„Das Liebespaar des Jahrhunderts“ von Julia Schoch: Drei Wörter

„Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich. Drei Wörter, die jeder Mensch begreift. Es genügen drei Wörter, und alles ist getan. Man muss sie bloß aussprechen. Ich bin erstaunt, dass es so einfach ist. Und noch etwas erstaunt mich: Der Satz ist genauso kurz wie der, den ich am Anfang unserer Geschichte gesagt habe. Am Anfang habe ich zu dir gesagt: Ich liebe dich.“
Solche Sätze fahren durch die Glieder, und so geht es den Leserinnen und Lesern dieses fantastischen Buchs von Julia Schoch immer wieder: Ihre Prosa ist klarsichtig und schnörkellos wahr. Wahr auch in ihrer dringlichen Frage, ob die Liebe überhaupt funktionieren kann.
Das Liebespaar des Jahrhunderts heißt der zweite Teil von Schochs autofiktionaler Trilogie, in dem sich die Ich-Erzählerin auf die Spuren ihrer vergangenen Liebe begibt. „Ich liebte dich sofort“, beginnt das Ich unchronologisch, aber vom Anfang der gemeinsamen Geschichte her zu erzählen. Und die währt immerhin schon 31 Jahre lang. Am Anfang war die Leidenschaft. Da wird gemeinsam auf dem sonnigen Balkon des Plattenbaus in der DDR gelesen, die Wohnungen sind klein, die Matratzen liegen auf dem Boden. Ihr Glück scheint perfekt, sie sind hochmütig in ihrer Liebe, die dort anfange, „wo die Filme aufhörten“. Aber rasch entwickelt sich eine ungesunde Abhängigkeit der Erzählerin von ihrem Freund. Es sei ihr logisch vorgekommen, alles für ihn aufzugeben. Sie werden erwachsen, die gemeinsamen Wohnungen werden größer, aber auch der Abstand zueinander wird es. Kinder kommen. Und irgendwann spürt sie, dass sich zwischen häusliche und familiäre Pflichten das Unglück eingeschlichen hat. Man kennt auch diese Erzählung – dass die Liebe dem Leben erliegt.
Angesichts der Sprachfertigkeit der Erzählerin überrascht ihr Verstummen in der Beziehung. Sie spricht nicht nur über ihr Unglück nicht, „in Wirklichkeit konnten wir nicht mal mehr reden, wenn wir nebeneinander im Auto saßen“. Er wird ihr fremd, sie wird sich selbst fremd, „wir sahen viel häufiger Sex im Fernsehen oder Kino, als wir selbst welchen hatten“. Alles Schöne tue sie mit ihm nur noch in Gedanken. Wann habe der Gedanke, ihn zu verlassen, sie das erste Mal durchzuckt? Wie das so ist mit unausgesprochenem Unglück, manifestiert es sich auch hier in Frust, der irgendwann zur „Lust an der Zerstörung“ hochkocht. Sie wirft ihm innerlich vor, was sie selbst längst getan hat: sich heimlich nach Trennung zu sehnen, sie aber nicht durchziehen zu können, stattdessen Affären zu haben. Am Ende ist unklar, ob diese Geschichte über die Liebe eine des „Verlusts“ ist oder eine der „Befreiung“. Denn das macht Schoch auch klar: Das hier ist nur eine Seite der Geschichte. Aber sie ist klug, wahr und unbedingt lesenswert.
Julia Schoch: Das Liebespaar des Jahrhunderts. Roman; dtv, München 2023; 192 S., 22,– €, als E-Book 18,99 €