Daniel Spoerri in Hamburg: Jede Mahlzeit ein dicker Teppich Tod

Genie ohne Talent“ hat sich Robert Filliou, ein Mann mit zwei linken Händen, einmal genannt. Nicht unbedingt ein Widerspruch in einer Sparte wie der sonderbaren Fluxus-Kunst, wo handwerkliche Skills verzichtbar waren. Über die auch der junge Balletttänzer Daniel Spoerri nicht verfügte, weder zeichnen noch malen konnte, als er dennoch ein bildender Künstler sein wollte.

Zu interessant, zu inspirierend, zu abendfüllend waren die vielen Freundschaften, die er in den Fünfzigerjahren in Paris mit Jean Tinguely und Eva Aeppli, mit Dieter Roth, André Thomkins und Meret Oppenheim geschlossen hatte und ihn von der Bühne weglockten. Als er dann auch mit Filliou Bekanntschaft schloss. Auch er also wollte sich als Künstler behaupten. Aber wie, womit?

Vieles sieht nach Gelage aus

Seine Erweckung erlebte Spoerri 1960 in seinem winzigen Chambre No. 13 im Hôtel Carcassonne, in dem er, damals nicht unüblich, einige Jahre lang residierte. Gerade hatte er eines Morgens sein Frühstück eingenommen, da erkannte er in dem gewöhnlichen Setting von benutztem Besteck und Geschirr vor seinen Augen ein beredtes Zeugnis gelebten Lebens – spontan schwebte ihm ein Stillleben vor: Die abgefrühstückten Requisiten auf der Tischplatte würde er befestigen und, in die Vertikale gekippt, an die Wand hängen.

Das zwanzigste Jahrhundert hat eine Menge seltsamer Stillleben gesehen, Pelztasse und Hummertelefon, bronzene Bierdosen, eine Schreibmaschine aus Vinyl, gesammelten Hausmüll oder ranzige, vor sich hin schimmelnde Würste. Aber nur der 1930 im rumänischen ­Galatz als Daniel Feinstein geborene Spoerri konnte über fünfzig Jahre hinweg ein Œuvre mit der einen Idee bestreiten, einen alltäglichen Augenblick des Essens stillzustellen – um in seinen Assemblagen Bild, Skulptur und Readymade zu vereinen. Eat Art sollte er diesen Kunstgriff im Unterschied zur Kochkunst nennen, nach einer Eingebung in einem Traum (auch „Fallenbilder“ taufte er seine Assemblagen, weil er die kompositorische Falle stets in einem bestimmten Moment zuschnappen ließ).

Eine große Fotocollage aus dem Hotelzimmer in der Rue Mouffetard hält den Ort des Geistesblitzes fest, zu sehen in der Ausstellung, die dem Mitstreiter der Nouveaux Réalistes in den Hamburger Phoenix Hallen gewidmet ist. Weder ­Spoerri selbst kann sie noch erleben noch Harald Falckenberg, Sammler und Impulsgeber der letzten Schau, die er noch anregen konnte. Die Ausstellung macht vor allem dies kenntlich: In all den Essensresten, geleerten Weinflaschen, verkrusteten Messern und Gabeln tut sich nicht nur gepflegte Geselligkeit kund. Gewiss auch keine Henkersmahlzeit, wohl aber stets ein kleiner Tod. Vieles sieht nach Gelage aus. Den Ansprüchen eines Knigge hätte manch dergestalt hinterlassenes Memento mori nicht genügt.

Fotografien aus Polizeihandbüchern

Nicht zu vergessen ist darüber aber die glühende Leidenschaft Spoerris für das Kochen, die Zubereitung entlegener Köstlichkeiten und das Wissen um ihre kulturellen Zuschreibungen wie Ameisenomelett und Elefantensteak, die er in einer längeren Klausur auf der griechischen Insel Symi eingehend studierte. Dort entdeckte er auch Hahnenkamm und Entenfuß, sogar den Schließmuskel von welchem Geschöpf auch immer als für den Gaumen genießbar, bevor er in Düsseldorf das Restaurant Spoerri eröffnete.

Aus dieser Zeit stammt sein Kurzfilm „Resurrection“ (Auferstehung), den er mit dem britischen Künstlerkollegen Tony Morgan produzierte: Dokumentiert wird darin, im Kintopp-Stil, die Fleischverarbeitung von der grasenden Kuh über die Schlachtung bis zum Steak auf dem Teller, dessen Verzehr und schließlich bis zur Darmentleerung auf dem Klo – gebannt in Nahaufnahme. Was auch nicht viel appetitlicher dadurch wird, dass der Film rückwärts läuft. Auch dies ein Beitrag zur Eat Art.

Die Hamburger Schau weitet den Blick über die bekannten Assemblagen aus und zeigt wenig bekannte Werkreihen wie Spoerris „Brotteigobjekte“ aus den Sechzigern. Jenen Teig, offenbar mit reichlich Hefe versetzt und dankbar üppig quellend, verteilte der Neue Realist über Schreibmaschinen, Traktorensattel, eine Sandale, ein Bügeleisen oder eine Violine, auf dass er wie ein Geschwür in diese Dinge eindringt, hübsch ekelig. Oder seine „Wortfallen“: Darin nimmt Spoerri Sprichwörter wörtlich, und zwar schrill, wenn zum Beispiel etwas „ins Auge sticht“ – in Form einer Schere, die sich in einen arglosen Puppenkopf bohrt. Krass; subtil ginge anders.

Ziviler Ungehorsam und Counter Culture

Bizarr sind Spoerris „Morduntersuchungen“: Fotografien aus Polizeihandbüchern mit Verstümmelungen, Beilverletzungen, Stichwunden oder einem „Schussrichtungsstab“, der durch den Kopf hindurch führt, fügte er ein Messer oder ein kleines Hackebeil hinzu.

Spätestens hier fragt man sich, ob der Künstler durch seine Biographie, den Mord an seinem Vater, verübt durch die Nazis im Pogrom von Iași, durch die Vertreibung aus der Heimat nicht traumatisiert war. Eine Therapie hatte er jedenfalls abgelehnt mit dem Hinweis, darunter könne seine Inspiration leiden. „Angstbekämpfungsübungen“ sah Jean Tinguely in den Werken des Freundes.

Ergänzt wird die Schau durch Werke aus der Sammlung Falckenberg, die ihr Besitzer gern mit Schlagworten wie ziviler Ungehorsam und Counter Culture beschrieb. Spoerri schätzte Mark Dion oder die Weggefährten Dieter Roth und Emmett Williams, mit Öyvind Fahlström und Gianfranco Baruchello verbanden ihn gemeinsame Ausstellungen wie jene 1961 im Museum of Modern Art in New York. Oberflächlich erscheinen dagegen Ähnlichkeiten in Material und Aussehen in Arbeiten etwa von Jonathan Meese.

Daniel Spoerri: Ich liebe Widersprüche. Phoenix Hallen, Hamburg-Harburg, bis 26. April 2026. Katalog in Vorbereitung.

Source: faz.net