Chirurg soll mehrjährig hunderte Kinder unter Narkose missbraucht nach sich ziehen

Mehr als 25 Jahre soll ein französischer Arzt unbemerkt hunderte Kinder missbraucht haben. Viele standen unter Narkose und erfuhren erst durch die Polizei von den Vergewaltigungen. Nun beginnt der Prozess gegen den ehemaligen Chirurgen.
In zwei Wochen beginnt in Frankreich der größte Kindesmissbrauchsprozess des Landes. Dem 73-jährigen Joel Le Scouarnec wird hundertfacher Kindesmissbrauch vorgeworfen. Zwischen 1989 und 2014 soll er 299 Kinder missbraucht haben. Mehr als 100 Anklagen wegen Vergewaltigung und rund 150 Anklagen wegen sexueller Nötigung laufen gegen den ehemaligen Chirurgen aus der Bretagne. Einige der Anklagepunkte hat Le Scouarnec bereits gestanden.
2017 wurde der Mann verdächtigt, seine Nichte und zwei weitere Mädchen vergewaltigt zu haben. Damals geriet er in das Visier französischer Ermittler. Bei der Festnahme fand die Polizei in seinem Haus Sexpuppen in Kindergröße und Material, das Kindesmissbrauch zeigte: mehr als 300.000 Bilder und detaillierte Tagebücher. Le Scouarnec hatte den Missbrauch an vielen seiner jungen Patienten genau protokolliert. In den Tagebüchern gab er auch zu: „Ich bin ein Pädophiler.“ Das berichteten mehrere Medien.
Wegen der Vergewaltigung seiner Nichte und zweier weiterer Mädchen wurde Le Scouarnec 2020 zu 15 Jahren Haft verurteilt.
FBI warnte bereits vor Jahren
Die französische Öffentlichkeit treibt die Frage um, warum Le Scouarnec jahrzehntelang ungehindert seine jungen Patienten missbrauchen konnte. Bereits Anfang der 2000er-Jahre hatte das FBI die französischen Behörden vor Le Scouarnec gewarnt. Er hatte auf kinderpornografische Websites zugegriffen. Damals wurde Le Scouarnec lediglich zu einer viermonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.
Der Rechtsanwalt Frederic Benoist wirft der französischen Staatsanwaltschaft vor, diese Informationen nie den Gesundheitsbehörden weitergeleitet zu haben. In der Folge konnte Le Scouarnec weiterhin als Chirurg arbeiten und Kinder betreuen, so Benoist.
„Ein hohes Maß an Dysfunktionalität ermöglichte es Le Scouarnec, seine Taten zu begehen“, erklärte der Anwalt gegenüber der BBC. Auch seine Familie soll von verstörendem Verhalten gegenüber Kindern gewusst haben, berichtet ein weiterer Anwalt der BBC.
Übergriffe unter Narkose
Viele Opfer von Le Scouarnec standen während des mutmaßlichen Missbrauchs unter Narkose. Sie erfuhren von den sexuellen Übergriffen zum Teil erst Jahre später durch die Polizei, die ihre Namen in den Tagebüchern des mutmaßlichen Täters gefunden hatten.
Viele Betroffene litten jahrelang unter unerklärlichen Flashbacks. Olivia Mons von der Opferhilfsorganisation „France Victimes“ berichtete, dass viele der mutmaßlichen Opfer erst durch die späten Enthüllungen ihre Symptome verstehen konnten. Die Anwältin Francesca Satta sagte gegenüber der BBC, dass nicht alle mutmaßlichen Opfer unter Narkose standen. Zu ihren Mandanten gehörten auch die Familien zweier Männer, die missbraucht wurden und sich das Leben nahmen.
Der Prozess gegen Le Scouarnec beginnt am 24. Februar und soll voraussichtlich bis Juni dauern. Ob Presse und Öffentlichkeit Zutritt erhalten, ist noch unklar, da dafür alle mutmaßlichen Opfer zustimmen müssten. Der Fall weckt Erinnerungen an den sogenannten Teufel von Avignon: Der französische Rentner Dominique Pélicot betäubte seine Ehefrau über zehn Jahre hinweg und ließ sie missbrauchen. Seine Taten blieben jahrelang unentdeckt – erst durch polizeiliche Ermittlungen erfuhr die Frau von den Verbrechen. Der Gerichtsprozess sorgte weltweit für Aufsehen.
jho
Source: welt.de