muss man haben, auch wenn es keinen gibt.“) Eine Frau mit drei Mädchen will Rat, wie sie einen Knaben gebären kann. Als er wieder mal zu nachgiebig ist: „Ich bin der sanfteste von allen Alberts […]. Ich hätte eigentlich Abraham heißen sollen [….]. Das war aber meinen Eltern zu jüdisch, da haben sie nur das A verwendet und mich Albert genannt.“
Sein Verhältnis zum Judentum ist ambivalent. Er findet gut, dass der Erfinder des Polio-Impfstoffs ein Jude ist, übt Kritik an der israelischen Gewaltpolitik, ruft aber zu Spenden für Israel auf. Kritik übt er auch an den Juden, die nach Deutschland zurückkehren. Obwohl er auf Deutsch, seiner „Stiefmuttersprache“, denkt, träumt und schreibt, mit keinem der beiden Deutschlands will er etwas zu tun haben, und sagt auch der von beiden gemeinsam geplanten Feier in Berlin zum 50-jährigen Jubiläum der Relativitätstheorie ab.
Seine wissenschaftliche Richtung sieht er derzeit im „Verschiss“, das ermögliche ihm aber ungestörte Arbeit. Allerdings berichtet er dann aber immer wieder von Kollegen oder Spinnern, die sich an ihm reiben. „Ich bin ein Ketzer in der Physik, und es scheint allmählich durchzubrechen. Es wird noch lange dauern, und ich werde schon lange tot sein, bis meine jetzige Arbeit anerkannt werden wird.“
Dann wieder Privates. Hochzeiten sind ihm wie die Ehe offenbar ein Gräuel. Die zahllosen Briefe und Geschenke zu seinem 75. Geburtstag amüsieren ihn, darunter ein verschüchterter Papagei, der mit der Post kam. „Ich bin ganz tot von den vielen Gratulationsbriefen, noch immer kommen sie, ein Telegramm kam auch von der Humboldt-Universität in Berlin, von der belgischen Königin usw….Das Vogerl ist traurig, ich versuche es aufzuheitern, aber es versteht leider meine Scherze nicht.“
„Die Herrschaft der Dummen ist unüberwindlich“
Menschen braucht er eigentlich nicht, wenn es nur was zu lesen gibt. Und er freut sich an Gescheitem, dem Buch eines Bischofs zur Verteidigung der Religion gegen die Wissenschaft ebenso wie die kosmischen Spekulationen Velikovskys – und immer wieder vom Friedensaktivsten Bertrand Russell, während er Heinrich Heine nun wohl nicht mehr lesen möchte. Statt im frisch gestrichenen und zu bürgerlichen Schlafzimmer wäre er lieber im Gefängnis.
Mit der gedanklichen Wende: „aber die Amerikaner werden mir nicht den Gefallen tun, einen Helden aus mir zu machen, dazu sind sie viel zu gescheit“. Zugleich beobachtet er hellwach die politischen Verhältnisse in der Welt, was immer wieder zu einsteintypischen Sentenzen führt – „Die Autorität des Staates soll nie zu groß sein. Dann können sie auch keinen Krieg machen.“
Oder: „Man soll auch nicht gleichzeitig auf Krieg und Frieden vorbereiten, und man soll auch nicht einseitig abrüsten.“ Und auch das: „Die Herrschaft der Dummen ist unüberwindlich, weil es so viele sind, und ihre Stimmen zählen genauso wie unsere.“
In alledem ist diese protokollierte Mischung aus Zeitgeschichte und -deutung, Prominenz und Privatem so unnachahmlich wie unersetzlich, ungemein sympathisch wie zur Nachdenklichkeit anregend.
So, wie dies: „Man kann nicht sagen, die Politik geht einen nichts an, weil sie sich auf unserem Rücken abspielt, und da kann man auch nicht seine Augen schließen. Es ist nicht schön auf der Welt! Aber es könnte schon ganz schön sein, wenn die Menschen anders wären. Weil nur jeder auf sich bedacht ist, wird nicht genug für das Allgemeine getan. So spricht der große Raunzer – der bin ich.“
Ich bin ein Magnet für alle Verrückten Peter von Becker Heyne, 256 S., 24 €