Benjamin Netanjahu: Noch vor er zu sprechen beginnt, verlassen viele den Saal

Donald Trump wünscht sich kaum etwas so sehr wie den Friedensnobelpreis, das wurde diese Woche in seiner Rede vor den UN klar. Und womöglich ist es dieser Sehnsucht geschuldet, dass gerade Bewegung in die Gespräche um eine Waffenruhe sowohl in der Ukraine als auch in Gaza kommt. Die Ukraine könne alle besetzten Gebiete von Russland zurückerlangen, stellte der US-Präsident dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Dienstag überraschend in Aussicht. Und am Donnerstagabend pfiff Trump dann seinen Partner Benjamin Netanjahu zurück: Eine Annexion des Westjordanlands, die Israels Regierung als Reaktion auf die historische Anerkennung Palästinas durch europäische Regierungen erwogen hat, werde er nicht zulassen. Punkt.

Vor diesem Hintergrund sprach Israels Premierminister Benjamin Netanjahu am Freitag vor weitgehend leeren Rängen in der UN-Generalversammlung. Mehrere Dutzend Delegierte verließen demonstrativ den Raum, noch bevor der israelische Premier zu seiner 40-minütigen Rede ansetzen konnte. Es kam zu Tumulten im Saal, Netanjahu wurde ausgebuht, als er das Podium betrat. Israels Premier begann mit der Erinnerung an das Schicksal der verbliebenen Geiseln. Er habe am Freitagmorgen Lautsprecher an der Grenze zu Gaza aufstellen lassen, die seine UN-Rede an die Geiseln übertragen, sagte er. Israelische Geheimdienste würden seine Botschaft live auf die Handys aller Menschen in Gaza streamen. Und er richtete eine Drohung an die Hamas aus: „Wenn ihr die Geiseln freilasst, werdet ihr leben. Wenn nicht, werden wir euch jagen.“ 

Auch bei dieser Rede hielt Netanjahu eine Karte des Nahen Osten hoch, wie er es auch schon bei früheren Auftritten vor der UN-Generalversammlung getan hatte. „Hier stehen wir heute“, sagte er und ging mit einem Filzstift in der Hand die militärischen Erfolge gegen die Feinde Israels durch: „Die Hälfte der Huthi-Anführer – erledigt. Jahja Sinwar in Gaza – erledigt.“ Die Hisbollah-Führer im Libanon und das Assad-Regime in Syrien – weg. Die Milizen im Irak – abgeschreckt. Die Top-Generäle des Iran und seine führenden Atomwissenschaftler – ausgeschaltet. Netanjahu appellierte an den UN-Sicherheitsrat, die Sanktionen gegenüber dem iranischen Regime, die am Samstag auslaufen, zu erneuern. 


Benjamin Netanjahu: Vor dem UN-Hauptquartier in New York fordern Menschen einen Stopp der US-Hilfen für Israel.

Vor dem UN-Hauptquartier in New York fordern Menschen einen Stopp der US-Hilfen für Israel.

Dann zeigte er auf einen QR-Code an seinem Anzugkragen: Jeder im Publikum möge sein Handy zücken und sich noch einmal die dokumentierten Grausamkeiten des Hamas-Anschlages vom 7. Oktober vergegenwärtigen. Niemand erinnere sich noch daran, klagte Netanjahu. „Der 7. Oktober ist schnell vergessen worden.“

Die Sicht der Welt auf den Krieg in Gaza sei verzerrt, der Vorwurf eines Völkermordes falsch. „Für Israel ist jedes zivile Opfer eine Tragödie. Für Hamas sind sie eine Strategie“, sagte der Regierungschef. Man tue alles, um Schaden von Zivilisten abzuwenden. Als Beleg dafür nannte er Evakuierungs-SMS, die seine Regierung vor Angriffen an die Bevölkerung Gazas schicken würde: „Hätten die Nazis die Juden damals gebeten, rechtzeitig zu gehen?“ 

Netanjahu stritt außerdem ab, dass seine Regierung die Menschen in Gaza gezielt aushungere. „Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in Gaza bekommt 3.000 Kalorien pro Tag“, behauptete er – jede Hilfsorganisation würde ihm hier widersprechen. Die Hamas würde Hilfsgüter stehlen, so Netanjahu. Tatsächlich konnten Hilfslieferungen in den vergangenen Monaten nur zu einem Bruchteil ungehindert verteilt werden. UN-Organisationen zufolge gibt es jedoch keine klaren Belege dafür, wer genau die Lkw abfängt.

„Wir müssen den Job beenden. Wir sind noch nicht fertig“

Die Anerkennung Palästinas durch mehrere Staaten wie Frankreich, Großbritannien, Australien und Kanada bezeichnete Netanjahu als „Zeichen der Schande“. Die Regierungschefs dieser Länder hätten eine klare Botschaft gesendet: „Juden zu ermorden, macht sich bezahlt.“ 

Maßnahmen gegen diese Länder drohte Netanjahu zwar nicht an. Eine Zweistaatenlösung, wie sie zu Beginn dieser Woche mehrere Dutzend Staaten gefordert hatten, auch Deutschland, sei mit ihm aber nicht zu machen. „Sie wollen keinen Staat neben Israel“, sagte er über die Palästinenser. „Sie wollen einen palästinensischen Staat anstatt Israel.“ 

Nach dem 7. Oktober die Palästinenser einen Staat gründen zu lassen, sei so, als hätte man Al-Kaida nach dem 11. September einen Staat in der Nähe von New York City gegeben. Israel werde den Krieg fortsetzen, bis der letzte Hamas-Kämpfer in Gaza besiegt sei. „Wir müssen den Job beenden. Wir sind noch nicht fertig“, sagte Netanjahu.

Seine Rede schloss Israels Premier mit einem Signal an die arabischen Nachbarstaaten: Ein Sieg über die Hamas sichere den Frieden und die Normalisierung der Beziehungen. Fortschrittliche muslimische Regierungen wie Indonesien würden den Wert einer Zusammenarbeit mit Israel erkennen und in Zukunft von israelischen Technologien in Medizin und künstlicher Intelligenz profitieren können.

Es bleibt allerdings der Eindruck, dass Netanjahu verkennt, in welche Sackgasse er seine Regierung inzwischen manövriert hat: Arabische Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben in den vergangenen Tagen in New York die Trump-Regierung dazu drängen können, den Druck auf Israel zu einer Waffenruhe zu erhöhen. 

Der 21-Punkte-Plan für Nahost, den sein Sondergesandter für die Region, Steve Witkoff, diese Woche vorgelegt hat, greift Vorschläge eines Wiederaufbauplanes von Ägypten und Jordanien auf – sowie Inhalte eines Vorschlags, den Frankreich und Saudi-Arabien federführend erarbeitet haben. 

Netanjahu hält wenig vom Plan der USA

Witkoffs Plan beinhaltet eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen. Nach dem Krieg soll es eine internationale Aufsicht über den Wiederaufbau und eine Übergangsregierung in Gaza geben, die das Gebiet übergangsweise für einige Jahre verwalten soll. Eine vom UN-Sicherheitsrat mandatierte internationale Friedensmission könnte die Grenzen sichern. Indonesien hat bereits angeboten, einen solchen Einsatz mit 20.000 Soldaten zu unterstützen. 

Eine Beteiligung der Hamas an jeglicher Regierungsverwaltung im Gazastreifen wird ausgeschlossen. Dafür soll die Palästinensische Autonomiebehörde eine Rolle in dem Gebiet übernehmen. Welche genau, ist allerdings noch nicht klar.

Netanjahus Rede in New York zeigte allerdings, dass er von all dem wenig hält. Sich einem US-Plan ganz zu versperren, wäre für die israelische Regierung jedoch riskant. Trump soll laut Berichten von US-Medien langsam die Geduld mit Netanjahu verlieren. Am Donnerstagabend telefonierten die beiden, danach behauptete Trump, die Gespräche stünden „kurz vor einem Abschluss.“ Am Montag werden Trump und Netanjahu sich im Weißen Haus treffen. Dann wird Israels Premier entscheiden müssen, wie viel Wohlwollen der US-Regierung er bereit ist, aufs Spiel zu setzen.