Demo der „Letzten Generation“: Solidarität für die Aktivisten? „Jetzt erst recht!“ – WELT

„Ich möchte gerne wissen, wie ich jetzt erst recht für euch spenden kann!“, ruft eine 59-jährige Demonstrantin mit kurzen grauen Haaren und Jeansjacke einer Aktivistin der „Letzten Generation“ zu. Rund 800 Menschen sind nach Angaben einer Rednerin der Gruppe an diesem Mittwoch in Berlin zur Straße des 17. Juni gekommen. Die Berliner Polizei sprach am Abend von etwa 300 Teilnehmern. Im Schleichgang blockierten diese die Fahrspur Richtung Brandenburger Tor.

Die Klima-Aktivisten hatten zum Protest aufgerufen, nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg, Dresden und Hannover. Sie fühlen sich offenbar ungerecht behandelt: Am Mittwochmorgen hatten Polizisten in mehreren Bundesländern bei einer Razzia Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht und Konten sowie die Website der Gruppe gesperrt.

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Verantwortlich für den Einsatz ist die Generalstaatsanwaltschaft München. Sie geht dem Verdacht nach, ob die „Letzte Generation“ eine kriminelle Vereinigung bildet oder unterstützt.

GERMANY-CLIMATE-POLICE-RAIDS
Die „Letzte Generation“-Sprecherinnen Marion Fabian (l.) und Aimee van Baalen (2.v.l.) demonstrieren mit Mitstreitern in Berlin
Quelle: AFP/ODD ANDERSEN

Vielen Teilnehmern der Solidaritäts-Demonstration in Berlin stößt das Vorgehen der Behörden bitter auf. Gegenüber WELT berichten sie, dass sie heute zum ersten Mal für die „Letzte Generation“ auf der Straße gegangen seien – die Razzia habe sie „geschockt“ und „bestürzt“. Gewinnt die „Letzte Generation“ nun an Rückhalt in der Bevölkerung? Jetzt, wo die Kämpfer des umweltbewegten Milieus von „auf sie gerichteten Waffen“ sprechen?

Quelle: twitter.com/AufstandLastGen
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Diesen Eindruck erweckt etwa die Frau mit den grauen kurzen Haaren, die nun „erst recht“ spenden will. Sie heißt Anne S., ihren Nachnamen, sagt sie, könne sie nicht verraten, sie fürchte berufliche Repressionen.

Demonstrantin Anne S. möchte ihr Gesicht nicht zeigen
Demonstrantin Anne S. möchte ihr Gesicht nicht zeigen
Quelle: WELT

Sie sympathisiere schon lange mit der Bewegung, erzählt sie, sei sogar bereit, ins Gefängnis zu gehen. Ihre Lebenssituation lasse das jedoch gerade nicht zu. Auch ihr Sohn sei aktiv in „allen möglichen“ Klimagruppen. Er habe „gar keinen Bock mehr auf Zukunft“, so groß sei seine Angst. Zugleich sei er weniger radikal: Ins Gefängnis wolle er nicht.

„Der eigentliche Rechtsbruch ist der Lobbyismus der fossilen Industrie“

Die Razzia am Mittwochmorgen hat für S. ein Fass zum Überlaufen gebracht: „Der eigentliche Rechtsbruch ist der Lobbyismus der fossilen Industrie! Der passiert doch täglich und wird gar nicht verfolgt“, beschwert sich die Demonstrantin. Dass sie sich nicht selbst an Fahrbahnen ankleben kann, so wie es die Aktivisten regelmäßig tun, kompensiere sie mit Geld: „Ungefähr 500 Euro habe ich in den vergangenen Monaten gespendet, verteilt über kleinere Beträge“, erzählt die 59-Jährige.

Zwischen Topffrisuren, Vokuhilas und lila gefärbten Haaren sind bei dem Protest in der Hauptstadt auffällig viele ergraute Schöpfe zu sehen, die Demonstranten tragen Funktionskleidung, Wanderjacken und Fleece-Kleidung. Zu ihnen gehört auch Janett, 53, die als Sekretärin in einem Krankenhaus arbeitet. Auch sie will ihren Nachnamen nicht verraten, auch sie ist zum ersten Mal für die „Letzte Generation“ auf der Straße und auch für sie war die jüngste Razzia der Anlass. „Heute stecken sie die in Präventionshaft, morgen uns!“, glaubt Janett. Mit Demonstrationen habe sie grundsätzlich viel Erfahrung: „Klima und Nazis, das sind meine Themen.“

„Heute die, morgen wir“, sagt Janett
„Heute die, morgen wir“, sagt Janett
Quelle: WELT

Ganz in ihrer Nähe läuft Stefan Simon, 60, er kommt gerade von der Arbeit. Auch er läuft zum ersten Mal bei einer Protestaktion der „Letzten Generation“ mit. Berührungspunkte gab es aber schon vorher: „Mit der ‚Letzten Generation‘ habe ich beruflich viel zu tun, ich arbeite im Museum“, sagt er und lacht.

Simon ist Chemiker und Direktor des Rathgen-Forschungslabors, das zu den Staatlichen Museen zu Berlin gehört. Dort wird untersucht, wie die Konservierung von Kulturgütern im Klimawandel unter extremen Witterungsbedingungen gelingen kann, außerdem geht es um die Nachhaltigkeit von Museen. Simon erzählt, er komme gerade von einem Kongress mit Vertretern des Inselstaats Tuvalu. Nicht nur dessen Kulturgüter, die ganze Insel drohe im Meer zu versinken.

Stefan Simon kritisiert eine Kriminalisierung der Klima-Aktivisten
Stefan Simon kritisiert eine Kriminalisierung der Klima-Aktivisten
Quelle: WELT

Dementsprechend alarmiert ist Simon, was den Klimawandel angeht. „Ich kann die Aktionen der ‚Letzten Generation‘ in den Museen nicht gutheißen“, räumt er zwar ein. Aber: „Die Aktivisten stehen grundsätzlich auf der richtigen Seite.“ „Furchtbar“ nennt Simon die aus seiner Sicht stattfindende „Kriminalisierung“ der Gruppierung.

Immer wieder ist von „Kriminalisierung“ die Rede

Diese Überzeugung eint viele Teilnehmer der Demonstration, der Begriff „Kriminalisierung“ fällt immer wieder. „Es hat uns geschockt, dass diese Razzia passiert ist, wie ziviler Ungehorsam kriminalisiert wird“, sagt auch Maurizio, 30, der wie seine Partnerin Lisa, 31, sein Gesicht nicht zeigen und seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Das Paar ist mit ihrem drei Monate alten Säugling gekommen, Maurizio direkt von der Arbeit in einem IT-Unternehmen, Lisa befindet sich noch in Elternzeit.

Die jungen Eltern Maurizio und Lisa
Die jungen Eltern Maurizio und Lisa
Quelle: WELT

Von „Kriminalisierung“ spricht auch ein weiteres bereits ergrautes Pärchen vom Typ vorstädtische Grünen-Wähler. Beide wollen ihre Vornamen nicht verraten – und auch nicht, ob sie schon mal bei einer Aktion der „Letzten Generation“ mitgemacht haben. Überzeugt davon, dass ihre Anwesenheit auf dem Solidaritäts-Umzug wichtig ist, sind sie jedenfalls. Im Endeffekt gehe es „um die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder“, sagt die Frau.

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Schnell geht es in dem Gespräch aber um ganz andere Dinge als die „Letzte Generation“. Ihre Wärmepumpe koste um die 30.000 Euro, erzählt die Demonstrantin, das könne sich doch fast jeder Hausbesitzer leisten, außer vielleicht, er habe sein Haus unverhofft geerbt. Überhaupt hält sie Aufregung um das Thema Heizungstausch für das Ergebnis einer von der fossilen Lobby bezahlten Medien-Kampagne. Die Idee eines zufällig gelosten Bürgerrats, so wie sie die Aktivisten der „Letzten Generation“ regelmäßig ins Spiel bringen, findet das Paar dagegen „ausgezeichnet“ – denn der sei dann ja unbestechlich.

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Demonstranten vor der Siegessäule in Berlin
Quelle: AFP/ODD ANDERSEN

Kurz wird der Protestzug aufgemischt, als auf der linken Fahrspur Motoren aufheulen. Männer mit akkurat getrimmten Bärten lassen die Fenster ihrer BMWs herunterfahren, einer ruft: „Spinner!“ Und dann sind da noch drei bleiche Teenager mit roten Fahnen, auf denen steht: „Revolution. Kommunistische Jugendorganisation“. Im Internet fordern sie „Solidarität mit der palästinensischen Befreiungsbewegung“. Als der Protestzug knapp zwei Stunden am Brandenburger Tor ankommt, ist das Magazin, das die Teenager verteilen, vergriffen.

„Ich weiß, dass es unfassbar richtig ist, was ich tue“

Von den Hunderten Demonstranten, die am Anfang dabei waren, sind jetzt vielleicht noch knapp 100 Personen übrig. Lina Eichler, eine der Gründerinnen der „Letzten Generation“, ist eine von ihnen. Sie ruft: „Die Straße soll blockiert bleiben, verteilt euch mal nach links und rechts!“

Dann erzählt eine junge Rednerin, dass am Morgen das Haus ihrer Eltern durchsucht und der Laptop des Vaters beschlagnahmt worden sei. Sie selbst sei schon zweimal inhaftiert gewesen. „Ich weiß, dass es unfassbar richtig ist, was ich tue!“, ruft sie. Die Menge applaudiert.

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Eine 70-Jährige, die sich als Marie vorstellt, ruft: „Ich habe mich entschlossen, morgen zum ersten Mal an einem Protesttraining teilzunehmen!“ Die Menge jubelt. Und Henning Jeschke, auch er ein Gründungsmitglied der „Letzten Generation“, redet über den drohenden Weltuntergang: Deutschland mache den „Fortschritt über die Klippe“.

Als die Straße des 17. Juni sich wieder geleert hat, steht da noch ein kaputter Opel, er gehört Necip A., 26, Immobilienverwalter. Ein anderer Autofahrer – er steht mit seinem ebenfalls geschrotteten Toyota bedröppelt nebendran und telefoniert – sei ihm „voll ins Auto gefahren“, sagt A. „Er wollte wenden – wegen des Chaos, wegen der Demo. Mich hat er dann nicht gesehen.“

Und wie findet A. die „Letzte Generation“? „Ich habe so einen Hals auf die.“

Necip A., 26
Necip A., 26
Quelle: WELT

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Source: welt.de