Bevölkerungspolitik: Japan spendiert 23 Milliarden Euro für mehr Babys

Im Hallenbad am Kinuta-Park sind die Alten in der Überzahl. Zwei Drittel des Nichtschwimmerbeckens sind abgesperrt, damit sich gut 50 Seniorinnen in Wassergymnastik üben können. Die wenigen Kinder, die an diesem Tag in dem Tokioter Schwimmbad planschen, müssen sich mit dem übrigen Drittel des Beckens begnügen und immer wieder Platz machen für andere Alte, die durch das Wasser waten. Das Babybecken ist leer.

Tim Kanning

Korrespondent für Wirtschaft und Politik in Japan mit Sitz in Tokio.

Es ist eine Momentaufnahme. Aber sie steht symbolisch für die japanische Gesellschaft, die so schnell altert wie kaum eine andere in der Welt. Die Japaner leben im Durchschnitt vier Jahre länger als zum Beispiel die Deutschen. Zugleich geht die Zahl der Geburten zurück. 2022 wurden zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen weniger als 800.000 Babys in Japan geboren. Die Zahl der Geburten sinkt viel schneller als von der Regierung erwartet. Im Durchschnitt bekommt jede Frau in Japan gerade noch 1,2 Kinder.

„Nie dagewesene“ Maßnahmen

Für den Kampf gegen die sinkenden Geburtenraten will Premierminister Fumio Kishida nun richtig viel Geld in die Hand nehmen, wie er einem Expertenrat in Tokio erläuterte. Mit jährlichen Zusatzausgaben von 3,5 Billionen Yen – das sind umgerechnet gut 23 Milliarden Euro – will er über die nächsten drei Jahre den Japanern die Entscheidung für Kinder erleichtern. Kishida sprach von „nie dagewesenen“ Maßnahmen: „Unsere Unterstützung bei der Kinderbetreuung wird mit der von Schweden gleichziehen, das unter den OECD-Mitgliedern einen Spitzenplatz in der Familienunterstützung pro Kind einnimmt. Das läutet eine neue Epoche ein.“

Bisher gibt Japan nur 1,7 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Förderung von Familien mit Kindern aus, in Schweden sind es laut der OECD 3,4 Prozent, Deutschland liegt knapp darunter. Kishida sagte, jetzt sei die letzte Gelegenheit, um den Abwärtstrend aufzuhalten, der langfristig einen Schatten auf die Wachstumschancen der japanischen Wirtschaft werfe.

Zum einen soll nun das Kindergeld erhöht und ausgeweitet werden. So soll es künftig nicht nur gezahlt werden, bis die Kinder 15 Jahre alt sind, sondern bis sie die Schule verlassen. Für Familien mit drei Kindern und mehr sollen die Beträge erhöht werden. Gehaltsobergrenzen sollen aufgehoben werden. Außerdem sollen junge Eltern mehr Geld direkt nach der Geburt erhalten, so dass sie in den ersten vier Wochen keine Einbußen beim verfügbaren Gehalt haben.

Woher das Geld kommen soll, ist offen

Offen ist aber noch die Frage der Finanzierung. Sie soll bis Ende des Jahres geklärt werden. Kishida beteuert, dass er die Summe nicht über Steuererhöhungen aufbringen wolle. Stattdessen solle das Land lieber neue Schulden aufnehmen. Zudem sollten Haushaltsgelder für das Vorhaben „priorisiert“ werden.

Die Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung ist ein großes Problem für Japan. Das Nationalinstitut für Bevölkerungsforschung geht davon aus, dass schon im Jahr 2056 die Bevölkerung von derzeit 125 Millionen unter die Marke von 100 Millionen sinken könnte. Seit einigen Jahren lockert Japan zwar allmählich seine strenge Einwanderungspolitik. Doch die Möglichkeiten, den Bevölkerungsrückgang über Einwanderung aufzufangen, ist für den Inselstaat im Fernen Osten schwierig.

Wie nun Japan hatte sich auch Deutschland die Familienpolitik Schwedens zum Vorbild genommen, damit hierzulande der Wunsch nach Kindern nicht auf der Strecke bleibt. Schon die Vorgängerregierungen setzten auf einen Mix aus finanzieller Unterstützung von Familien und dem Ausbau der Kinderbetreuung. Zu den Reformen gehörten die Einführung des Elterngeldes mit den Partnermonaten, der Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz vom ersten Lebensjahr des Kindes an sowie die Flexibilisierung von Arbeitszeiten.

Rund um die Welt fallen Geburtenraten

Mittlerweile liegt die Geburtenrate in Deutschland mit 1,5 bis 1,6 Kindern pro Frau im EU-Durchschnitt. Zu diesem Feld gehört inzwischen auch das einstige Vorzeigeland Schweden. In den skandinavischen Ländern werden insgesamt weniger Kinder geboren. Warum das so ist, wird noch erforscht.

Als Erklärung werden zum Teil ökonomische Faktoren wie Arbeitslosigkeit, aber auch soziale Veränderungen wie Trennungen genannt. Die niedrigsten Geburtenraten im EU-Vergleich verzeichnen Italien, Spanien und Portugal mit einem Wert von 1,2 Kindern pro Frau. Damit die Bevölkerung (ohne Zuzug aus dem Ausland) nicht schrumpft, müsste die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau 2,1 betragen. Aber weltweit gibt es einen Abwärtstrend, selbst in afrikanischen Ländern.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) setzt wie schon ihre Vorgängerinnen darauf, vor allem die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter zu verbessern. „Wenn es eine entsprechende soziale In­frastruktur gibt und Eltern Vereinbarkeit von Familie und Beruf leben können, dann steigt die Geburtenrate entsprechend“, sagte sie im Bundestag. In westlichen Ländern mit einer besonders konservativen Haltung zum Thema Familie und zur Rolle der Frau – nach dem Motto „Die Frau muss gebären“ – sehe man hingegen, „dass exakt das Gegenteil passiert“. „Weder Mutterpflicht noch Mutterkreuz ist da die Lösung“, antwortete die Familienministerin einem AfD-Abgeordneten.

Dem Ziel einer modernen familiären Aufgaben- und Arbeitsteilung soll unter anderem das Gesetzesvorhaben der Familien-Startzeit dienen: Väter beziehungsweise Partner oder Partnerinnen der Mütter sollen von nächstem Jahr an Anspruch auf eine bezahlte berufliche Freistellung von 14 Tagen unmittelbar nach der Geburt des Kindes bekommen. Der Gesetzentwurf befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung.