„Der Fisch stinkt immer vom Kopf her!“

Seit Monaten tobt im Volkswagen-Konzern der Machtkampf um Entlassungen und Werksschließungen. Am Montag sind an fast allen Standorten zum zweiten Mal große Warnstreiks angelaufen, und die Gewerkschaft gibt sich zum Auftakt siegesgewiss.

Vor mehreren Tausend Beschäftigten, die mit Trillerpfeifen und Protestbannern zu einer Kundgebung vor den denkmalgeschützten Backsteinhallen des VW-Stammwerks am Mittellandkanal gekommen waren, sagte die Betriebsratschefin Daniela Cavallo: „Wir werden dem Vorstand klarmachen, dass dessen Streichplan-Phantasien genau das bleiben werden: Phantasien!“

Vier Stunden Warnstreik

Vergangenen Montag hatten fast 100.000 Beschäftigte in einer ersten Aktion für zwei Stunden die Arbeit niedergelegt. Jetzt weitet die IG Metall ihre Warnstreiks aus. In allen Schichten soll für vier Stunden die Arbeit ruhen. In Wolfsburg begann die Aktion um 10.30 Uhr, wie ein IG-Metall-Sprecher mitteilte. Betroffen sind neben dem Stammwerk auch wieder Zwickau, Hannover, Emden, Kassel-Baunatal, Braunschweig, Salzgitter und Chemnitz sowie die „Gläserne Manufaktur“, eine kleine Fabrik in Dresden, die wie andere Standorte von der Schließung bedroht ist.

In Wolfsburg bekräftigte Cavallo vor der vierten Verhandlungsrunde über einen neuen Haustarif, dass die vom Vorstand geplanten Einsparungen mit ihr nicht zu machen seien. Falls das Management nicht hören wolle, was sie schon früher gesagt habe, gelte weiterhin: „Mit mir, Daniela Cavallo, Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG, wird es hierzulande keine Werksschließungen geben! Und natürlich auch keine Massenentlassungen! Und auch keine harten Einschnitte in unseren Haustarif, die dessen Niveau dauerhaft absenken!“

Unter Hochspannung: Daniela Cavallo, Vorsitzende des Konzernbetriebsrats von VW, und Thorsten Gröger von der IG Metall.
Unter Hochspannung: Daniela Cavallo, Vorsitzende des Konzernbetriebsrats von VW, und Thorsten Gröger von der IG Metall.AFP

VW will seine Kosten nach Angaben der Gewerkschaft um 17 Milliarden Euro reduzieren. Ein Teil der Einsparungen soll durch niedrige Entgelte für die Beschäftigten quer durch alle Gruppen des Haustarifs kommen. Dreimal haben sich VW und die Gewerkschaft schon zu Gesprächen getroffen. Vor der nächsten Runde an diesem Montag bekräftigte der Verhandlungsführer des Konzerns, Arne Meiswinkel, dass es ohne Einschnitte nicht gehen werde.

Konzern will wettbewerbsfähig sein

„Fakt ist: Volkswagen muss seine Überkapazitäten reduzieren“, um wieder wettbewerbsfähig zu werden, sagte Meiswinkel am Vormittag in einer kurzen Stellungnahme, für die er vor die Kameras und Mikrofone der Sender trat, die sich vor der Volkswagen Arena, dem Stadion des VfL Wolfsburg, versammelt hatten. Dort laufen am Mittag die Gespräche mit der IG Metall an.

Auch die Fabrikkosten müssten sinken, und das jüngst vorgelegte Konzept der Gewerkschaft sei „für eine nachhaltige Lösung nicht ausreichend“, beteuerte Meiswinkel. Der Betriebsrat um Cavallo hatte vorgeschlagen, Lohnerhöhungen vorübergehend in einen „Zukunftsfonds“ einzuzahlen, der einspringen soll, wenn VW die Arbeit in schwach ausgelasteten Werken reduziert. Das Management hingegen forderte zuletzt pauschale Entgeltsenkungen um zehn Prozent, aus Sicht der Gewerkschaft eine nicht hinnehmbare „Maximalposition“.

Rückendeckung bekommen die Wolfsburger jetzt auch von der Gewerkschaftszentrale in Frankfurt, für die der Machtkampf in Wolfsburg derzeit einer der wichtigsten Konflikte ist. Die Erste Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, geißelte unter dem tobenden Applaus der Beschäftigten am VW-Stammsitz die Pläne des Vorstands.

Forderung auf Gehaltsverzicht

Wörtlich sagte sie: „Forderungen nach zehn Prozent Verzicht der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen scheinen der neue heiße Scheiß zu sein.“ Ähnliches sei der Gewerkschaft gerade auch bei Thyssenkrupp präsentiert worden. „Ich weiß echt nicht, wo die so was verabreden“, rief Benner mit Blick über das Meer von Bannern und roten Fahnen vor der VW-Fassade. „Im Golfklub, bei der Jagd oder auf ihrer Yacht?“

Gibt sich kämpferisch: Christiane Benner, Vorsitzende der IG Metall, auf der Kundgebung am Montag in Wolfsburg
Gibt sich kämpferisch: Christiane Benner, Vorsitzende der IG Metall, auf der Kundgebung am Montag in WolfsburgAP

Umgekehrt müssten nun die Vorstände und Aktionäre vorangehen und auf zehn Prozent verzichten, sagte die Gewerkschaftschefin, ohne einen genauen Bezug zur Dividende oder zur Vorstandsvergütung herzustellen. Klar sei: „Der Fisch stinkt immer vom Kopf her! Hier in Wolfsburg riecht es eindeutig aus dem Hochhaus hier direkt neben dem Werk sehr, sehr streng!“

Für die Kundgebung kamen die Beschäftigten an der Südseite des Werks zusammen, an dessen äußerstem Rand das Markenhochhaus des VW-Managements steht. Laut Betriebsratschefin Cavallo saß dort gerade das Management der Stammmarke VW und – so die Arbeitnehmervertreterin – „wahrscheinlich nur in Teilen der Konzernvorstand“. Immer wieder rief sie die Beschäftigten zu Sprechchören auf, die bis in den Sitzungsraum zu hören sein sollten. Die Arbeiter skandierten lautstark „Bundesweit streikbereit“.

IG-Metall-Chefin Benner zog eine größere Linie zur Politik in Berlin. Dort müsse die Regierung trotz der gescheiterten Ampelkoalition endlich Beschlüsse treffen, um kriselnden Industriezweigen zu helfen. „Die ganze Welt unterstützt ihre heimische Industrie“, sagte Benner und verwies auf die Vereinigten Staaten, die mit ihrem Inflation Reduction Act eine gewaltige Subventionskulisse ausgerollt hatten und unter Donald Trump noch mehr tun werden, um die heimische Wirtschaft zu stärken. Auch Länder wie China oder Frankreich seien aktiv. „Nur wir hier in Deutschland leisten uns einen Affentanz um die Schuldenbremse. Das muss aufhören. Und zwar sofort, nicht erst nach der Wahl“, rief Benner und verwies auf den eigenen 11-Punkte-Plan der Gewerkschaft, der unter anderem niedrigere Stromsteuern und neue Subventionen für Elektroautos vorsieht.

Der Verhandlungsführer der IG Metall in Niedersachsen, Thorsten Gröger, drohte dem Management offen mit einer weiteren Eskalation. In knapp zwei Wochen sei Weihnachten, und die Geduld der Gewerkschaft sei wie ein Adventskalender: Sie werde Tag für Tag kleiner. Wenn sich der Vorstand jetzt nicht bewege, „dann gibt es 2025 auf den Sparhammer als Antwort nur eines: den Streikhammer!“. Manche IG-Metall-Funktionäre hatten schon offen mit der schärfsten Waffe der Arbeitnehmer gedroht, unbefristeten Streiks.

Am Montag gab es aber auf allen Seiten eine Hoffnung, dass die Gespräche zunächst weitergehen, möglicherweise bis hin zu einer Marathonsitzung in der Nacht bis zum frühen Dienstagmorgen. Eine Einigung wird dann trotzdem noch nicht erwartet. Alle Beteiligten hätten „Schattentermine“ im Kalender, heißt es aus Verhandlungskreisen, also mögliche Termine für neue Gespräche in dieser und der kommenden Woche.