Bundestagsdebatte zum Wahlrecht: „Falsch, fehlerhaft, verfassungswidrig“

Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, hat die von den Ampel-Fraktionen geplante Wahlrechtsreform heftig kritisiert. Es handle sich nicht um eine Reform, sondern um einen „Akt der Respektlosigkeit gegenüber den Wählerinnen und Wählern und gegenüber der Demokratie an sich“, sagte er in der Debatte vor der geplanten Abstimmung über den Reformentwurf. Diesen kritisierte er mit den Worten: „Er ist falsch, er ist fehlerhaft, er ist verfassungswidrig.“

Es handle sich nicht um eine „Reform an sich selbst“, um den Bundestag zu verkleinern, sondern um eine Reform „für sich selbst“, fuhr Dobrindt fort. Zwei der drei im Bundestag vertretenen Oppositionsfraktionen – CSU und Linke – würden durch die Reform „strukturell benachteiligt“ und diene damit einzig dem Ziel, „den Machtanspruch der Ampel zu zementieren“. Weiter warf Dobrindt den Fraktionen von SPD, Grünen und FDP vor, „mit einer offensichtlichen Freude das Existenzrecht der CSU infrage“ zu stellen.

„Anschlag auf Grundpfeiler der Demokratie“

Heftige Worte wählte auch der Linkenabgeordnete Jan Korte. Er warf den Ampel-Fraktionen eine unübertroffene „bigotte Arroganz“ vor. Das Wahlrecht sei der entscheidende Grundpfeiler der parlamentarischen Demokratie, sagte Korte und wandte sich mit den Worten an SPD, Grüne und FDP: „Was Sie hier heute vorlegen, ist der größte Anschlag, den es auf diesen Grundpfeiler gab seit Jahrzehnten.“

Wie Dobrindt kritisierte auch Korte, dass ausschließlich die Ampel-Fraktionen von der Reform profitieren würden. Zudem monierte er das handwerkliche Vorgehen der Regierungsfraktionen: „Ich will hier feststellen, dass Sie mit Änderungsantrag, also hier hingerotzt, mal eben kurz zwei Oppositionsparteien aus dem Bundestag politisch eliminieren wollen“, sagte er. Dies sei eine Reform im Geiste Ungarns oder Polens. In beiden Ländern werden seit Jahren demokratische Institutionen untergraben.

Der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling hob die Bedeutung des bisherigen Erststimmensystems mit der Direktwahl in den Wahlkreisen hervor. Damit sei „die regionale Vertretung von Flensburg bis Garmisch sichergestellt“, sagte Heveling. Künftig werde es das nicht mehr geben: Das Reformvorhaben löse die eigenständige Bedeutung von Bundestagswahlkreisen von Beginn an auf, monierte Heveling. Dies schaffe ein „Wahlrecht des betrogenen Wählers“, weshalb die Union vor das Bundesverfassungsgericht ziehen werde: „Wir werden klagen.“

Der Obmann der SPD in der Wahlrechtskommission, Sebastian Hartmann, verteidigte das Vorhaben. Die Reform sei überfällig, sagte er. Die Verkleinerung des Parlaments sei klar und nachvollziehbar. Die Abschaffung der Grundmandatsklausel bezeichnete er als „klare Systementscheidung“, die den Gedanken des Verhältniswahlrechts stärke. Aus Sicht der Ampel stehe der Vorschlag fest in der deutschen Verfassungstradition.

Verkleinerung um mehr als 100 Sitze

Durch die Gesetzesreform soll der Bundestag fix auf 630 Abgeordnete verkleinert werden. Das bedeutet eine leichte Erhöhung der Sollgröße von 598 Sitzen. Derzeit sitzen allerdings 736 Abgeordnete im Parlament: Das liegt an den sogenannten Ausgleichs- und Überhangmandaten, die mit der Reform vollständig abgeschafft werden sollen. Dadurch wird auch das bisherige System mit Erst- und Zweitstimme verändert. So soll künftig allein der prozentuale Anteil an Zweitstimmen darüber entscheiden, wie viele Bundestagsmandate eine Partei erhält. Mit der Erststimme könnten weiterhin Direktkandidaten in den 299 Wahlkreisen ins Parlament gewählt werden.

Allerdings – und das ist die große Kritik zum Beispiel der CSU – zögen die Direktkandidaten nach der Reform nicht mehr sicher in den Bundestag ein, sollte ihre Partei auf Bundesebene nicht ausreichend Zweitstimmen erhalten. Bislang wurde das dadurch ausgeglichen, dass Parteien mit stärkerem Erst- als Zweitstimmenergebnis sogenannte Überhangmandate erhalten. Die anderen Parteien bekommen dafür wiederum Ausgleichsmandate, was den Bundestag aufbläht. Um diesen Effekt abzumildern, sieht das Gesetz vor, künftig 331 Mandate über die Landeslisten zu vergeben, nicht wie bisher 299. Das erklärt auch den Aufwuchs der Sollgröße des Parlaments von 598 auf 630 Sitze.

Ein weiterer Teil der Reform ist die Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel. Sie sieht vor, dass eine Partei auch dann in den Bundestag einzieht, wenn sie mit ihrem Hauptstimmenergebnis unter der Fünfprozenthürde landet, aber mindestens drei Direktmandate gewinnt. Hiergegen richtet sich vor allem die Linkspartei – die aktuell nur aufgrund dieser Klausel im Bundestag vertreten ist: Bei der Wahl 2021 erreichte sie bei den Zweitstimmen nur 4,9 Prozent, konnte aber drei Wahlkreise direkt gewinnen.