Der Ampel geht die Energie aus

Ein großes Werkstück hatte der Kanzler angekündigt. Seine Koalition habe stellvertretend für die ganze Gesellschaft auf ihrem Weg in eine wirtschaftlich erfolgreiche Moderne einen mühseligen Verhandlungsprozess auf sich genommen. Und „sehr, sehr, sehr gute Ergebnisse“ geliefert.

Nach der Lesart von Olaf Scholz (SPD) hat die Ampel nach drei Tage währenden Verhandlungen Wachstumschancen kreiert, die Digitalisierung vorangebracht und werde so, Achtung, den menschengemachten Klimawandel aufhalten. Es gehört zur Politik, die eigene Arbeit anzupreisen. Aber glaubwürdig sollte man dabei schon bleiben.

Deutschland, das knapp zwei Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen emittiert, spielt für das Weltklima eine Nebenrolle. Bei der Digitalisierung geht es in zersplitterten Zuständigkeiten weiter in Trippelschritten voran. Und das große Werkstück ist in Wahrheit der kleinste gemeinsame Nenner der drei Regierungsparteien, die einige ihrer zahlreichen Streitpunkte in der Klimaschutz- und Verkehrspolitik per Kompromiss beigelegt haben – wobei, so ganz sicher ist auch das noch nicht.

Lesen Sie auch
Koalitionsausschuss

Beim neuen Gebäudeenergiegesetz mit dem angedachten Verbot von Gas- und Ölheizungen ab 2024 zum Beispiel heißt es zwar, der Entwurf von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) werde überarbeitet. Dabei werde darauf geachtet, dass ein technologieoffener Ansatz auch abseits von Wärmepumpen verfolgt wird, ausreichende Übergangszeiträume zur Verfügung stehen und unbillige Härten vermieden werden. Was das konkret bedeutet, wird aber erst nach der Ressortabstimmung des Gesetzes nachzulesen sein.

Ähnlich sieht es bei der Planungsbeschleunigung aus. Zwar setzte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) gegen die Grünen durch, dass auch rund 140 Autobahnbauprojekte von einfacheren Genehmigungsverfahren profitieren sollen – das aber nur „im Einvernehmen mit dem jeweils betroffenen Land“. Die in zahlreichen Bundesländern mitregierenden Grünen haben mithin noch einen Hebel in der Hand, den von ihnen ungeliebten Fernstraßenausbau durch die Hintertür zu blockieren.

Eine gute Nachricht ist es, dass die Ampel keine weiteren Schuldenprogramme auflegt. Allerdings musste Finanzminister Christian Lindner (FDP) den Grünen eine für Investitionen in die Bahn gedachte Erhöhung und Ausweitung der LKW-Maut zugestehen. Das Vorhaben steht zwar im Koalitionsvertrag, aber damals grassierte noch keine Inflation. Es ist auch keine Erhöhung von Steuern und Abgaben, die von den Liberalen stets ausgeschlossen wird, aber doch eine zusätzliche Belastung der Bürger: Die höheren Kosten der Spediteure werden Auswirkungen auf die Preise der transportieren Waren haben.

Der machtpolitische Wille der Ampel zum Weitermachen ist da

Vor allem aber bleibt der Streit um den Bundeshaushalt 2024 und der folgenden Jahre ungelöst. Von einem großen Wurf hätte man schon erwartet, dass die seit Wochen ausstehende Einigung über die Eckpunkte der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung vorangebracht wird. Das ist offenbar nicht gelungen.

Damit bleiben auch Finanzierung und Ausgestaltung der vereinbarten Kindergrundsicherung, die künftige Ausstattung der Bundeswehr in Zeiten eines Krieges in Europa oder Vorhaben wie die Aktienrente offen – und Gegenstand neuer Auseinandersetzungen der drei Regierungsparteien. Gleiches gilt für die Migrationspolitik oder Fachthemen wie die Vorratsdatenspeicherung

CDU-Fraktionsvize Jens Spahn hat nicht ganz Unrecht, wenn er beklagt, dass im Ergebnispapiers des Koalitionsausschusses viel kleines Karo und Geschwurbel zu finden seien. So wird einerseits die Stärkung des Schienengüterverkehrs bis zur „Verstärkung der Entlastung des Einzelwagenverkehrs im Rahmen der Anlagenpreisförderung bei den Kosten für die Nutzung von Zugbildungsanlagen“ durchdekliniert, andererseits mit PR-Begriffen wie „Deutschlandtempo“ und „Freiheitsenergien“ hantiert. Aber was ist das für ein Tempo, wenn drei Regierungsparteien für die Formulierung von 16 Seiten mit reichlich Banalitäten drei Tage brauchen? Und warum wird kein Wort darüber verloren, warum die Kernkraft von der Ampel nicht zu den Freiheitsenergien gerechnet wird?

Lesen Sie auch
Koalitionsausschuss

Die erneuerbaren Energien seien nicht nur für den Klimaschutz wichtig, heißt es, sondern machten Deutschland auch unabhängiger von den Lieferanten fossiler Brennstoffe und sorgten so für mehr Sicherheit. Das würde freilich für AKWs auch gelten. Doch ein Weiterbetrieb der Atommeiler über den 15. April hinaus ist in der Koalition ganz offenkundig ein Tabuthema. Wer aber wie der Kanzler „die ganze Gesellschaft auf ihrem Weg in eine wirtschaftlich erfolgreiche Moderne“ mitnehmen will, der sollte Themen nicht ausklammern.

Sonst wird der Satz, mit dem sein Finanzminister Lindner einen vermeintlich gewachsenen Zusammenhalt der Koalition skizzieren wollte, in anderer Hinsicht Wirklichkeit: „Man schweigt sich auseinander, und man diskutiert sich zusammen.“ Das bedeutet nicht, dass diese Regierung vorzeitig auseinanderbrechen wird. Der machtpolitische Wille zum Weitermachen ist da, trotz des schmalen Vorrats an Gemeinsamkeiten. Kompromisse sind mühsam, aber noch möglich.

Große Werkstücke aber sind von der Ampel kaum noch zu erwarten, die Energie der selbst ernannten „Fortschrittskoalition“ ist von den Krisen ihrer ersten eineinhalb Jahre aufgezehrt worden. Die finanziellen Möglichkeiten auch. Und die Hoffnungen auf einen neuen Politikstil haben sich erledigt. Die politischen Wachstumschancen der Ampel sind begrenzt, die letzten Tage haben das neue Motto dieser Koalition eindrucksvoll vor Augen geführt: Man regiert gemeinsam, aber jeder kämpft für sich allein.

Source: welt.de