„Broker“ von Hirokazu Koreeda: Mit Kind und Kegel und Kredithai

Ein Streifen Strand, eine Bucht, in weiter Entfernung
eine Stadt oder ein Industriekomplex; eine Straße, eine Bahnstation, im
Hintergrund Reklame-Screens; das Innere eines Lieferwagens, das wie eine Bühne
auf verschiedenen Ebenen
betreten und bespielt werden kann: Broker – Familie
gesucht
, der neue Film des japanischen Auteurs Hirokazu Koreeda,
eröffnet überraschend durchsichtige, in die Tiefe gestaffelte Räume. Die
Figuren müssen sich in diese Environments einsortieren – das ist kompliziert.
So kompliziert wie die Menschen selbst, die bei Koreeda, einem genauen Seismografen sozialer Beben, nie nur gut oder nur böse sind und zwischen
Scheitern und Gelingen lavieren, sozusagen im Bildmittelgrund.

Der Lieferwagen gehört zur Wäscherei „Okay“, die ihrem
geschiedenen, allein lebenden Besitzer kein Auskommen bietet. Obwohl Sang-hyeon
virtuos und mit Hingabe das Dampfbügeleisen schwingt, ist er verschuldet.
Nebenher betreibt der Kleinstunternehmer mit einem jungen Komplizen einen
Handel mit Babys, die von ihren verzweifelten Müttern aufgegeben wurden. Das
neue Kind der Männer sorgt für Komplikationen. Die Mutter kehrt zurück, lässt
sich nicht abwimmeln, und es kommt zu einem Deal: So-young will an den
Einnahmen aus dem Verkauf ihres Sohns beteiligt werden. Die Versuche, Baby
Woo-sung an eine Familie zu bringen, führen das Trio quer durch Südkorea, mit
zwei Detektivinnen, einem Kredithai, So-youngs zweifelhafter Vergangenheit und
schließlich einem weiteren, halbwüchsigen Kind im Schlepptau.

Dass man die Geschichte trotz ihrer harschen Voraussetzung so
leger erzählen kann, liegt am Ton des Films, der nicht streng sozialdramatisch ist, sondern Krimi, Komödie und Kolportage einsickern lässt.
Nach dem französischen Film La Vérité mit
Catherine Deneuve in der Rolle einer Starschauspielerin ist Broker Koreedas zweites Auswärtsspiel. Das
verbreitete Phänomen der Babyklappen, sagte er, habe ihn nach Südkorea geführt.
Man spürt den Einfluss des vitalen koreanischen Medienbetriebs, dem Koreeda
auch ein großartiges Ensemble zu verdanken hat: Neben Song Kang-ho
(Hauptdarsteller des Oscargewinners Parasite)
in der Rolle des stoischen Brokers, der nur leidenschaftlich
wird, wenn er irgendwo ein unsachgemäß behandeltes Kleidungsstück erspäht, und
Bae Doona (Sympathy for Mr. Vengeance, Sense8) als mufflige, dauersnackende Polizistin
gibt es eine Riege koreanischer Serienstars und die Popsängerin IU als So-young.

Kinder stehen oft im Fokus von Koreedas Filmen: verlassene,
vertauschte oder aufgesammelte wie zuletzt in Shoplifters.
Broker ist keine Neuerfindung dieses Kosmos,
eher eine spielerische Erweiterung der Grundthese, dass Familie nichts
Naturgegebenes ist, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt, das zerbrechen
und wieder neu zusammengesetzt werden kann. Mutter- und Vaterschaft oder
überhaupt: Beziehungen sind nichts, was dem Einzelnen zufällt – Koreedas
Figuren müssen sie, ähnlich wie die des britischen Realisten Ken Loach, gegen
widrige Umstände erarbeiten. In Broker
findet diese Arbeit spontan und improvisiert „on the road“ oder in übervollen
Hotelzimmern statt, wo sich die geübten Babyhändler (Baby-Broker?) ums Kind
kümmern, während So-young unter ihrem langen Madonnenhaar ungerührt zuschaut.
Kein Hauch von Wertung liegt über dieser Konstellation; eher betrachtet Koreeda
sie mit forschendem Interesse. Und wenn das Wohl des Kindes der Gradmesser für
den Erfolg solcher Experimente ist, dann kann man sagen: funktioniert. Auf
wessen Hüfte er auch lagert, auf welchem Arm er ruht, der kleine Woo-sung ist
immer tiefenentspannt.

„Broker – Familie gesucht“ läuft in deutschen Kinos.