Demokratische Republik Kongo: Der Konflikt im Kongo eskaliert
Allein 400.000 Menschen wurden seit Anfang des
Jahres im Osten der Demokratischen Republik Kongo vertrieben. Die Rebellen der
sogenannten M23-Gruppierung rücken weiter vor, die Stadt Goma haben sie
inzwischen umzingelt. Bei heftigen Kämpfen wurden zahlreiche Menschen getötet,
darunter auch Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen. Unterdessen fehlt es der
Zivilbevölkerung an Essen, Wasser und medizinischer Versorgung. Wer sind die M23-Milizen im Kongo? Welche
Rolle spielt das Nachbarland Ruanda? Und wie ist die Geschichte des
Konflikts im Ostkongo?
Wie ist die aktuelle Lage in der Demokratischen Republik Kongo?
In den vergangenen
Tagen hat sich die Situation im Osten der Demokratischen Republik Kongo
deutlich verschärft. Die Stadt Goma wird von Rebellen der sogenannten M23-Miliz
belagert, in der benachbarten Stadt Sake finden heftige Kämpfe statt. Bei den
Gefechten wurden zahlreiche Menschen getötet, darunter auch 13 Soldaten
internationaler Friedenstruppen.
Die vom Nachbarland
Ruanda unterstützte M23-Miliz rückte auf die Stadt Goma vor, Hauptstadt der Provinz
Nord-Kivu. In der Stadt am Ufer des Kivu-Sees sollen sich einschließlich Flüchtlingen
derzeit rund drei Millionen Menschen
aufhalten. Zudem konnten die Milizen den strategisch wichtigen Ort Minova erobern. Sake, rund 25 Kilometer von Goma entfernt, war ebenfalls kurzzeitig
unter der Kontrolle der M23, bevor die Rebellen von kongolesischen Soldaten zurückgedrängt
wurden. Sake gilt als letzte Hürde für die Milizionäre vor der Einnahme von Goma.
In den
Außenbezirken von Goma waren laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AP bereits Bomben zu hören. Hunderte verwundete
Zivilisten wurden aus nahegelegenen Städten und Dörfern in das Hauptkrankenhaus
Gomas gebracht, das bis an die Grenzen ausgelastet war. Von Stellungen auf den
umliegenden Hügeln schießen Rebellen mit schwerer Artillerie. UN-Angaben
zufolge patrouillieren Blauhelmsoldaten mit der kongolesischen Armee und
unterstützen die Sicherung der Zivilbevölkerung, die vermehrt ins Kreuzfeuer
gerät. Eine Eliteeinheit von UN-Blauhelmsoldaten sei „aktiv in intensive
Kämpfe“ verwickelt gewesen, teilte die UN-Mission Monusco mit.
Als Reaktion auf die jüngste Eskalation hat
der Kongo alle diplomatischen Beziehungen zu Ruanda abgebrochen. Das zentralafrikanische
Land hat seine Diplomaten bereits aus Ruanda abberufen und zudem die
ruandischen Behörden aufgefordert, die diplomatischen und konsularischen
Aktivitäten in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa innerhalb von 48 Stunden
einzustellen.
Wie ist die Geschichte des Konflikts im Kongo?
Der Osten der Demokratischen Republik Kongo
grenzt unter anderem an das kleine Nachbarland Ruanda. Dort regiert seit rund
25 Jahren Präsident Paul Kagame, Angehöriger der Volksgruppe der Tutsi. Ihm
werden die Unterdrückung der Opposition und der freien Medien, ein autoritärer
Regierungsstil und die Manipulation von Wahlen vorgeworfen – sowie die Destabilisierung des Ostkongo.
Als Ausgangspunkte des Konflikts gelten der Völkermord
an der Tutsi-Minderheit in Ruanda 1994 und der dritte Kongokrieg in den Jahren ab
2006, in dem Tutsi-Rebellen im Ostkongo gegen Streitkräfte der kongolesischen
Regierung kämpften. Die Region ist somit seit Jahrzehnten von Gewalt geprägt,
insbesondere vom Konflikt zwischen der von Ruanda unterstützten M23 und der kongolesischen
Armee. Die Konflikte flammten vor rund zweieinhalb Jahren wieder auf, als M23-Kämpfer
begannen, große Gebiete im Ostkongo zu erobern.
Im Dezember waren
Friedensverhandlungen zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda
unter Vermittlung Angolas gescheitert. Ein Treffen zwischen Kagame und dem
kongolesischen Präsidenten Félix Tshisekedi wurde in letzter Minute abgesagt. Seitdem verschlechterten sich Beziehungen immer weiter. Derzeit sind rund 15.000 Blauhelmsoldaten
im Kongo stationiert.
Laut dem Kongo, den
USA und den Vereinten Nationen schürt Ruanda den Konflikt mit eigenen Truppen
und Waffen und unterstützt die M23. Ruanda bestreitet die Vorwürfe, die Milizen
zu unterstützen. Die Rebellen sollen vorgeblich die Interessen der im Kongo
lebenden Tutsi verteidigen. Laut UN-Experten befanden sich im vergangenen Jahr bis
zu 4.000 ruandische Soldaten im Kongo, die die Militäraktionen der M23 „de
facto“ kontrollierten.
Der Osten des Kongo
ist reich an Bodenschätzen. Ein besonders wertvoller Rohstoff ist das Metall
Coltan. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Herstellung von Laptops,
Smartphones oder den Batterien von Elektroautos. Die Demokratische Republik
Kongo ist weltweit einer der wichtigsten Produzenten von Coltan. In den von der
M23 eroberten Gebieten kontrolliert die Miliz den Abbau des Rohstoffs.
Wer sind die am Konflikt im Kongo beteiligten Akteure?
Die M23 – der Name
steht für Bewegung 23. März – ist eine militante Gruppe, die sich vor mehr als
zehn Jahren gründete. Sie entstand aus einer Rebellengruppierung, die zuvor
Teil des kongolesischen Militärs war und aufgelöst wurde. Die Gruppe wurde 2012
bekannt, als sie die Stadt Goma für eine Woche einnahm. Die M23-Miliz nimmt für
sich in Anspruch, für die Rechte der Tutsi zu kämpfen. Den Rebellen werden unter
anderem Morde und massenhafte Vergewaltigungen vorgeworfen.
Unterstützt wird
die Miliz laut internationalen Beobachtern von Ruanda unter Präsident Kagame.
Das Land bestreitet die Verbindung sowie die Entsendung von ruandischen
Soldaten in den Kongo.
Bekämpft werden die
Rebellen von den kongolesischen Streitkräften (FARDC). Unterstützt werden diese
von der UN-Mission für die Stabilisierung der Demokratischen Republik Kongo (Monusco).
Diese ist seit 1999 im Kongo aktiv. An der Mission beteiligten sich 26
Länder mit Polizeikräften sowie 49 Länder mit militärischem Personal.
Im Dezember 2023
stimmte der UN-Sicherheitsrat für einen beschleunigten Abzug der
Blauhelmsoldaten. Dies geschah auf ausdrücklichen Wunsch der Regierung in
Kinshasa – trotz andauernder Gewalt. Die M23-Miliz war bislang vorwiegend in
der Region Nord-Kivu aktiv. Seit dem Rückzug der Blauhelmsoldaten aus der
Nachbarprovinz Süd-Kivu wird auch dort gekämpft.
Wie regiert die internationale Gemeinschaft auf die Eskalation im Kongo?
Aufgrund der sich verschärfenden Lage sehen sich
die Vereinten Nationen dazu veranlasst, vor einem umfassenderen Krieg zu
warnen. UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich alarmiert angesichts
der zunehmenden Gewalt und der sich verschärfenden „Gefahr eines
regionalen Krieges“.
Guterres beklagte
die verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung und forderte die M23 auf, „ihre
Offensive unverzüglich einzustellen und sich aus allen besetzten Gebieten
zurückzuziehen“. Als Zeichen für die wachsende internationale Besorgnis
wurde ein für Montag geplantes Treffen des UN-Sicherheitsrates auf Sonntag (16
Uhr MEZ) vorverlegt. Die Vereinten Nationen begannen damit, alle
„nicht essenziellen“ Mitarbeiter aus Goma ins Nachbarland Uganda und
in die kongolesische Hauptstadt Kinshasa zu bringen.
Die Europäische
Union forderte die M23 auf, ihren Vormarsch zu stoppen. „Ruanda muss seine
Unterstützung für die M23 stoppen und sich zurückziehen“, sagte die
EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. „Die EU verurteilt Ruandas Militärpräsenz
in der Demokratischen Republik Kongo scharf als klare Verletzung des
Völkerrechts, der UN-Charta und der territorialen Integrität.“
Die Afrikanische
Union rief zu einer „umgehenden Beendigung“ der Kämpfe auf und
appellierte an die Konfliktparteien, „das Leben der Zivilisten zu
schützen“. Angolas Präsident João Lourenço, der im Auftrag der
Afrikanischen Union zwischen Ruanda und dem Kongo vermittelt, verurteilte die
„unverantwortlichen Aktionen der M23 und ihrer Unterstützer“, die
„schädliche Konsequenzen für die regionale Sicherheit“ haben würden.
Was sagt das Auswärtige Amt zur Lage in der Demokratischen Republik Kongo?
Am Freitag beriet
der Krisenstab des Auswärtigen Amts in Berlin über die Lage im Kongo. Das
Außenministerium forderte Ruanda und die M23 auf, sich zurückzuziehen.
„Alle Seiten müssen die Kampfhandlungen umgehend einstellen und an den
Verhandlungstisch zurückkehren.“
Als Reaktion auf die
eskalierende Lage wurden die Reise- und Sicherheitshinweise für die Demokratische
Republik Kongo angepasst. Die Sicherheitslage habe sich zuletzt „erheblich
verschlechtert“. Die Bedrohung der Stadt Goma sei durch das Vorrücken der
M23 aktuell sehr hoch. Bei einer weiteren Zuspitzung der Lage könnten
Ausreisemöglichkeiten aus der Region womöglich nicht mehr oder nur erschwert
gegeben sein. Bereits jetzt komme es regelmäßig zu Ausfällen ziviler Flüge.
Angesichts der
zunehmenden Kämpfe im Osten der Demokratischen Republik Kongo forderte die Bundesregierung
alle deutschen Staatsangehörigen zur Ausreise aus der Provinz Nord-Kivu auf.
Das Auswärtige Amt warnte zudem vor Reisen in mehrere Provinzen im Osten des
Kongo. Auch von nicht unbedingt erforderlichen Reisen in die übrigen
Landesteile der Demokratischen Republik Kongo einschließlich der Hauptstadt
Kinshasa werde derzeit abgeraten.
Ähnlich reagierten
auch andere Länder: Die US-Botschaft im Kongo rief ihre Staatsangehörigen auf,
„sich an einen sicheren Ort zu begeben, solange die Flughäfen und Grenzen
noch offen sind“. Auch Frankreich und Großbritannien rieten ihren
Staatsbürgern zur Ausreise.
Wie ist die humanitäre Situation im Ostkongo?
Die jüngsten
Entwicklungen haben die ohnehin schon katastrophale humanitäre Situation im
Ostkongo deutlich verschärft. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch
forderte deshalb die Kriegsparteien dazu auf, Zivilisten zu schützen. „Die
Situation der Zivilbevölkerung in Goma wird immer gefährlicher und der Bedarf
an humanitärer Hilfe ist enorm“, sagte Clémentine de Montjoye, leitende
Afrikaexpertin der Organisation.
Mit dem Konflikt verbunden ist eine der
schwersten humanitären Krisen der Welt, mehr als sieben Millionen Menschen wurden
bereits vertrieben, allein 2,8 Millionen in der Provinz Nord-Kivu. Allein seit
Jahresbeginn stieg die Zahl der Vertriebenen laut UN-Angaben bereits um mehr
als 400.000 Menschen.
Matthew Saltmarsh, Sprecher des
UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), teilte diese Woche in Genf mit, die Zahl sei
somit „fast doppelt so hoch wie in der vergangenen Woche“. Das UNHCR
sei „sehr besorgt angesichts der Sicherheit der Zivilbevölkerung und
Vertriebenen“ im Osten der Demokratischen Republik Kongo.
Den Vertriebenen
fehlt es an Essen, Wasser und medizinischer Versorgung. Viele Menschen fliehen
aus Angst vor einer Eroberung Gomas über die Grenze ins benachbarte Ruanda.
Mit Material der Agenturen AFP, AP, dpa und Reuters