BBC: Unfeine englische Art

Glaubt man dem BBC-Generaldirektor, dann wollte er Großbritannien nur ein wenig heilen, durch mehr „Unparteilichkeit“ seines Senders. Die gute Absicht führte übers Wochenende in ein Desaster zusammenstürzender Nationalheiligtümer. Erst suspendierte der BBC-Chef den prominenten Fußballmoderator Gary Lineker wegen einer Meinungsäußerung auf Twitter. Aus Solidarität mit Lineker stellten Kollegen die Arbeit ein. Fußballsendungen fielen aus, oder Spiele wurden unkommentiert gezeigt. Das alles wirkt wohl kaum therapeutisch auf ein Land, in dem viele gerade der nächsten Heizkostenrechnung entgegenbibbern und fürchten müssen, dass kein Krankenwagen kommt, wenn sie ihn brauchen. Wie es sich für eine richtige Tragödie gehört, musste die BBC schließlich zurückrudern und sich bei Lineker entschuldigen – womit sie am Ende der Bemühungen, ihren Ruf aufzubessern, beschädigter dasteht als zuvor.

Was war passiert? Und was lässt sich daraus lernen für das Verhältnis von individueller Meinungsfreiheit und institutioneller Glaubwürdigkeit, auch für Deutschland und seinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Gary Lineker, Ex-Fußballprofi und hoch bezahlter BBC-Moderator, hatte die geplanten Einschränkungen des Asylrechts durch die Tory-Regierung mit den Worten kritisiert, es sei „eine unermesslich grausame Politik (…), und zwar in einer Sprache, die derjenigen Deutschlands in den Dreißigerjahren nicht unähnlich ist“. BBC-Chef Tim Davie sah in dem Nazi-Vergleich eine Verletzung der Unparteilichkeitsrichtlinien des Senders. Davie, der nach dem Wahlsieg der Tories ins Amt gekommen war, hatte diese Regeln 2020 verschärft. Das Zurückhaltungsgebot sollte nicht mehr nur für politische Journalisten gelten, sondern für alle, die wegen ihres „Profils“ eine besondere Verantwortung für die BBC trügen. Am Freitag traf Lineker der Bann, der bis Montag hielt.

Das Ganze war ein falsches Exempel aus einem richtigen Problembewusstsein heraus. In den durch den Brexit vertieften Grabenkämpfen auf der Insel gilt der Nationalsender schon lange weniger als Pluralitätsforum denn als Polarisierungsmaschine. Ein Kolumnist des konservativen Spectator fasste seine Frustration über die Befangenheit der „Beep“ kürzlich in die Worte: „Man kann keine Katze durch eins ihrer Studios schwingen, ohne jemanden zu erwischen, der 2016 nicht bei einer dieser verrückten Remain-Demos mitmarschiert wäre.“

Aber wenn es um die Ausgewogenheit der Politikberichterstattung geht, ist ein Sportmoderator der ungeeignete Angeklagte. Lineker, bei der BBC frei beschäftigt, ist eben kein Nachrichtenredakteur. Zudem zählt er erkennbar zu der Sorte Twitter-Personality, die gern mit starken, vermeintlich tugendhaften Meinungen Applaus erheischt, ohne viel auf Problemlösung zu geben. Tatsächlich hatte die britische Innenministerin von einer „Invasion“ der Insel gesprochen, was natürlich Unfug ist. Zugleich ignoriert Lineker, der ausschließlich von „Flüchtlingen“ spricht, dass von den 45.000 Migranten, die im vergangenen Jahr an der englischen Küste anlandeten, gut 12.000 aus Albanien stammten. Jetzt also einen Matchsieg Linekers über das Tory-Lager zu bejubeln ist ebenso falsch, wie ein Einknicken der BBC vor dem Woke-Camp zu beklagen.

Die richtige Lehre für ARD und ZDF aus dem Fall wäre: Unparteilichkeit verdient einen höheren Stellenwert. Deshalb braucht es verbindliche Regeln für das Verhalten von Politikreportern in sozialen Netzwerken, nicht bloß Empfehlungen. Aber es braucht auch ihre unparteiliche Durchsetzung. Oder, um es mit einer alten Fußball-Fairnessregel zu sagen: Play the ball, not the man.