Boualem Sansal: Französisch-algerischer Schriftsteller zu fünf Jahren Haft verurteilt

Ein algerisches Gericht hat ein im März verhängtes Urteil über eine fünfjährige Haftstrafe gegen den französisch-algerischen Schriftsteller Boualem Sansal bestätigt. Das berichtete der algerische Fernsehsender Ennahar TV. Der 80-jährige Sansal, der in Frankreich lebt, ist im vergangenen November bei einem Besuch in Algerien festgenommen worden. 

Zuvor hatte er in einem Videointerview mit dem rechtsgerichteten Pariser Medium Frontières über die koloniale Geschichte des algerisch-marokkanischen Grenzverlaufs gesprochen. Dabei unterstützte er die marokkanische Auffassung, wonach ein Teil seines Gebiets während des französischen Kolonialismus an Algerien angegliedert wurde.

Verurteilt wegen „Untergrabung der nationalen Einheit“

Offiziell verurteilt wurde Sansal im März dann laut der Zeitung Le Parisien
wegen „Untergrabung der nationalen Einheit, Beleidigung des
konstituierten Organs (der Armee), Schädigung der nationalen Wirtschaft
und Besitz von Videos und Publikationen, die die nationale Sicherheit
und Stabilität bedrohen“. Das Strafmaß: fünf Jahre Haft ohne Bewährung. 

Der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels wies die Vorwürfe zurück. Er habe Äußerungen im Rahmen der Meinungsfreiheit getätigt und nicht die Absicht gehabt, Algerien zu beleidigen. Das Berufungsverfahren fand laut der französischen Zeitung Le Monde sowohl auf Antrag des
Schriftstellers als auch der Staatsanwaltschaft statt, die bereits in
der ersten Instanz zehn Jahre gefordert hatte.

„Das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts wurde bestätigt. Sie haben acht Tage Zeit, um Revision einzulegen“, sagte die Vorsitzende demnach auf Französisch an Sansal gerichtet, nachdem sie die Urteilsbegründung auf Arabisch verlesen hatte.

Frankreich kritisiert Urteil

Die französische Regierung kritisierte den Prozessausgang. Sie äußerte ihr „Bedauern“
über die Verurteilung, die sie als „unverständlich und ungerecht“ bezeichnete.
„Frankreich fordert die algerischen Behörden auf, einen Akt der Gnade zu
zeigen und eine schnelle, menschenwürdige Lösung zu finden“, hieß es aus dem französischen Außenministerium. 

Auch Sansals Angehörige dringen darauf, dass der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune ihn begnadigt. Der Schriftsteller ist nach Angaben seiner Angehörigen an Prostatakrebs erkrankt. Die Regierung fordert eine Freilassung, um die medizinische Versorgung sicherzustellen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte die Freilassung von Sandal bereits nach dem Urteil im März gefordert. 

Die diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien
gelten als angespannt. Grund dafür sind etwa das häufige Scheitern von
Abschiebungen nach Algerien oder die französische Unterstützung eines
marokkanischen Autonomieplans für die Westsahara. In der Folge kam es
auf beiden Seiten zu Diplomatenausweisungen und Einschränkungen für
Inhaber diplomatischer Visa. Von Beobachtern wird das Strafverfahren
gegen Sansal als politisches Druckmittel gegen Frankreich gewertet.

PEN Berlin stellt sich hinter Sansal

Die deutsche Literaturszene setzte sich mit Protestaktionen ebenfalls für Sansal ein. Auch das zweite Urteil wurde von der Schriftstellervereinigung PEN Berlin und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels „mit aller Schärfe“ kritisiert. Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins, zufolge ist das Vorgehen der algerischen Justiz „ein inakzeptabler Angriff auf die Meinungsfreiheit und Menschenrechte“.

„Einen Schriftsteller für ein Interview zu verurteilen, in dem er weder gegen den algerischen Staat hetzt noch anderweitig Hass verbreitet, ist ein politischer Skandal. Wer so mit kritischen Stimmen umgeht, hat kein Interesse an Rechtsstaatlichkeit“, sagte PEN-Berlin-Sprecherin Thea Dorn. Beide Gruppen fordern vom algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune eine Begnadigung Sansals.