Der Siegeszug jener Türkei und jener Salafisten

Europa hat riesige Summen an Entwicklungshilfe im Sahel investiert. Ziel war es, den Staatsverfall und Vormarsch von Dschihadisten zu stoppen. Doch die junge Generation orientiert sich an der Türkei oder an dem, was Salafisten in ihren Moscheen predigen.
Seit Jahren ist viel von Russlands Expansion in Afrika mit Wagner-Söldnern und Desinformationskampagnen auf Kosten Europas die Rede. Doch die eigentliche Konkurrenz des Westens kommt aus der muslimischen Welt: eine pragmatische Türkei, die diskret Geschäfte macht, und ein aus den arabischen Golfstaaten importierter radikaler Salafismus.
Europa hat riesige Summen in klassische Entwicklungsprojekte und militärische Kooperationen im Sahel investiert. Ziel war es, einen Staatsverfall und Vormarsch von Dschihadisten in einer Region zu stoppen, durch die die Hauptrouten für Armutsmigration nach Nordafrika und Europa verlaufen. Ein Misserfolg. Insbesondere die Hoffnung der Europäer, im Sahel demokratische Strukturen aufzubauen, wurde mit einer Putschwelle bitter enttäuscht. Europa wandte sich ab von den Militärregierungen, als diese sich mit Russland verbündeten.
In Moscheen und Schulen wird gegen westliche Werte gewettert
Für das Scheitern sind die korrupten Eliten verantwortlich, die die Sahel-Staaten seitdem an den Rand des Abgrunds gebracht haben. Die neuen Militärregierungen sind bei vielen Menschen deshalb beliebt, weil niemand die alten Eliten zurückhaben will. Teil des Scheiterns des Westens ist aber auch ein schleichendes Ausbreiten eines konservativen Islams, der längst der Mainstream in den Sahel-Ländern ist.
In Moscheen und Schulen, die primär mit Geldern aus den Golfstaaten gefördert wurden, wird auf breiter Linie gegen westliche Werte gewettert und eine Anwendung islamischen Rechts – mit großem Erfolg – gefordert: In Niger tragen Mädchen teilweise Ganzkörper-Schleier; Hotels und selbst Supermärkte haben Gebetsräume; wenn der Muezzin zum Gebet ruft, kommt das Leben zum Stillstand. Ignorierten früher viele den Fastenmonat Ramadan, ist es jetzt eine kollektive Pflichtveranstaltung.
Die Kampagnen der Salafisten und der Bruch der Militärs mit Europa haben einen „Kulturwechsel“ gen Naher Osten bewirkt. Eliten in Mali oder Burkina Faso wenden sich von Europa und der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich ab, wo sie häufig studiert hatten, und „besinnen“ sich auf ihre muslimischen Wurzeln. Viele verbringen jetzt ihre Urlaube oder Geschäftsreisen in der Türkei oder Dubai statt in Paris. Größter Profiteur ist die Türkei, die Afrika seit einem Besuch des damaligen Ministerpräsidenten Erdogan in Somalia 2011 zu einem Fokus der türkischen Außenpolitik gemacht hat.
Hauptziel für Ankara ist es, für die heimischen Firmen, die zu Hause unter einer Dauerkrise leiden, Aufträge im Ausland zu besorgen. Türkische Baufirmen haben etwa in Nigers Hauptstadt ein Flughafen-Terminal und mehrere Hotels gebaut. In Bamako in Mali betreibt eine türkische Firma die größte private Klinik. Dazu fliegt Turkish Airlines fast alle Länder in Afrika an, einschließlich der Sahel-Länder, aus denen sich Air France aus politischen Gründen zurückziehen musste. Selbst innerhalb Afrikas fliegen viele Menschen mit Turkish Airlines mangels einheimischer Linien. In jüngster Zeit verkauft die Türkei im Sahel Drohnen und bietet mithilfe von Sicherheitsfirmen Trainings für Soldaten an, die früher von EU-Staaten geschult wurden.
Die Türkei geht sehr geschickt im Sahel und in Afrika vor – das Nato-Mitglied präsentiert sich nicht als Teil des westlichen Sicherheitsbündnisses, sondern betont eher seine Rolle als Brücke zwischen Ost und West und seine muslimischen Wurzeln. Die Türkei mit ihrem moderaten Islam hat nichts mit dem Salafismus der Golfstaaten zu tun, profitiert aber von einer allgemeinen größeren Religiosität des weitgehend muslimischen Sahels. Es zahlt sich aus, dass Ankara viel in „soft power“ wie türkische Schulen oder Stipendien investiert hat. Zudem hält sich die Türkei mit öffentlicher Kritik an Militärregierungen im Sahel zurück und setzt sich damit deutlich von Frankreich ab, dessen Präsident Macron diese immer wieder stark verbal angeht. Die Türkei kommt da als sympathische Alternative zum Westen rüber.
Türkei wird noch wichtiger in Afrika
Künftig dürfte der Einfluss Ankaras und der Salafisten noch steigen. Warum? Ironischerweise waren die Russen praktisch die Einzigen, die dem türkischen und salafistischen Vormarsch Contra gegeben hatten. Neben der Entsendung von Söldnern setzt Moskau auf Desinformation und „soft power“ von Universitäts-Stipendien bis zu prorussischen „Freundschaftsvereinen“. Überall im Sahel entstehen Dependancen des staatlichen Russia House, wo unter anderem das russische Narrativ im Ukraine-Krieg verbreitet wird.
Doch Moskaus Afrika-Expansion dürfte mit dem Fall Assads eher zuende gehen, weil ohne die russischen Stützpunkte dort eine Versorgung der Afrika-Operationen schwierig wird – die Flugdistanz ist weit. Die Folge: Die russischen Söldner werden weniger Waffen und Ausrüstung bekommen, was sich schnell herumsprechen wird – in Mali und auch anderswo auf dem Kontinent. Da hilft dann auch die beste Desinformationskampagne nichts. Russlands Einfluss wird sinken, und die Menschen werden den Salafisten noch mehr Glauben schenken.
Trump dürfte wenig Interesse an Afrika zeigen
Und der Westen? Deutschland und Europa tun sich schwer, eine Linie im Umgang mit den Putschisten zu finden. Frankreich möchte möglichst wenig machen. Vor allem versäumt es die EU, angemessen über ihre massiven Hilfsleistungen zu kommunizieren, nicht zuletzt um der russischen oder salafistischen Desinformation gegen den Westen etwas entgegenzusetzen. Die Vereinigten Staaten waren bisher – wenn auch in überschaubarem Maße – noch ein Korrektiv zu Russland, weil sie Moskaus Expansion als schädlich ansahen und Wagner schnell sanktionierten. Trump mit seiner „America first“-Politik dürfte wenig Interesse an Afrika zeigen.
Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass zur Entwicklungszusammenarbeit auch ein Kampf um die Köpfe gehört. Das Durchschnittsalter im Sahel liegt bei etwa 15 Jahren – aber genau weiß das niemand angesichts rasanter Bevölkerungswachstumsraten. Die junge Bevölkerung hat keinen Bezug zu Europa (anders als die alten Eliten). Sie orientieren sich an der Türkei oder an dem, was Salafisten in ihren Moscheen predigen. Doch radikale Islamisten mit ihrem Weltbild werden die Länder noch stärker ruinieren. Die Folge wird dann mehr Armutsmigration innerhalb Afrikas oder nach Europa sein. Hier müsste die europäische Politik auch mit gezielt eingesetzter Entwicklungszusammenarbeit reagieren – im Kampf um die Köpfe zum Wohle Afrikas und Europas.
Ulf Laessing ist Leiter des Sahel-Programms der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali.
Source: welt.de