Cherson: Staudamm in der Ukraine zerstört – Selenskyj beruft Sicherheitsrat ein – WELT

Im von Russland besetzten Teil der südukrainischen Region Cherson ist nach Angaben der Kriegsparteien ein wichtiger Staudamm nahe der Front schwer beschädigt worden. Kiew und Moskau machten sich am Dienstagmorgen gegenseitig für den Vorfall mit potenziell gravierenden Folgen verantwortlich. Das angrenzende Wasserkraftwerk wurde nach Angaben beider Kriegsparteien zerstört. So sprach etwa der ukrainische Kraftwerksbetreiber von einer „kompletten Zerstörung“ der Anlage. Der Kachowka-Staudamm bröckelt örtlichen Behörden zufolge weiter. Das strömende Wasser sei nicht kontrollierbar, meldet die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf die von Russland eingesetzte Verwaltung in der Stadt Nowa Kachowka, die direkt am Damm liegt.

Das ukrainische Einsatzkommando Süd teilte mit, die russischen Besatzer hätten den Staudamm in der Stadt Nowa Kachowka selbst gesprengt. „Das ist ein offensichtlicher Terrorakt und ein Kriegsverbrechen, das vor einem internationalen Tribunal als Beweis dienen wird“, teilt der ukrainische Militärgeheimdienst auf Telegram mit. „Die Besatzer haben den Damm des Kachowka-Stausees in Panik gesprengt.“ Der Militärgouverneur des Gebiets, Olexander Prokudin, warnte, innerhalb von fünf Stunden könne der Wasserstand eine kritische Höhe erreichen.

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Quelle: Infografik WELT

Andrij Jermak, der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, bezeichnet die Zerstörung des Staudammes als „Ökozid“. „Wasserkraftwerk Kachowka. Ein weiteres Kriegsverbrechen, begangen von russischen Terroristen“, schrieb er im Onlinedienst Telegram. Die ukrainischen Behörden arbeiteten daran, die Sicherheit der Anwohner zu gewährleisten. Das Vorgehen Russlands sei auch eine Bedrohung für das nahegelegene Kernkraftwerk Saporischschja, schrieb er weiter.

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht in der Zerstörung die Bestätigung für die Notwendigkeit, die russischen Streitkräfte aus der gesamten Ukraine zu vertreiben. „Russische Terroristen. Die Zerstörung des Staudamms des Wasserkraftwerks Kachowka beweist der ganzen Welt nur, dass sie aus jedem Winkel des ukrainischen Landes vertrieben werden müssen“, schrieb er auf Telegram. „Kein einziger Meter sollte ihnen bleiben, denn sie nutzen jeden Meter für Terror.“ Selenskyj berief eine Notfall-Sitzung des nationalen Sicherheitsrats ein. Das teilte der Sekretär des Rats, Olexij Danilow, am Dienstagmorgen auf Twitter mit.

Der britische Außenminister James Cleverly macht Russlands Invasion für die Zerstörung verantwortlich und fordert den sofortigen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine. „Ich habe Berichte über die Explosion am Damm und die Gefahr einer Überschwemmung gehört“, sagte Cleverly, der sich derzeit in der Ukraine aufhält, der Nachrichtenagentur Reuters. „Es ist noch zu früh, um irgendeine aussagekräftige Bewertung der Einzelheiten vorzunehmen. Aber man sollte nicht vergessen, dass der einzige Grund, warum dies überhaupt ein Problem darstellt, Russlands unprovozierte umfassende Invasion der Ukraine ist“, sagte er weiter.

Auf der linken Seite des Flusses Dnipro, wo auch die von den Ukrainern befreite Gebietshauptstadt Cherson liegt, sei mit Evakuierungen begonnen worden. „Etwa 16.000 Menschen befinden sich in der kritischen Zone am rechten Ufer“, erklärte Militärgouverneur Prokudin in einem Onlinedienst. Der ukrainischen Regierung zufolge sind bis zu 80 Ortschaften durch Überschwemmungen bedroht.

Der Staudamm Nova-Kachowka in der Region Cherson
Der Staudamm Nova-Kachowka in der Region Cherson
Quelle: via REUTERS

Satellitenbilder zeigen das Ausmaß der Zerstörung
Satellitenbilder zeigen das Ausmaß der Zerstörung
Quelle: AFP/-

Die russischen Besatzer hingegen machten ukrainischen Beschuss für die Schäden am Kachowka-Staudamm verantwortlich. Der Wasserstand ist der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge bereits um mehr als zehn Meter angestiegen. Der Bürgermeister von Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, vermutet, dass der Wasserstand um bis zu zwölf Meter steigen könnte. Mehrere flussabwärts gelegene Inseln seien inzwischen völlig überflutet, 22.000 Menschen von Überschwemmungen bedroht, meldete die russische Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf örtliche Behörden. Rund 300 Häuser sollen bislang evakuiert worden sein. Die Angaben beider Seiten konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

Für das Atomkraftwerk Saporischschja bestehe durch den Einsturz nach russischer Darstellung aber keine unmittelbare Gefahr, teilte Tass unter Berufung auf einen von Russland eingesetzten Verwaltungsvertreter mit.

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Die ukrainische Atomenergiebehörde Energoatom hingegen sieht eine Gefahr für das Atomkraftwerk. Die Lage in dem AKW sei aber gegenwärtig unter Kontrolle, teilt die Behörde auf Telegram mit.

Das AKW ist das größte Europas und steht seit Längerem unter russischer Kontrolle. Der 30 Meter hohe und 3,2 Kilometer lange Damm wurde 1956 am Fluss Dnipro als Teil des Wasserkraftwerks Kachowka errichtet. Der dadurch gebildete Stausee fasst rund 18 Milliarden Kubikmeter Wasser und versorgt das AKW Saporischschja sowie die bereits 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim.

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Source: welt.de