„Das wäre natürlich eine Katastrophe z. Hd. den Rodelsport“

Georg Hackl ist ein Wintersport-Held hierzulande, eine Legende. Dass er vor knapp drei Jahren als Trainer zu den Österreichern wechselte, sorgte für viel Aufsehen. Und er arbeitet erfolgreich, sehr sogar, wie die letzte Saison zeigte. Ein Gespräch.
Georg Hackl hat seine Sportart geprägt – einst als aktiver Rodler, der fünf olympische Goldmedaillen gewann, danach als Trainer im deutschen Team. Im Frühjahr 2022 wechselte er dann ausgerechnet zum großen Rivalen nach Österreich. Und die Aufregung war riesig.
Der 58-Jährige setzt seitdem seine erfolgreiche Arbeit beim Nachbarn fort, unschwer abzulesen an den Ergebnissen der WM 2024, als Österreich die deutsche Mannschaft mit vier zu drei Goldmedaillen besiegte. Donnerstag startet nun die WM in Whistler (Kanada).
WELT: Herr Hackl, seit Ihrem Wechsel 2022 wird das österreichische Rodel-Team mit Ihnen als Trainer immer stärker und lag bei der WM 2024 schon vor Deutschland. Wie unterscheiden sich Ihre Gefühle, wenn Sie die Nationalhymnen der beiden Länder bei Siegerehrungen hören?
Georg Hackl: Die deutsche Hymne bleibt immer etwas Besonderes. Ich bin und bleibe Deutscher. Aber ich kann mich auch mit Österreich sehr gut identifizieren. Dieser alpenländische Kulturkreis ist mir durch die Nähe zu meiner Heimat sehr vertraut und sympathisch. Auch geschichtlich gibt es durch die Habsburger Monarchie eine Verbindung. Wenn ich die österreichische Hymne höre, löst es eine sportliche Freude und Stolz auf das Erreichte aus. Es gibt ja auch noch einige heimliche Hymnen wie „I am from Austria“ von Rainhard Fendrich oder „Dem Land Tirol die Treue“. Dann singen alle mit.
WELT: Wer feiert besser?
Hackl: Darin sind Rodler alle gut! Das Schöne ist, dass in unserem Sport alle eine große Familie sind. Da werden die Rivalitäten nur im Wettkampf ausgetragen. Und hinterher wird dann meistens sogar zusammen gefeiert.
WELT: Als Sie 2022 nach Österreich wechselten, waren die deutschen Sportler unglücklich. Wie ist das Verhältnis heute?
Hackl: Am Anfang war gerade bei denen, mit denen ich am engsten zusammengearbeitet habe, eine gewisse Enttäuschung schon sehr stark spürbar. Bei Felix Loch, Anna Berreiter und den Tobis (Wendl und Arlt; d. Red.). Das habe ich, ehrlich gesagt, etwas unterschätzt, weil ich dachte: Das ist doch wie im Fußball. Da wechseln auch mal die Trainer – und zwar wesentlich schneller als bei uns. Es hat danach etwas gedauert, aber inzwischen hat sich das Verhältnis normalisiert.
WELT: Wie sehen Sie Ihre Zeit als Trainer in Deutschland?
Hackl: Ich blicke nicht ohne Stolz auf diese tollste Zeit meines Trainer-Lebens zurück, weil unsere Trainingsgruppe „Sonnenschein“ bei drei aufeinanderfolgenden Olympischen Spielen fast alle Goldmedaillen gewonnen hat – und alle Schlitten durch meine Hände gegangen sind. Aber das war ja dann letztlich auch der Grund, warum Österreich an mir interessiert war.
WELT: Wie erklären Sie sich, dass Österreich immer häufiger vor Deutschland landet?
Hackl: (schmunzelt) Das liegt natürlich nicht alles an mir. Die Zusammenarbeit im Trainerkreis funktioniert sehr gut. Die Sportler machen gut mit und sind von der Altersstruktur genau richtig. Viele sind an oder sogar noch vor ihrem sportlichen Zenit. Eine Madeleine Egle zum Beispiel ist von den körperlichen Voraussetzungen eine begnadete Starterin – groß, relativ geringes Gewicht, gute Schnellkraft. Dazu ist sie wahnsinnig fleißig, arbeitet akribisch an ihrer Fahrtechnik.
WELT: Wie viel Spaß macht es, Deutschland zu schlagen?
Hackl: Die deutschen Sportler gelten als die Stärksten, deshalb ist ein Sieg gegen sie besonders wertvoll.
WELT: Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Hackl: Meine Schwerpunkte sind Fahrtechnik und Schlittentechnik. Zum einen stehe ich neben der Bahn und gebe fahrerische Hinweise – per Funkgerät direkt nach den Läufen oder bei der Videoanalyse. Außerdem berate ich beim Schlittenbau. Jeden Sommer entscheiden wir in einem Expertenkreis, wie wir die Schlitten verbessern können oder neu bauen.
WELT: In Deutschland bauten Sie früher die Schlitten selbst. Wie läuft es jetzt ab?
Hackl: Das Angenehme bei den Österreichern ist, dass die Komponenten von privaten Firmen in der freien Wirtschaft gefertigt werden. Die müssen Geld verdienen, sind also schnell und gründlich. Ich brauche im Sommer nicht mehr in der Werkstatt zu stehen, sondern nehme nur noch Anpassungsarbeiten vor. Im Winter geht es besonders um die Laufschienen aus Stahl und wie sie geschliffen werden. Die Kufen sind wie die Reifen im Automobilsport die Schnittstelle mit dem Untergrund und so ganz entscheidend.
WELT: Sind Sie nach Österreich umgezogen?
Hackl: Nein, ich lebe in Bischofswiesen im Berchtesgadener Land, direkt an der Grenze. Ich bin zwar regelmäßig in Innsbruck, aber nicht so oft, dass ich mir dort eine Wohnung nehmen müsste. Im Sommer mache ich viel Homeoffice, und im Winter bin ich ohnehin mit der Mannschaft an den Bahnen der Welt unterwegs.
WELT: Ihr Vertrag läuft bis 2026. Was kommt danach?
Hackl: Ich denke momentan darüber nach. Eigentlich ist es mein Wunsch, im Rodeln zu bleiben, aber ich möchte auch gern etwas weniger Aufwand haben. Ich fahre seit weit über 40 Jahren jeden Winter in der Weltgeschichte herum. Auch mal die Heimat im Winter zu genießen, hätte ich mir aufgrund meines Alters langsam mal verdient, denke ich.
WELT: Donnerstag startet die WM in Whistler (Kanada). Wer gewinnt das direkte Duell?
Hackl: Es wird schwierig. Auf der Bahn braucht man einen starken Start. Zum Glück können das mit Madeleine Egle und Jonas Müller einige bei uns gut.
WELT: Wer ist beim Material besser aufgestellt?
Hackl: Die Saison zeigt, dass unseres bei kalten Eisverhältnissen besser funktioniert. Daher wünsche ich mir für die WM natürlich Kälte.
WELT: Vor 15 Jahren starb der Georgier Nodar Kumaritashvili nach einem Unfall in Whistler. Was hat sich seither verändert?
Hackl: Es führte in erster Linie zu der Erkenntnis, dass es ein „höher, schneller, weiter“ nicht mehr geben darf und alles sehr deutliche Grenzen hat. Die Höchstgeschwindigkeiten, die dort erzielt wurden, waren einfach nicht mehr händelbar. Das war den Experten auch schon vor dem Unfall klar, doch trotzdem wurde weitergemacht. Da wollten einige das Rad immer weiter drehen und unbedingt die schnellste Rodelbahn der Welt haben. Es sollte immer schwieriger sein.
WELT: Welche Beispiele gab es noch?
Hackl: Das haben wir auch beim Neubau von Lake Placid oder der Olympia-Bahn von Turin gesehen. Da sind dann ganz schwere Unfälle passiert. In Pyeongchang hätte man die Kurve neun durch den Eisausbau entschärfen können, aber das wurde nicht gemacht. Rodeln ist per se nicht einfach, und da braucht man keine besonderen Schwierigkeiten einzubauen. Es sollen ja nicht nur die drei Besten im Feld damit klarkommen, sondern alle müssen da irgendwo überleben können. Das muss man immer im Hinterkopf haben. Traurigerweise brauchte es diesen Unfall, dass da wirklich auch ein größeres Umdenken stattgefunden hat.
WELT: 2026 sind Olympische Spiele. Die Bahn in Cortina ist noch in Bau. Glauben Sie, dass alles klappt?
Hackl: Ich habe gehört, es soll ganz gut vorangehen, aber wie bei jeder Baustelle kann man den Zeitplan nicht voll und ganz einhalten. Der Homologierungstermin (Abnahme der Bahn; d. Red.), der für März oder April angesetzt war, kann wohl nicht gehalten werden. Das heißt, wir werden dann wirklich erst im Olympiawinter zum ersten Mal auf dieser Bahn fahren, und dann muss natürlich schon alles passen. Es darf dann nichts mehr schiefgehen.
WELT: Das IOC und die Bob- und Rodelweltverbände haben einen Plan B in der Schublade: Lake Placid in den USA.
Hackl: Es wäre natürlich eine Katastrophe für den Rodelsport, wenn wir wirklich so weit von den Olympischen Spielen getrennt wären. Ich setze darauf, dass die Italiener so stolze Menschen sind, dass sie sich nicht die Blöße geben werden, die Bahn nicht fertigzukriegen. Aber davor haben sie sechs Jahre lang vertrödelt, das gehört auch zur Wahrheit.
WELT: Es war ja auch einmal die Bahn in Innsbruck-Igls als Alternative im Gespräch.
Hackl: Das wäre natürlich für die Österreicher super gewesen. Speziell die Finanzmittel für den aus Sicherheitsgründen erforderlich gewordenen Umbau, der momentan stattfindet, wären dann leichter und ausreichender verfügbar gewesen. Aber am Ende wünscht man sich, dass die Rennen in Italien stattfinden, und die Kufensportarten auch wirklich nahe an den anderen Olympiaschauplätzen dran sind.
WELT: Auf der Bahn in Cortina hätten alle Rodler, ähnlich wie 2022 in Peking, sehr wenig Erfahrung. Für wen ist das ein Vorteil – die Deutschen oder die Österreicher?
Hackl: Das wird sich herausstellen und ist individuell sehr spannend. Natürlich ist es auch meine Aufgabe, möglichst schnell herauszufinden, wo die ideale Linie liegt.
Source: welt.de