Chinas Exporte: Wohin mit dem Zeug?

Legt ein Containerschiff an Chinas Ostküste ab, braucht es etwa zweieinhalb Wochen, um die Westküste der USA zu erreichen. Stellen wir uns ein Schiff vor, das am 2. April in See gestochen ist, dem Tag, an dem Donald Trumps globale Zolloffensive begann. Während der Fahrt über den Pazifik dürften die Besatzung und ihre Auftraggeber nervös mitverfolgt haben, wie sich die USA und China mit immer höheren Zöllen und Gegenzöllen beharkten. An Bord und im Heimathafen müssen bange Fragen diskutiert worden sein: Wie viel Einfuhrzoll wird bei der Ankunft für die Waren unter Deck fällig? Wirklich die schwindelerregenden 145 Prozent, auf die sich Trump zuletzt verlegt hatte? Möglicherweise noch mehr? Oder finden Washington und Peking einen Deal?

Mancher Spediteur scheint während der langen Überfahrt die Nerven verloren zu haben. In chinesischen Medien kursieren Gerüchte über Schiffsbesatzungen, die ihre Ladung unterwegs diskret im Pazifik versenkten, aus Angst, bei der Ankunft ruinöse Zölle zahlen zu müssen.

Die Frage, was mit Chinas Exporten geschieht, wenn sie in den USA nicht mehr profitabel abzusetzen sind, treibt nicht nur Hochseekapitäne um. Unternehmen und Politiker in ganz China stehen vor der Frage, wie die absehbaren Verluste im Außenhandel aufzufangen sind, Exporthändler aller Branchen und Größen versuchen, ihr Geschäft neu aufzustellen. In Europa wiederum fürchtet man deshalb, dass eine Flut chinesischer Billigwaren die hiesigen Hersteller in den Ruin treiben könnte.

Spricht man mit chinesischen Händlern, wollen die meisten erst einmal abwarten, wie sich die Lage entwickelt: „Zanting“, sagen sie über ihr Business – vorübergehend unterbrochen. Ein paar grundlegendere Verschiebungen im Exportgeschäft aber beginnen sich bereits abzuzeichnen. Wo also könnten Chinas Waren landen, wenn sie nicht im Meer enden?

1. Chinas Anbieter suchen sich neue Märkte

Jin, eine junge Chinesin, die nur beim Vornamen genannt werden möchte, weil sie mit ihrem Unternehmen öffentlich nicht erkannt werden will, handelt mit App-gesteuertem Haustierzubehör, etwa Trinkwasserspendern und Toilettenboxen für Katzen. Ihre Waren kauft sie in China ein und verschifft sie in die USA, um sie dort über TikTok an amerikanische Haustierhalter zu vermarkten. Solange es gut lief, verkaufte Jin ein paar Tausend Artikel im Monat für 40 bis 50 Dollar das Stück. Ihr Warenlager an der US-Westküste ist derzeit noch gut gefüllt. Aber wenn die Vorräte abverkauft sind, dürfte es eng werden für Jin. Ihre Margen sind nicht hoch, bei 145 Prozent Einfuhrzoll lohnt sich das Geschäft nicht mehr.

Schon im vergangenen Jahr hat sich Jin ein Nebengeschäft aufgebaut: Sie verkauft Kosmetik nach Frankreich und Spanien, ebenfalls per TikTok. Der europäische Markt, sagt sie, sei komplizierter als der amerikanische, weil er aus vielen kleinen Einzelmärkten bestehe, mit eigenen Sprachen, Handelswegen und Konsumgewohnheiten. Außerdem seien die Europäer bei der Digitalisierung „noch nicht sehr weit“, wie Jin es ausdrückt. Chinesische Direkthändler wie sie hätten auf Europa als Absatzmarkt deshalb bisher „etwas herabgeschaut“. Das ändere sich nun, wo der US-Markt immer instabiler werde. Jin will ihr Haustierzubehör künftig lieber in Europa vermarkten.

Genau vor diesem Effekt des Trumpschen Zollkriegs fürchtet man sich in der EU-Führung. Ein paar zusätzliche Katzenklos würden Europas Märkte wohl noch vertragen – aber was, wenn nicht nur eine Direkthändlerin, sondern Zehntausende Händler ihre Warenströme in Richtung EU umlenken, wenn dazu chinesische Handelsriesen wie die Netzplattformen Temu und Shein Europas Märkte fluten?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte Anfang April klar: „Wir können weder globale Überkapazitäten absorbieren, noch werden wir Dumping auf unseren Märkten akzeptieren.“ Da war der Zollstreit aber noch gar nicht eskaliert.

2. Es geht weiter in die USA – auf Umwegen

Chinas Unternehmer können den Zielort ihrer Exportrouten verlegen – oder den Startpunkt. Trumps 145-Prozent-Zölle gelten für Waren, die aus China in die USA verschifft werden – nicht aber für chinesische Waren, die aus anderen Ländern kommen. Zumindest vorläufig bieten sich Exporteuren aus der Volksrepublik damit Schlupflöcher, die manche nun nutzen wollen.

Ein Unternehmer, der nur Kevin genannt werden will, stellt in seiner Fabrik in Südchina Zubehör für Mobiltelefone her, etwa Ladestecker. Seine Waren ließ er bisher auf direktem Weg in die USA verschiffen, wo sie bei Einzelhändlern wie Walmart und Target verkauft wurden. Seit Trump die Einfuhrzölle auf 145 Prozent erhöht hat, ist Kevins Geschäft zanting – seine amerikanischen Abnehmer haben bis auf Weiteres alle Bestellungen gestrichen. Um seinen US-Handel zu retten, erzählt Kevin am Telefon, wolle er möglichst schnell einen Teil seiner Produktion ins nahe Ausland verlegen. Manche Unternehmen aus China haben das schon in Trumps erster Amtszeit getan, um die damaligen Zollerhöhungen zu umgehen. Textilhersteller gingen nach Vietnam, Autozulieferer verlagerten ihre Fabriken nach Mexiko.

Kevin hat in den vergangenen Wochen viele Varianten verglichen. Vietnam? Hat unter Chinas südostasiatischen Nachbarn die besten Produktionsbedingungen – aber die Vietnamesen, sagt Kevin, nutzten die Notlage chinesischer Firmen aus: Die Mieten für Industriehallen seien astronomisch gestiegen. Kambodscha? Korrupt, sagt Kevin, miese Infrastruktur, ständig Stromausfälle. Myanmar? Zu unsicher, kein Chinese traue sich dorthin. Singapur? Zu teuer. Indonesien? Zu weit weg, logistisch schwierig. Thailand? Nicht schlecht, aber für Chinesen kulturell fremd.