Berlins Regierender: Wenn Bullerbü-Kai eine Metropole erbt
In der Politik kommt es mehr auf das Tun als auf das Sagen an. Dennoch ist die Regierungserklärung des neuen Berliner Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) bemerkenswert. Seine Vision passt in die Boulevard-Zeile, Berlin sei eine „Welt-Metropole und kein Bullerbü“. Wer das ein wenig sacken lässt, bekommt ein ungutes Gefühl. Als spräche hier nämlich jemand, der den Status Berlins gefährdet, weil er von „Metropole“ wenig versteht – wie übrigens auch von Bullerbü.
Stammt nämlich nicht viel eher als die „Linksgrünen“, die er meint, Kai Wegner selbst aus Astrid Lindgrens heiler Welt, wo die Gartenzäune noch stehen, die Hierarchien intakt sind und unartige Kinder in den Schuppen kommen? Was weiß er von der „Welt-Metropole“, die Berlin zuletzt vor hundert Jahren war? Von seinen Kulturavantgarden, anarchistischen Umtrieben, organisiertem Verbrechen, von der Libertinage und dem Nachtleben, das schon immer Müll, Urin und Kotze hinterließ?
Ja, Berlin hat seit etwa 15 Jahren wieder internationale Strahlkraft, trotz der kaputten Infrastruktur. Versteht aber Wegner, woran das liegt? Spürt er das Klima, dass etwa jene jungen Leute mit den „kreativen“ Berufen aus aller Welt in die Stadt strömen lässt?
Kreuzberg schlägt Mariendorf
Es wäre wichtig, denn diese Branche hat großen Anteil am Erfolg der Stadt, deren Wirtschaft bei einem Bundesschnitt von 1,8 zuletzt um 4,9 Prozent gewachsen ist. Man muss nicht beim berühmten Stadtplaner Richard Florida nachschlagen, um zu wissen, dass gerade für diese Branchen ein „people climate“ wichtiger ist als ein „business climate“. Offensichtlich ist diese Weltstadt-Klientel eher von Kreuzberg fasziniert als von Mariendorf. Es zieht die Club- der Hochkultur vor. Mit Graffiti hat es so wenig Probleme wie mit Cargo-Bikes und Radwegen, und es schätzt den Umgang mit Party-Drogen.
Berlins Attraktion speist sich also aus seiner gegenkulturellen Geschichte, aus dem Milieu, dessen Personal Wegners CDU-Vorgänger Eberhard Diepgen gern als „Anti-Berliner“ beschimpfte. Berlin lebt von einer klar umrissenen Stadtkultur-Marke – in deren Kern die gefühlte Abwesenheit von „CDU“ steht.
„Arm aber sexy“ statt CDU
Wäre es zu dieser kulturgetriebenen Renaissance gekommen, wenn die Union um 2000 nicht über den Berliner Bankenskandal gestolpert wäre – den googeln muss, wer über die Miseren dieser Stadt sprechen will? Man darf zweifeln: CDU-Kultursenator Peter Radunski wollte Berlin einst als „Musical-Standort“ etablieren und Innensenator Jörg Schönbohm alles abräumen, was irgendwie wild und edgy war.
Wegner erbt eine Stadt, deren krasser öffentlicher Investitionsstau mit dem Finanzschock jenes CDU-Skandals begann – und die dann gegen die Union aus dem Schlamassel wuchs. „Arm aber sexy“ war der Anfang.
Gewiss darf man Berlins Hipsterisierung belächeln. Und muss die Mitte-Links-Senate seit 2001 dafür kritisieren, dass sie den Erfolg ihrer Politik – jenen „Metropolen-Effekt“ – nicht verträglich regulieren konnten, unter anderem, weil sie aus Geldnot die halbe Stadt an Investoren verschleuderten. Dass Wegner, Freund der Immobilienwirtschaft, hier Abhilfe schafft, ist hochgradig unwahrscheinlich. Durchaus realistisch aber ist die Gefahr, dass der Mann aus dem tatsächlichen „Bullerbü“ im hemdsärmligen Kulturkampf gegen ein imaginiertes nolens volens die Basis der jüngeren Berliner Entwicklung einreißt, die bei allem Quietschen und Knarzen gut verlaufen ist. Denn auch das lehrt Richard Florida: Nichts ist flüchtiger als jenes „people climate“.