Die 30-jährigen US-Renditen werden klar steigen

In der zweiten Aprilwoche gab es mal wieder einen Showdown: Die Notenbanken Fed und EZB trugen ihre Gedanken zur weiteren Entwicklung von Konjunktur und Inflation vor, und das, was sie zu sagen hatten, dürfte nur wenigen Marktteilnehmern gefallen haben. Zinssenkungen wird es in diesem Jahr wohl weder in den USA noch in Europa im erwarteten Umfang geben.

Nach ein paar Stunden, in denen man nirgendwo so richtig wusste, wie man diese neue Lagebeurteilung durch die Notenbanken bewerten sollte, entschieden sich die Märkte zu tun, was sie nahezu immer tun, wenn neue, zusätzliche Unsicherheit Einzug hält: Die Kurse fielen und die Renditen stiegen.

Eigentlich sollten mich diese Botschaften aus dem fundamentalen Raum nicht so sehr berühren. Schließlich haben sie mit technischer Analyse nicht gar zu viel zu tun. Dieses Mal sind sie aber eine einleitende Erwähnung wert: Es passiert nach meinen Beobachtungen selten, dass die Märkte derart auf dem falschen Fuß erwischt werden wie vor einer Woche.

Positionierungen und Wahrscheinlichkeiten

Im Regelfall kann man mit ein wenig technischer Analyse schon vor den jeweiligen Statements mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ableiten, was Frau Lagarde und Herr Powell erzählen, und vor allem, wie die Märkte deren Worte aufnehmen werden. Das war dieses Mal anders, und genau das wurde zum Problem. Zu viele Investoren sind kalt erwischt worden. Der Bereinigungsbedarf dürfte vielerorts erheblich sein. Wer auf nachhaltig fallende Zinsen gesetzt hat und sich nun vielleicht nicht gleich mit dem Gegenteil, aber auf jeden Fall nicht mit dem konfrontiert sieht, was er erwartet hatte, muss jetzt handeln.

Besonders gut sichtbar macht das Problem der abgebildete, mittelfristig orientierte Indikator: Er hat ein neues „Steigt“-Signal generiert. Bedingt durch seine Trägheit kommt das bestenfalls zweimal im Jahr vor. Man tut schon deshalb gut daran, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Seine Reichweite kann gerade in einem überlagernden, langfristigen Aufwärtstrend immens sein. Die vorangegangenen „Steigt“-Signale der vergangenen vier Jahre lassen daran keinen Zweifel aufkommen. Um nur eines davon herauszugreifen: Das „Steigt“-Signal von Ende 2022 kündigte einen Renditeanstieg von circa 1,9 auf 3,3 Prozent an. Erst dann wurde es durch ein neues „Fällt“-Signal wieder entwertet.

Ein weiteres Problem für alle, die auf fallende Zinsen beziehungsweise Renditen gesetzt haben, lässt sich aus dem Chart selbst ableiten. Anders als in der von großer Unentschlossenheit geprägten Zeit von Ende 2022 bis Mitte 2023 zwischen rund 3,5 und 4,0 Prozent wird er aktuell von aufwärtsgerichteter Dynamik geprägt. Die Erfahrung lehrt, dass diese Dynamik besser nicht unterschätzt werden sollte. Oft genug zeigt sie die Hauptrichtung des Marktes an.

Mir bleibt keine große Wahl: Die 30-jährigen US-Renditen dürften ihren langfristigen Aufwärtstrend bereits jetzt wieder aufgenommen haben. Ich muss deshalb die Konsolidierung im Chart der 30-jährigen US-Renditen seit dem vergangenen Herbst für beendet erklären und fortan wieder markant steigende Renditen erwarten. Eine Abschätzung des Ausmaßes des vor uns liegenden Anstiegs ist im gegebenen Umfeld vergleichsweise schwierig. Zwei Dinge meine ich aber schon mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ableiten zu können: Die 30-jährigen US-Renditen werden erstens markante neue Zyklushochs über dem aktuellen bei rund 5 Prozent erzielen.

Zweitens darf man gewiss nicht ausschließen, dass das aktuelle „Steigt“-Signal des mittelfristigen Indikators wie im Jahr 2022 das Potential hat, die Renditen ab jetzt um einen weiteren Prozentpunkt steigen zu lassen. Man macht deshalb wohl keinen allzu großen Fehler, wenn man für die nächsten sechs bis zwölf Monate Niveaus um 6 Prozent nicht ausschließt.

Es ist völlig klar: Sollte diese Prognose richtig sein, werden die Märkte rund um die Welt ein echtes Problem bekommen. Zum einen, weil es nur sehr schwer vorstellbar ist, dass steigende Renditen ein exklusives Problem der Vereinigten Staaten sein werden. Zum anderen, weil die Märkte dann nicht nur Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten im Nacken haben werden, sondern auch noch schwache Rentenmärkte. Nur am Rande: Bidens Wiederwahlchancen werden sich dadurch auch nicht unbedingt verbessern.

Wieder einmal hätte ich nichts dagegen, wenn meine Prognose falsch wäre. Lieber eine krachende Fehlprognose als haussierende Renditen gepaart mit einer parallel dazu wahrscheinlich anziehenden Inflation. Die Chance dafür liegt bei rund einem Drittel. Nicht wirklich gut, aber besser als nichts.

Wieland Staud ist Geschäftsführer der Staud Research GmbH.

Source: faz.net